Kommentar besetzte Schule: Unterstützer machen es sich leicht
Man kann die Grünen für ihr Auftreten im Konflikt um die Flüchtlinge kritisieren. Doch die Empörung der Unterstützer kommt zu spät.
![](https://taz.de/picture/103169/14/Ohlauer_Strasse_01.jpg)
Man möchte wirklich nicht den Grünen angehören in diesen Tagen, schon gar nicht in Kreuzberg. Von allen Seiten werden sie beschossen: Für die Szene der Flüchtlings-Unterstützer haben Monika Herrmann, Hans Panhoff und Co. die Büchse der Pandora geöffnet, heraus fliegen Polizeistaat, Zensur und wer weiß was noch. Und für viele, die eine Räumung der Gerhart-Hauptmann-Schule eigentlich befürworten, sind sie entscheidungsschwache, inkompetente Hampelmänner und -frauen, die sich auf Kosten der Allgemeinheit ideologisch verrenken.
An beiden Anwürfen ist etwas dran. Natürlich ist das polizeiliche Sperrgebiet eine Zumutung, natürlich ist der Umgang mit der Presse nicht in Ordnung. Und natürlich ist es ein bemitleidenswerter Anblick, wie die Verantwortlichen des Bezirksamts da in der selbstgebauten Sackgasse herumstehen.
Andererseits ist es dieser Tage auch so furchtbar leicht, auf der scheinbar richtigen Seite zu stehen. Endlich mal klare Fronten! Von pfeffersprayenden Cops verteidigt! Und es geht um Menschenrechte! Kein Wunder, dass die Sitzblockaden im Reichekiez der Place-to-be sind in diesen Tagen.
Und viele, sehr viele von denen, die da protestieren, müssten sich eigentlich die Frage gefallen lassen, wo sie denn waren, als die Zustände in der besetzten Schule immer krasser wurden, im schlechtestmöglichen Sinne anarchisch, manchmal auch gewalttätig. Da hätten auch alle etwas tun können, die jetzt die Räumungsversuche des Bezirksamts verteufeln.
Warum haben die, die monatelang darüber Klage geführt haben, dass es nur eine funktionierende Dusche in der Schule gab, nicht eine weitere Dusche oder einen Klempner organisiert? Wäre das zu mühsam gewesen?
Größtmögliche Beißhemmung
Die "bösen" Grünen, das muss man jetzt auch mal sagen, haben jedenfalls immer versucht, ihre hohen Ansprüche in der Flüchtlingspolitik mit den Beschränkungen und den Notwendigkeiten vor Ort auszutarieren. Sie haben dem Protest einen Raum gegeben, sie haben das Camp auf dem Oranienplatz und die Schulbesetzung lange toleriert und begleitet - an sehr wenigen Orten in Deutschland dürfte so etwas möglich sein.
Und auch der ausgeuferte Polizeieinsatz ist ja gerade das Ergebnis einer größtmöglichen Beißhemmung. In einem CDU-regierten Bezirk wäre vermutlich längst bei Nacht und Nebel geräumt worden, es hätte einen kurzen Aufschrei gegeben, und dann hätte jeder wieder seins gemacht. Die ganze Reibungsfläche ist ja entstanden, weil die angeblichen Grünfaschisten jeden gewaltsamen Zugriff vermeiden wollten - wobei die Polizei martialischer auftrat, als das gewünscht war.
Klar ist: In der Schule konnte es so nicht weitergehen. Wer jetzt wieder fordert, dort solle Selbstverwaltung herrschen, hat mindestens die letzten zwölf Monate verpennt. Außerdem haben die Projekte, die dort einziehen wollten und wollen, einen legitimen Anspruch auf Räume. Den können ein paar Dutzend Flüchtlinge und Unterstützer nicht einfach für sich beanspruchen.
A propos: Wenn es diesen Unterstützern tatsächlich um die Menschen geht, die da drohen, sich vom Dach zu stürzen, dann sollten sie nicht deren Ankündigung als politisches Faustpfand präsentieren, sondern verdammt noch mal alles dafür tun, sie von ihrem Ansinnen abzubringen.
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