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Kommentar Zwangsräumungen SpanienEs wird weiter geräumt

Reiner Wandler
Kommentar von Reiner Wandler

Der spanische Regierungschef Rajoy hat ein neues Hypothekengesetz durchs Parlament gebracht. Das ignoriert ein Volksbegehren.

Emilia Montoya Vazquez hat gerade erfahren, dass sie ihre Wohnung verlassen muss. Bild: reuters

S paniens Konservative machten die Hoffnung zunichte. Im Alleingang brachte die Volkspartei (PP) von Regierungschef Mariano Rajoy eine Reform des Hypothekengesetzes durchs Parlament. Die wichtigsten Forderungen der Initiativen der von Zwangsräumungen Betroffenen und des von ihnen beim Parlament eingereichte Volksbegehren wurden dabei allerdings außer acht gelassen.

Ganz oben stand die Forderung nach Schuldenerlass für diejenigen, die ihre Wohnung verlieren. Dies wird es auch künftig nicht geben. Die Menschen, die auf die Straße gesetzt werden, weil sie drei oder mehr Monatsraten im Rückstand sind, werden weiterhin ein Leben lang Restschulden von bis zu 60 Prozent des Kaufpreises der verlorenen Wohnung abbezahlen müssen.

1,4 Millionen Bürger haben das Volksbegehren unterschrieben, mehr als zwei Drittel der Bevölkerung unterstützen den Schuldenerlass in Umfragen, doch das Wort der Banken hat bei der konservativen Regierung in Madrid mehr Gewicht.

Bild: taz
Reiner Wandler

ist Korrespondent der taz in Madrid.

Dabei ist die Lage dramatisch: Seit dem Beginn der Krise 2008 haben mehr als vier Millionen Spanier ihren Job verloren. 26 Prozent sind ohne Arbeit. Viele bekommen schon lange keine Stütze mehr. Die von Europa auferlegte drakonische Sparpolitik verstärkt die Rezession noch. Bis zum Jahresende werden weitere Hunderttausende ihre Arbeit verlieren. 400.000 Zwangsräumungsverfahren zählt die spanische Justiz mittlerweile. Im letzten Jahr waren es 500 pro Tag – Tendenz steigend.

Gleichzeitig wurden rund 150 Milliarden Euro öffentlicher Gelder und Anleihen in marode Banken und Sparkassen gepumpt. Geht es um die Bevölkerung, fehlt das Geld. Vor allem fehlt der politische Wille. Was sich in Spanien abspielt, ist symptomatisch für die Euro-Krise und die Lösungsvorschläge aus Brüssel und Berlin. Die Menschen zahlen weiter für die Spekulationsorgien der Banken. Die Zwangsgeräumten und die Anleger mit den Sparguthaben, das nicht nur in Zypern, sondern auch in Spanien zur Sanierung der Finanzinstitute herangezogen wird.

Dabei wäre die Lösung so einfach: Würde den Familien geholfen, würden sie nicht zahlungsunfähig. Das wiederum würde den Banken und Sparkassen zu Gute kommen. Die Bankenhilfe nützt jedoch nur den Banken.

Das mag naiv klingen in dieser von Merkel, der Deutschen Bank und dem Internationalen Währungsfond geführten und von den Ratingagenturen benoteten Europa. Doch sind es einfache Überlegungen wie diese, die deutlich machen, wie weit wir uns im Namen der einheitlichen Währung von den bei Festakten so gerne gepriesenen Grundpfeilern dieser Europäischen Union wie Solidarität, sozialer Gerechtigkeit und Demokratie entfernt haben.

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Reiner Wandler
Auslandskorrespondent Spanien
Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.
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10 Kommentare

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  • H
    Hiob

    Der Herr hats gegeben der Herr hats genommen..... ob man nun an Gott glaubt oder oder nicht, der Westen hat über mehrere Jahre durch Schulden Wachstum und Wohlstand bezahlt, nun ist die Rechnung fällig und stutz und dahin zurück wo wir real stehen (zuzüglich Zins und Zinseszins), das wir so ein Drama machen wenn wir ärmer werden ist eignetlich unverständlich, denn schließlich ist das ein ganz natürlicher Prozess, wir werden ja auch älter, schwächer, fetter, etc. warum soll das im Bezug auf unser Vermögen anders sein...

  • C
    Chris

    Mal nur eine Frage in den Raum geworfen. Weiß eigentlich jemand was mit Leuten passiert, die in Dtl. ein Eigenheim per Ratenzahlung erworben haben und nun in dieser Zeit zu Hartz IV Beziehern werden?

    Ein Tipp, die Raten werden mit Sicherheit nicht vom Hartz-Amt übernommen.

    Tja und jetzt die Frage, warum es bei uns nicht zu gewaltigen Zwangsräumungen gekommen ist (einzelne, die aber leider kaum thematisiert werden, gab es). Vielleicht leistet sich in Deutschland schon lange nicht mehr jede/r ein Eigenheim?

  • I
    Irmi

    grifter:

    Zwangsräumung ist in Spanien genau wie in Deutschland ein wirkungsvolles Mittel, um notorische Zahlungsver-

    weigerer zu disziplinieren.

    Das ist eine herzlose Bemerkung. Die meisten Menschen dort wurden nicht zahlungsunfähig wegen schlechter Zahlungsmoral, sondern weil der Staat das Land ruiniert hat, die zwangsweisen Sparmaßnahmen durch die EU gab den Menschen den Rest.

    Nun ist es so, das täglich 400 Leute zwangsgeräumt werden. Das freut grifter dann auch noch ?

  • Z
    Zweifler

    Ob der Autor auch solche warmen Worte für diejenigen finden würde, die mittels Kredit nicht mit Immobilien sondern Aktien und Fonds spekuliert haben?

     

    Die Verluste der spanischen Banken aus der dortigen Immobilienblase wurden solidarisch und über den ESM auch den deutschen Bürgern übergeholfen.

     

    Soweit ich gelesen habe, gibt es auch in Spanien eine Privatinsolvenz. Das Verfahren dauert wohl 1-2 Jahre.

     

    Soweit wäre man dann Schuldenfrei.

     

    Ärgerlich wäre es dann nur, wenn man weitere Wohnungen hat, die dann ebenfalls herangezogen werden.

     

    In diesem Falle wäre dann der Wunsch mehr als verständlich, wenn man die Schulden für die eine Wohnung erlassen bekommt. Man behält dann den Rest.

     

    100% Chance. Null Prozent Risiko.

  • L
    leude

    Ab 25% Arbeitslosigkeit wackelt doch langsam die Demokratie. Und da hilft das Bankenretten und unsinnige Kaputtsparen keine mehr möchte man meinen.

  • S
    Safetyman

    @krowang:

    Und wenn Sie zu den 25% gehörten, die ohne Job ihre Wohnung nicht zahlen können, und dann per Zwangsräumung auf der Straße landen? Jaja sicherlich, noch gibt es dieses Hartz IV, aber ...

  • SA
    Salvo Alguna Cosa Mas

    Was der Artikel leider nicht bemerkt ist die diffamierende Medienoffensive der spanischen Regierung gegenüber den Promotoren der populären Gesetzeskampagne ILP.

     

    Die Sprecherin der Platform der Betroffenen (PAH), Ada Colau, wurde so z.B. von verschiedenen (PP)Politikern in ETA-Nähe gewähnt. Danach wurden sogar noch alle Basismitglieder aufgrund ihrer Protestform als Nazis bezeichnet. Der Grund der, leider nicht nur rhetorischen, Schlammschlacht waren die sogenannten "Escrache"-Kampagnen. Delegationen von Betroffenen statteten (PP)Politikern Hausbesuche ab, die Regierung änderte schnell im Eilverfahren das Strafgesetz, so ist es ab sofort strafbar sich in einem Radius von 300m um Wohngebäude öffentlicher Amtsträger zu versammeln. Erste Verhaftungen und Strafanzeigen folgten schnell..

     

    Die PAH ihrerseits ist mittlerweile bestens positioniert: so wurden in verschiedenen Provinzen leerstehende Wohnungsblöcke von Gruppen Betroffener besetzt, zuletzt in Malaga und Sabadell von jeweils bis zu 30 Personen.

     

    Ich würde es herzlich begrüssen wenn die konstruktiven Bemühungen der spanischen Zivilgesellschaft genauso häufig Erwähnung fänden wie Anstrengungen der Regierung diese zu unterbinden.

  • C
    Celsus

    Das ist die schöne neue Welt Europas. Ob es nun direkt über Immobilienhaie geschieht oder zum Beispiel auch in Deutschland per Zwangsräumung bei Bezug von Hartz IV oder Grundsicherung im Alter: Auch Deutschladn kennt das.

     

    Die taz berichtete dabei auch über die sehr eifrigen Behörden in Berlin. HInter den Dienstanweisungen steckt eine große Koalition der sozialen Kälte. Den Armen wird immer mehr genommen, um es den reichen zu geben. Steinbrück als einer der von der SPD bewunderten Väter von Hartz IV hat es in Reinkultur vorgelebt: Die Einführung von Hartz IV diente der Gegenfinanzierung der Senkung des Spitzensteuersatzes in einer rot-grpnen Koalition.

     

    Diese Raffgier für die Reichen wurde auch ausdrücklich gelobt von CDU, CSU und FDP. Hoffen wir auf eine Renaissance des sozialen Gewissens in Deutschland und Europa. Aber es mag sein, dass Lernen da nur mit Schmerzen möglich ist. Das wäre eine weitere Verschärfung der Finanzkrise, weil auf diesem wirtschaftlich dummen Weg weitergemacht wird. Und die Lobbyisten der reichsten Akteure, ob nun mit oder ohne Promotion, werden uns als Experten verkauft.

  • K
    krowang

    Die Menschen, die sich eine Wohnung/ein Haus auf Kredit kaufen, spekulieren doch selber, finde ich. Nämlich darauf, dass sie sie/es bspw. 20 Jahre lang zurückzahlen können, dass sie also die nächsten 20 Jahre ein sicheres Einkommen haben werden. Ich spekuliere so nicht. Diese Vorgänge können auch hier geschehen. Ich wohne zur Miete.

     

    Ich vermute, dass in Spanien seit 2008 sehr viele Träume geplatzt sind und dieses für die Betroffenen dann reale, starke und unangenehme Auswirkungen hatte.

  • G
    grifter

    Zwangsräumung ist in Spanien genau wie in Deutschland ein wirkungsvolles Mittel, um notorische Zahlungsver-

    weigerer zu disziplinieren.