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Kommentar Zukunft KataloniensJetzt ist Europa gefragt

Reiner Wandler
Kommentar von Reiner Wandler

Die Wahl des Separatisten Joaquim Torra zeigt: Spanien kommt so schnell nicht zur Ruhe. Die Zukunft Kataloniens ist längst ein europäisches Problem.

Joaquim Torra nach seiner Wahl am Montag. Am Jackett: die gelbe Schleife als Zeichen der Solidarität mit inhaftierten katalanischen Politikern Foto: ap

W er hoffte, die Zwangsverwaltung durch Madrid, die Absetzung der Regierung von Carles Puigdemont sowie die Anordnung von Neuwahlen würde die Lage in Katalonien beruhigen, der muss spätestens nach der Wahl von Joaquim Torra zum neuen katalanischen Ministerpräsidenten einsehen, dass dem nicht so ist. Die Lage hat sich gar verschärft: Druck erzeugt noch mehr Gegendruck.

Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy ließ wertvolle Zeit verstreichen. Statt auf Verhandlungen – und damit auf Politik – setzte er zuerst auf einen brutalen Polizeieinsatz am 1. Oktober, dem Tag des Unabhängigkeitsreferendums, und dann auf die Justiz. „Rebellion“ und „Veruntreuung“ werden Puigdemont, vier seiner ebenfalls im Exil lebenden Minister sowie sieben inhaftierten Politikern und Aktivisten vorgeworfen. Wer sieht, wie schwer sich die deutsche, belgische und schottische Justiz mit den entsprechenden Auslieferungsanträgen tut, der weiß, wie weit diese Vorwürfe aufgebauscht wurden, um „die Unabhängigkeitsbewegung zu enthaupten“, wie Rajoys Stellvertreterin einst erklärte.

Sicher erhoffte sich Rajoy von seiner Haltung einen Sympathiegewinn im restlichen Spanien. Doch weit gefehlt. Die wesentlich radikaleren Ciudadanos können von der Lage in Katalonien und vom unermüdlichen Schüren des Konflikts profitieren. Die sich selbst als liberales Zentrum definierende Partei geht mittlerweile so weit zu fordern, dass die Zwangsverwaltung auch mit einer neuen Regierung aufrechterhalten werde. Liberalismus sieht anders aus.

Es bleibt nur ein Ausweg, und der heißt Dialog. Wenn sowohl die Politiker in Barcelona als auch die in Madrid weiterhin unfähig sind, aufeinander zuzugehen, dann ist wohl Vermittlung nötig. Und diese Rolle fällt Europa zu. Bisher zierte sich die Union, um den Konflikt nicht zu internationalisieren. Aber spätestens seit den Auslieferungsanträgen gegen Puigdemont und Co ist das Katalonienproblem auch ein deutsches, belgisches, schottisches und damit europäisches Problem.

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Reiner Wandler
Auslandskorrespondent Spanien
Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.
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14 Kommentare

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  • Spanien Verfassung § 155

    „Es bleibt nur ein Ausweg, und der heißt Dialog. Wenn sowohl die Politiker in Barcelona als auch die in Madrid weiterhin unfähig sind, aufeinander zuzugehen, dann ist wohl Vermittlung nötig. Und diese Rolle fällt Europa zu.“

    Mein Vorschlag:

    Vergleichen Sie den § 155 in der Spanischen Verfassung mit der Deutschen Lösung:

     

    Verfassung des Königreiches Spanien

    vom 29. Dezember 1978

    Art. 155. (1) Wenn eine Autonome Gemeinschaft die ihr von der Verfassung oder anderen Gesetzen auferlegten Verpflichtungen nicht erfüllt oder so handelt, daß ihr Verhalten einen schweren Verstoß gegen die "allgemeinen Interessen" Spaniens darstellt, so kann die Regierung nach vorheriger Aufforderung an den Präsidenten der Autonomen Gemeinschaft und, im Falle von deren Nichtbefolgung, mit der Billigung der absoluten Mehrheit des Senats die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die Gemeinschaft zur zwangsweisen Erfüllung dieser Verpflichtungen anzuhalten oder um das erwähnte Interesse der Allgemeinheit zu schützen.

     

    Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

    vom 23. Mai 1949 (BGBl. S. 1), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 13. Juli 2017 (BGBl. I S. 2347)

    Artikel 37

    (1) Wenn ein Land die ihm nach dem Grundgesetze oder einem anderen Bundesgesetze obliegenden Bundespflichten nicht erfüllt, kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates die notwendigen Maßnahmen treffen, um das Land im Wege des Bundeszwanges zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten.

    Bei uns geht es definierte Pflichten / Gesetze!

    • @Peter Meisel:

      Spätestens mit der Erklärung der Unabhängigkeit hat die katalanische Regionalregierung gegen die spanische Gesetze verstoßen. Wo sollte das Problem liegen? Zu welchem Ergebnis kommt der von Ihnen angeregte Vergleich? Ist doch alles in Ordnung.

  • Hier, was der spanische Schrifsteller Javier Cercas zu dem neuen katalanischen Ministerpräsidenten mitzuteilen hat: https://elpais.com/e...502_232076.html

     

    Jaoquim Torra ist offenbar sozusagen der katalanische Nigel Farage.

    Viele Grüße aus Berlin,

    Peter Kultzen

    • @Peter Kultzen:

      - pardon, so klappt der Link (hoffentlich): https://elpais.com/elpais/2018/05/14/opinion/1526318502_232076.html

      • 8G
        82236 (Profil gelöscht)
        @Peter Kultzen:

        Auch die sehr linke spanientreue Bügermeisterin von Barcelona Ada Colau ist sehr geschockt.

        //http://www.publico.es/politica/quim-torra-colau-manifiesta-profundo-rechazo-democratico-tuits-president-torra.html

         

        Aber ist Torra nicht das katalanische Ebenbild von Rajoy und seiner rechtsnationalistischen Clique in Madrid?

        Nationalismus provoziert Nationalismus und die "heimlichen" Verehrer des Caudillos in Madrid kriegen jetzt die Rechnung aus Barcelona präsentiert für ihre unnachgiebige Haltung. Aber denen ist aus Symphatie wohl ein Faschist lieber als ein Sozialist wie Oriol Junqueras, der von den Madrider Franquisten in den Knast gesteckt wurde.

        • @82236 (Profil gelöscht):

          Rajoy mag auf seinem Nachttisch vielleicht ein Foto von Franco stehen haben, zumindest hat er aber nie Mitmenschen als Hyänen, Bestien, usw. verunglimpft, oder krude Rassendiskussionen geführt.

           

          Ein man wie "Kim" Torra wurde offensichtlich als Präsident ausgewählt um eine Eskalation zu provozieren. Fachlich ist der Mann ohnehin inkompetent, versteht allenfalls etwas von Versicherungen und Finanzanlagen.

           

          Auch die deutsche Presse sollte hier etwas tiefer recherchieren, hier ein Link zum Thema (spanisch) https://www.larazon.es/espana/el-nacionalsocialista-kim-BP18356474

          • @Diego:

            Wenn Sie über ein Artikel sprechen, sollten Sie nicht die parteiische Zeitung La Razón lesen, sonst direkt den Artikel. In diesem Artikel Quim Torra schreibt ironischeweise über die intolerante Spanier, nicht über die Spanier. Intolerante Leute gibt es in Spanien, in Katalonien, in Deutschland und überall und man darf Ironie über ihnen machen.

  • Es gab in der letzten zwei Jahren eine Vielzahl von Anlässen, welche Herr Wandler mit den Worten "Jetzt ist Europa gefragt" kommentiert hat. Fast schon inflationär.

     

    Dabei ist und bleibt es eine innerspanische Angelegenheit. EU-Angelegenheiten werden nicht tangiert.

     

    Auch Fragen zum europäischen Haftbefehl und dem damit verbundenen Auslieferungsersuchen begründen hinsichtlich der Gesamtangelegenheit keine EU Zuständigkeit.

    • @DiMa:

      Wenn sie sehen, wie ihr Nachbar seine Frau misshandelt, verbal oder physisch, ist das dann eine innerfamiliäre Angelegenheit? Schauen Sie dann peinlich berührt zur Seite oder ergreifen Sie Partei? Je länger der Konflikt schwelt, je länger friedliche und unschuldige Aktivisten und Rapper in U-Haft oder gar Haft sitzen, desto europäischer wird die ganze Geschichte. M.Rajoy sollte endlich gehen. Das meinen auch seine eigenen Wähler.

      • @Priest:

        Ich kann nicht einschätzen, ob die "eigenen Wähler" meinen, dass Herr Rajoy endlich gehen solle. Das werden spätestens die nächsten Wahlen entscheiden. Die EU darf sich ungeachtet dessen nicht einmischen.

      • @Priest:

        Aufgaben und Zuständigkeiten der EU sind klar definiert. Die Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten gehört nicht dazu. Ferner ist Spanien ein Mitglied. Wie sollte die EU in dieser Situation als unabhängige Instanz auftreten.

         

        Es besteht die Gefahr, dass der Behaptung von Herrn Wandler Glauben geschenkt wird. In diesem Fall könnte eine Entäuschung über die EU entstehen oder sogar von einem möglichen Fehlverhalten der EU ausgegangen werden (was nicht vorliegt). Hierdurch wird das Ansehen der EU grundlos geschädigt.

         

        Die EU ist gerade kein Nachbar. Daher passt der Vergleich nicht. Als unabhängige Vermittler kommen beispielsweise die USA o

        • 6G
          64836 (Profil gelöscht)
          @DiMa:

          Was wollen sie uns kommunizieren? Dass die spanischen Verantwortungsträger folgenlos die Demokratie mit Füssen treten dürfen? Unsere Bürgschaft sollte einem Land, welches die Anforderungen an ein Beitrittsland nicht erfüllt, nicht länger gewährt werden, ganz einfach. Und dieses Land Spanien muss, so wie Polen und Ungarn, für die Verletzung von EU-Grundsätzen, abgestraft werden. Insbesondere EU-Auslieferungsanträge dürfen nicht angewendet werden, da in Spanien Rechtsstaatlichkeit nicht garantiert ist. Die Auslieferungsabkommen hätte es wegen der GAL Todesschwadronen sowieso nie geben dürfen.

  • Die EU hat es ganz klar als Innere Angelegenheit definiert und sich so auf die Seite Spaniens gestellt.

     

    Warum sollte die EU ihre Position jetzt ändern?