Kommentar Wahlen in Wien: Nicht sehr beruhigend
In Österreich geht vor der Abstimmung in der Hauptstadt die Angst um. Sorgt eine starke FPÖ dafür, dass das Land ein Orbanistan II wird?
S eit knapp hundert Jahren regiert in Wien die SPÖ als mit Abstand stärkste Partei – nur unterbrochen von 12 Jahren Diktatur. Das hat die Stadt geprägt, das „Rote Wien“ hat Legendenstatus. Doch erstmals in der Geschichte demokratischer Wahlen könnte es am kommenden Sonntag knapp werden.
Die rechtsradikale FPÖ ist den Sozialdemokraten knapp auf den Fersen. Rot-Grün kämpft um die Mehrheit. Noch immer ist die wahrscheinlichste Variante, dass Rot-Grün die Mehrheit in der Stadt knapp verteidigt. Aber es gibt auch ein Worst-Case-Szenario: Die SPÖ verliert massiv, die FPÖ gewinnt massiv, sodass beide Parteien praktisch gleichauf sind und dann eine der beiden die Nase vorne hat. Dann ist die rot-grüne Mehrheit weg und ohne die Freiheitlichen sind rechnerisch nur mehr Dreiparteienkoalitionen möglich.
Die Hauptgründe dafür sind der grassierende Verdruss am politischen System im Allgemeinen und die Sklerose der im Bund gemeinsam regierenden Sozialdemokraten und Christdemokraten im Besonderen. Die „Flüchtlingskrise“ – genauer: die zunehmend alarmistische Rhetorik à la „wir können doch nicht alle nehmen“ – sorgt vielleicht noch für einen zusätzlichen Swing von ein paar Prozenten.
Die SPÖ in Wien führt unter ihrem Langzeitbürgermeister Michael Häupl einen lupenreinen „sozialistischen“ Wahlkampf, also links, humanitär motiviert, ohne Anbiederung an rechts. Wenn es einigermaßen gut ausgeht, dann ist das auch ein Beispiel dafür, dass man mit Haltung und klarer Abgrenzung dem Rechtspopulismus beikommen kann – mit Beispielwirkung über Österreich hinaus.
Gefahr eines Richtungskampfes
Was aber kommt, wenn es ganz schlimm kommt? Dann ist nicht auszuschließen, dass noch am Wahlabend in einer schwer geschlagenen SPÖ ein Richtungskampf ausbricht. Diejenigen, die eine Koalition mit Heinz-Christian Strache und seinen Freiheitlichen favorisieren, gewinnen die Oberhand. Die bisher so machtvolle SPÖ Wien zerbricht an dieser Frage.
Es gibt dann möglicherweise eine SPÖ-FPÖ-Koalition, vor allem aber politisches Totalchaos. Turbulenzen dieser Größenordnung in Wien, dem Gravitationszentrum der österreichischen Politik, würde auch die Bundesregierung kaum überstehen. Im schlimmsten aller Fälle gibt es in absehbarer Zeit Neuwahlen und die FPÖ ist stärkste Partei. In den Umfragen für Nationalratswahlen führt sie seit Monaten mit sattem Abstand.
Wie gesagt: All das ist noch immer nicht wahrscheinlich. Aber es ist auch nicht mehr völlig auszuschließen, dass Österreich zum Orbanistan II wird.
Nicht sehr beruhigend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader