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Kommentar Wahl in ÖsterreichEin Erdrutsch der Vernunft

Robert Misik
Kommentar von Robert Misik

Erleichterung. Zu verdanken ist der Sieg Van der Bellens einer nie da gewesenen Grassroots-Bewegung. Aber Glücksgefühle sind fehl am Platz.

Alexander Van der Bellen kommt in der Wiener Hofburg an Foto: dpa

W enigstens dieser Kelch ist an uns vorübergegangen: In Österreich gelang es jetzt das zweite Mal innerhalb von sieben Monaten, den rechtsradikalen Norbert Hofer als Bundespräsidenten zu verhindern. Weit deutlicher als beim ersten Durchgang liegt der linksliberale Ex-Grünen-Chef Alexander Van der Bellen laut Hochrechnungen vorne. Nach Brexit-Schock und Trump-Überraschung ist die Dezember-Surprise von der erfreulicheren Art. Stellenweise ist das Ergebnis ein Erdrutsch.

Zu verdanken ist das einem engagierten Wahlkampf und einer nie da gewesenen zivilgesellschaftlichen Grassroots-Bewegung, die dazu geführt hat, dass so ziemlich alles, von christdemokratischer Mitte bis zur Linken, am Sonntag zum Wählen gebracht wurde, dass alle in ihrem Bekannten- und Familienkreis mobilisiert haben. Das gab dann letztlich den Ausschlag.

Allemal Grund zur Erleichterung. Aber Glücksgefühle sind fehl am Platz. Denn immer noch haben genügend Wähler und Wählerinnen einen Mann und damit auch die hinter ihm stehende Partei gewählt, die das Land mit einer Welle von Lügen, von Hass und von persönlicher Verächtlichmachung aller Gegner überzogen haben, die JournalistInnen an den Pranger stellten. Die Politik des permanenten Zwietrachtsäens hat nicht die Mehrheit erobert. Aber vergessen wir dennoch nicht: Die rechtsradikalen Freiheitlichen haben einen Wähleranteil gewonnen, von dem sie bisher nur träumen konnten.

Die pluralistischen Demokratien werden, wenn sie nicht im Sumpf der permanenten Aggressivität untergehen wollen, den der rechte Populismus produziert, Wege finden müssen, diesen Stil als solchen zu bekämpfen, ihm den Raum zu entziehen.

Immerhin – ein Anfang ist in Österreich jetzt gemacht. Der Wahlsonntag war auch eine Art stiller Aufstand gegen diesen Stil; ein stiller Aufstand von Wählerinnen und Wählern, die mit der leisen Stimme der Vernunft Nein gesagt haben. Die Allianz völlig neuer politisch Engagierter, die sich für Van der Bellen – und damit für ihr Land – in den vergangenen Wochen ins Zeug gelegt haben, ist ein Potenzial zur Erneuerung der Politik.

Ein Potenzial, aus dem die demokratischen Parteien etwas machen sollten. Denn nach der Wahl ist vor der Wahl.

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Robert Misik
Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.
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20 Kommentare

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  • 51,7:48,3.

     

    Erdrutsch?!

     

    Klar - sind ja fast 3% mehr für vdB!

  • Bei aller Freude darf man nicht vergessen, daß fast 50% eines demokratischen Europäischen Staates einem rechtsradikalen Rattenfänger erlegen sind.

     

    Der Begriff "Warnsignal" wäre hier die Untertreibung des Jahrhunderts!

    • @Nachtvogel:

      Man kann es auch anders ausdrücken. Die FPÖ ist kurz davor, die absolute Mehrheit zu erreichen. Eigentlich kein Grund zum Jubeln.

  • Ein Allparteibündnis, dass gegen den Kandidaten einer einzelnen Partei mit 54:46 gewinnt ist mit Verlaub kein Erdrutschsieg.

    • @insLot:

      Das war kein Allparteienbündnis. Die beiden ehemaligen Volksparteien haben sich nicht ausdrücklich - die ÖVP sogar ausdrücklich nicht - auf die Seite van der Bellens gestellt.

    • @insLot:

      Der aktuelle Stand ist 48,3 : 51,7. Das ist noch nicht einmal besonders deutlich. Aber wenn man Radio und Fernsehen einschaltet, könnte man denken, Hofer hat eine krachende Niederlage von 30 : 70 erlitten. Ein ziemlicher Selbstbetrug....

  • "Aber vergessen wir dennoch nicht: Die rechtsradikalen Freiheitlichen haben einen Wähleranteil gewonnen, von dem sie bisher nur träumen konnten."

     

    Sehr richtig. Außerdem sollte man nicht vergessen. Zum Schluss gab es die Wahl zwischen Hofer und Nicht-Hofer. Es hat noch einmal für den Nicht-Hofer gereicht. Auch wenn das schön ist. Es berechtigt nicht zur Selbstzufriedenheit. Wenn die etablierte Politik aus dem Ergebnis ableitet, dass sie ruhig so weiter machen kann, dann bekommt der "Hofer" das nächste Mal die fehlenden Stimmen.

     

    Allerdings befürchte ich, dass dieser glückliche Ausgang in einem kleinen EU-Land von unseren Häuptlingen fälschlich als Bestätigung ihrer Politik aufgefasst wird.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Sie haben wohl recht. Die ersten Stellungnahmen etlicher Politiker der etablierte Parteien lassen genau das befürchten:

       

      Weiter so auf europäischer und auch auch deutscher Ebene, lautet die Devise. Das wird nicht funktionieren....

      • @Urmel:

        "Ein Weiter-So darf es nicht geben!"

        Das hört man nun schon seit geraumer Zeit von allen möglichen haupt- und ehrenamtlichen Kommentatoren. Ja, WAS darf denn nicht so weitergehen, und WIE sollte es stattdessen gemacht werden? Wenn sich besagte Kommentatoren auch dazu mal auslassen würden, wäre es mit deren Einigkeit wohl schnell vorbei. Würde mich nicht wundern, wenn das auch meinen beiden Vorkommentarschreibern so ginge...

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Das sehe ich auch so. Ein alter Mann von den Grünen soll`s richten. Eine naive Annahme.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    "Erdrutsch" ist wohl mächtig übertrieben. Das war knapp und sollte eher als Warnung verstanden werden, v.a. angesichts der Tatsache, dass vor 6 JAhren FPÖ bei ca 15% lag.

    Immerhin ist Österreich ein LAnd mit einem viel kleineren Niedriglohnsektor und einem Rentensystem dessen Gestaltung nicht von Arbeitgebern und Versicherungen diktiert wird.

    Felix Austria?

    • @10236 (Profil gelöscht):

      Seh ich auch so. Die haben sich (noch) nicht so verkaufen lassen wie wir in D. Und dennoch hat die FPÖ so viele Stimmen.

       

      Frage mich ja schon seit einigen Jahren, wer alles den "Reichenparteien" CDSU, SPD, FDP die Stimmen schenkt. So viele Reiche gibts hier doch gar nicht.

  • 6G
    628 (Profil gelöscht)

    Ein "Erdrutsch der Vernunft" wäre es gewesen, wenn VdB 70% geholt hätte. So bleibt es ein knapper Sieg über knallharte Rechte, der etwas deutlicher ausgefallen ist als erhofft.

    Und weil hier Stilfragen angesprochen wurden: Politische Bewegungen/Parteien, die eine aggressive Ideologie verfolgen, pflegen naturgemäß einen aggressiven Stil. Diesem Stil 'Raum entziehen' zu wollen, dürfte sich als schwierig herausstellen, weil auch solche Stile in einer Demokratie in gewissen Grenzen erlaubt sind. Eher müsste man sich die Frage stellen, warum eine politische Partei, die einen solchen Stil pflegt, von fast 50% der Bevölkerung gewählt wird. Und das bitte ohne irgendwelche Träumereien, die ein Zweckbündnis zur Verhinderung des Supergaus als 'Potential zur Erneuerung der Politik' sehen will.

  • Meines Erachtens kein Grund zum jubeln. VDB wird Bundespräsident, aber erschreckende 48% der Wähler haben für Hofer gestimmt!

    • @Thiemo4:

      Vielleicht finden ja 48% TTIP scheiße - dass der Grüne ja so befürwortet :)

  • ;) kann gar nicht oft genug gesagt werden!

     

    Rober Misik hat aber zu recht den Finger

    In die Wunde gelegt -

    Der Käse ist noch alllang nicht gegessen -

    Sondern stinkt grad schwer vor sich hin.

    Alles dafür - daß das der point of return wird.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      "Alles dafür - daß das der point of return wird."

      Hoffen wir, für Frankreich und nicht zuletzt für uns, dass gegen den Rechtspopulismus Wahrhaftigkeit, Vernunft und Augenmaß die Oberhand wiedergewinnen.

  • Man muss sich dies einmal auf der Zunge zergehen lassen - ein Grüner als letztes Bollwerk gegen den Rechtpopulismus. Glückwunsch an Van der Bellen!

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Hans aus Jena:

      Genau dem will ich widersprechen:

      Er darf nicht das "letzte Bollwerk" sein, weder das letzte noch das Bollwerk, das er nicht ist und nicht sein will.

      Die Wähler sind das Bollwerk, wenn wir wollen - auch nicht das letzte (Mal).

  • Man muss sich dies einmal auf der Zunge zergehen lassen - ein Grüner als letztes Bollwerk gegen den Rechtpopulismus. Glückwunsch an Van der Bellen!