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Kommentar Waffenruhe in der UkraineZeit für Zugeständnisse

Bernhard Clasen
Kommentar von Bernhard Clasen

Der Friedensprozess wird weiter angeschoben. Doch mit Russland muss genauso verhandelt werden wie mit den Aufständischen.

Mal keine Raute: die Hände des ukrainischen Premierministers Groysman, während er neben Aryault und Steinmeier steht (nicht im Bild) Foto: ap

S eit Mitternacht schweigen in der Ukraine die Waffen. Wieder einmal. Es ist von hoher Symbolkraft, dass der Waffenstillstand dieses Mal in Kiew verkündet wurde. Dies zeigt, dass keine Entscheidung an Kiew vorbei getroffen werden kann und dass die Ukraine auf dem diplomatischen Parkett noch aktiver werden muss.

Der Weg zur Rückgewinnung des Donbass führt über die Herzen der Menschen dort. Mit Schüssen auf Wohnhäuser und Bushaltestellen, einer Wirtschaftsblockade, Rufe wie „Tod dem Feind“, wie sie regelmäßig auf dem Maidan zu hören sind, und der Streichung der Renten kann man aber keine Herzen gewinnen. Kiew muss eine Antwort auf die Befürchtungen der Bevölkerung im Donbass haben. Deswegen muss eine Amnestie her für alle, die gekämpft haben, Kriegsverbrecher natürlich ausgenommen.

Georgien könnte ein Vorbild sein. Auch dort gibt es Separatisten, die nur dank militärischer Hilfe aus Russland politisch überleben können. Doch in Georgien gibt es auf zivilgesellschaftlicher und staatlicher Ebene einen Dialog mit den aufständischen Gebieten, das Land hat ein eigenes Versöhnungsministerium, das sich aktiv in diesen Dialog einbringt.

Und Moskau? Steinmeier hat von Moskau die Zusage erhalten, dass die Waffen schweigen werden. Nur wer selbst schießt, kann zusagen, damit aufzuhören. Nun gilt es, an einem Abzugsplan der russischen Soldaten aus dem Donbass zu arbeiten.

Mit Russland verhandeln

Kiew wird sich auf Zugeständnisse wie die Gewährung eines Sonderstatus im Donbass, Kommunalwahlen in Donezk und Lugansk und auf eine Amnestie einlassen müssen. Im Gegenzug müssen westliche Länder der Ukraine etwas anbieten: Kredite und Visafreiheit. Dass der IWF der Ukraine nach einjähriger Pause wieder einen Milliarden-Kredit auszahlt, ist darum erfreulich. Die Ukraine will den neuen Kredit zur Aufstockung der Devisenreserven nutzen. Schade: In Sozialleistungen wäre das Geld besser investiert.

Am heutigen Donnerstag werden die Außenminister Deutschlands und Frankreichs, Steinmeier und Ayrault, die von Kiew kontrollierte Stadt Kramatorsk im Donbass besuchen. Doch warum bleiben sie auf halbem Weg stehen und fahren nicht weiter nach Donezk? Wer mit der russischen Führung verhandelt, sollte dies auch mit der Führung in Donezk und Lugansk tun. Der Krieg in der Ukraine ist ein Krieg Russlands gegen die Ukraine. Gleichzeitig ist er aber auch ein innerukrainischer Krieg. Und genau deswegen muss mit Russland genauso verhandelt werden wie mit den Aufständischen.

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Bernhard Clasen
Journalist
Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.
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2 Kommentare

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  • Wie war das noch mal ? Wenn ich mich richtig erinnere , war Kiew 2014 mit allem , was es militärisch aufzubieten hatte (Panzer , schwere Artillerie , Raketen , Luftwaffe) , auf die Separatisten in Städten und Dörfern des Donbass losgegangen , wobei Kiew von Beginn an die Separatisten als Terroristen bezeichnet hat . Klar , ging nicht anders . Wegen der Wahrung der territorialen Integrität .

     

    O my goodness ! Nicht auszudenken , was passiert wäre , wenn das Referendum der Schotten zu einer Abtrennung von England geführt hätte . Noch mal Glück gehabt , ihr Dudelsäcke in Kiltröcken !

  • Wie bitte? Der IWF zahlt der Ukraine einen Milliarden-Kredit aus und die steckt ihn ins Sparschwein? Das klingt doch nicht nach Unterstützung. Das klingt nach einem Geschenk für irgendwelche Banken, die von den Zinsen solcher "Wohltaten" leben, die außer ihnen niemandem wohl tun!

     

    Übrigens: Dass Steinmeier und Ayrault auf halbem Weg stehenbleiben und nicht weiter nach Donezk fahren, könnte damit zu tun haben, dass Kiew diesen Krieg ums Verrecken nicht als innerukrainischen Konflikt anerkennen will. Für Kiew ist Russland ein Aggressor. Und mit Aggressoren verhandelt man nicht, wenn man stark ist oder starke Freunde hat. Es geht also um den Gesichtsverlust, vor dem sich alle Seiten fürchten – und darum, dass man jeden Euro nur einmal ausgeben kann. Ein Habenichts, der jemandem was schenken will, was er sich vorher erst borgen muss, kann nicht gleichzeitig auch noch an diejenigen etwas verteilen, die erst noch von der Sinnhaftigkeit des Friedens überzeugt werden müssten, schätze ich.