Kommentar "Visa-Warndatei": Verdächtige Gastfreundschaft

Die Aufregung um den "Visa-Missbrauch" erwies sich seinerzeit als substanzlos. Trotzdem will nun die Koalition die Daten harmloser Gastgeber speichern.

Die große Koalition schießt mal wieder über das Ziel hinaus. Um Visa-Missbrauch, Menschenhandel und Zwangsprostitution zu verhindern, soll in einer zentralen Datei jeder gespeichert werden, der visumspflichtige Ausländer einlädt. Betroffen sind Privatpersonen mit Verwandten im Ausland, mittelständische Betriebe mit weltweiten Kontakten und sogar Gesangsvereine, die mit ausländischen Chören den Austausch pflegen.

Damit sollen sogenannte Vieleinlader identifiziert werden, weil gelegentlich Schleuser, Menschenhändler und ihre Komplizen dutzendweise illegale Migranten zu "Besuchen" und "Geschäftsterminen" einluden. Natürlich sind die meisten Vieleinlader vollkommen unverdächtig, das räumen auch die Innenpolitiker der großen Koalition ein.

Warum werden dann aber die unproblematischen Einladungen überhaupt gespeichert? Es würde doch genügen, nur solche Einlader in eine Warndatei aufzunehmen, bei denen es Hinweise auf Missbrauch gab. Etwa wenn die Einladenden falsche Angaben gemacht haben oder ihrer Verpflichtung als Bürge nicht nachkamen. Mit einer solche Warndatei könnten sich die Botschaften und Konsulate auf die Fälle konzentrieren, bei denen es Grund zum Misstrauen gibt.

Eine allgemeine Vieleinlader-Datei hingegen führt dazu, dass zehntausende Personen unnötig überprüft werden müssen und in Dateien landen, für die sich in Zeiten des globalen Terrors natürlich auch Staatsschutz und Geheimdienste interessieren. Hinzu kommt, dass einzelne Botschaften jetzt schon lokale Vieleinlader-Dateien führen dürfen. Daher bringt eine bundesweite Datei ohnehin kaum einen zusätzlich Nutzen.

Natürlich war damals die Aufregung um den vermeintlichen massenhaften Visa-Missbrauch unter Rot-Grün sehr groß. Doch sie hat sich letztlich als substanzlos entpuppt. Ein Anstieg der Zwangsprostitution war nicht festzustellen, und illegale Bauarbeiter sind vor allem nach Portugal weitergereist, wo sie beim Bau der Stadien für die Fußball-EM hochwillkommen waren. Die pure Angst vor Visa-Missbrauch kann eine Vieleinlader-Datei daher nicht rechtfertigen.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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