Kommentar Videoüberwachung: Mehr Schaden als Sicherheit
Es geht nicht um die Aldi-Mitarbeiter. Das Filmen weiblicher Kunden in kurzem Rock ist Teil einer öffentlichen Überwachungsstruktur, die einen solchen Missbrauch zulässt.
D ieses Mal also Aldi. Mitarbeiter sollen weibliche Kunden gefilmt haben, die zum Beispiel in kurzem Rock vor einem Regal knieten. Lagerarbeiter sollen überwacht und das Eingabegerät für die Geheimzahl im Kassenbereich aufgenommen worden seien. Aldi rechtfertigt sich, das Fehlverhalten eines Einzelnen könne eben nicht ausgeschlossen werden. Doch die Diskussion darüber, ob es sich nun um Einzelfälle handelt, geht an der Sache vorbei. Das Problem ist vielmehr die Überwachungsstruktur in der Öffentlichkeit, die derartigen Missbrauch möglich macht.
Die Videoüberwachung im Supermarkt – und da ist Aldi kein Einzelfall, wie die Skandale der vergangenen Jahre zeigen – ist von einem gesunden Verhältnis zwischen einem vermeintlichen Sicherheitsgewinn auf der einen und dem Schaden oder Missbrauchspotenzial auf der anderen Seite weit entfernt.
Nicht nur die großen Ketten, fast jeder Spätkauf hat heute eine Kamera in seinem Laden hängen und filmt damit Regale, Kunden, Mitarbeiter, manchmal auch ein Stück Gehweg samt Passanten, oft ohne darauf hinzuweisen. Schon gar nicht wissen die Betroffenen, ob nur gefilmt oder auch gespeichert wird und was mit dem Material passiert.
ist Redakteurin im Ressort Wirtschaft und Umwelt der taz.
Videoüberwachung ist billig, vor allem im Vergleich zu Personal. Das macht sie beliebt, nicht nur bei Supermarkbetreibern. Doch die Kameras verhindern keine Straftaten. Auch das Sicherheitsgefühl steigern sie nicht wesentlich, das ergab eine Untersuchung im öffentlichen Nahverkehr. Manchmal – aber nicht einmal in jedem Fall – kann die Videoüberwachung zur Aufklärung beitragen. In erster Linie führt sie zu einer Verlagerung der Taten.
Spätestens das zeigt: Videoüberwachung ist eine Maßnahme, die so sehr die Persönlichkeitsrechte von Menschen beschneidet, dass sie nur ganz ausnahmsweise eingesetzt werden sollte. Beim potenziellen Diebstahl einer Packung Nudeln ist das sicher nicht notwendig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“