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Kommentar VerfassungsschutzberichtSchulterschluss mit den Muslimen

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Islamistischer Extremismus rückt wieder in den VS-Fokus, speziell die salafistische Szene. Eine Kriminalisierung kann keine Lösung sein.

Gefährliche Salafisten? Anhänger des Predigers Pierre Vogel im September 2013 in Frankfurt/Main. Bild: dpa

D ie Not schweißt selbst ehemalige Gegner zusammen. Das Erstarken der radikalen Isis-Brigaden, die im Irak und in Syrien inzwischen eine ganze Region unter ihre Kontrolle gebracht haben, lässt jetzt die USA und den Iran, zwei ehemalige Todfeinde, näher zusammenrücken.

Der Konflikt strahlt auch auf Europa aus. Da ist es nicht überraschend, dass auch hierzulande langsam alte Fronten aufweichen. Als Innenminister Thomas de Maizière am Mittwoch in Berlin den Verfassungsschutzjahresbericht vorstellte, nahm er den gewalttätigen islamistischen Extremismus in den Fokus.

Aus gutem Grund, hat doch der Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel, dem vier Menschen zum Opfer fielen, erst kürzlich gezeigt, welche Gefahr von radikalisierten Syrien-Rückkehrern ausgehen kann. Und langsam drohen die Behörden den Überblick zu verlieren, wer so alles mit welcher Absicht zwischen Europa und dem Nahen Osten hin und her reist.

Besonders die stetig wachsende salafistische Szene beäugt der Verfassungsschutz mit Sorge. Der Konflikt in Syrien ist ein Kristallisationspunkt geworden, der sie aufwühlt und ihre Anhänger mobilisiert. Doch sollte man sich vor Verallgemeinerungen hüten: Wer sich wie ein Salafist kleidet, muss noch lange nicht Gewalt befürworten. Und umgekehrt gilt, dass nicht alle, die nach Syrien ausgereist sind, über salafistische Kreise den Weg dorthin gefunden haben.

Herausforderung für etablierte muslimische Verbände

Der Salafismus stellt aber auch für die etablierten muslimischen Verbände in Deutschland eine Herausforderung dar. Denn mit seinen Predigern, die die Sprache der Jugend sprechen, macht er ihnen zunehmend Konkurrenz. Der Staat muss den Schulterschluss mit den etablierten Verbänden suchen und ihnen helfen, einer Radikalisierung junger Muslime vorzubeugen.

Das heißt aber auch, dass er diese Verbände nicht selbst kriminalisieren darf, wie dies oft genug noch immer geschieht. Die Aufgabe der Sicherheitsbehörden sollte darin bestehen, Gewalttaten zu verhindern – nicht darin, Gesinnungspolizei zu spielen.

Gegen antidemokratische und minderheitenfeindliche Einstellungen vorzugehen, die auf ihre Weise das friedliche Zusammenleben bedrohen, ist eine Aufgabe der Gesellschaft. Und da ist die Gefahr, die von Islamisten in Deutschland ausgeht, noch immer marginal im Vergleich zu der Bedrohung durch den Rechtsextremismus.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
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6 Kommentare

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  • "Gegen antidemokratische und minderheitenfeindliche Einstellungen vorzugehen, die auf ihre Weise das friedliche Zusammenleben bedrohen, ist eine Aufgabe der Gesellschaft. Und da ist die Gefahr, die von Islamisten in Deutschland ausgeht, noch immer marginal im Vergleich zu der Bedrohung durch den Rechtsextremismus."

     

    Ich verstehe Sie nicht, Herr Bax. Aus der Perspektive eines Migranten, dem man es ansieht, sind radikale Moslems eine deutlich größere Gefahr als dumme Neonazis. Schließlich legen die mir nicht hinterrücks eine Bombe unter den Arsch, sondern fordern mich meist nur unhöflich zum Wechseln der Straßenseite auf. Und nicht einmal das passiert mir öfter als alle zehn Jahre. *Auf Holz Klopf*

     

    Marginal ist die Gefahr auf jeden Fall nicht. Ganz davon abgesehen, dass die Extremisten natürlich selbst schützenswert sind. Wie können wir es zulassen, dass junge Menschen von solchen Religionsfaschisten in Kriege geschickt werden? Vielleicht liegt es daran, dass die Zeitungen sie bis vor kurzem noch verniedlicht "Aktivisten" oder "Freiheitskämpfer" nannten und Aktivist sein hört sich ja gar nicht so schlecht an...

  • Die vielleicht unangenehme Frage ist doch, ob der Verfassungsschutz sich in Form der Salafisten nicht eigene Feinde konstruiert, um seine Existenz damit zu begründen. Wie debil der VS ist, kann man beim NSU-Prozess sehen. Dieser Geheimdienst ist a) kaum geheim, b) liefert er nur Schund, c) meist teuer erkauft, durch Straffreiheit für Gewalttäter und viel Geld (eigentlich für Wissen, das der VS längst haben sollte). Wenn der VS so vorgeht, wie in der rechten Szene, dann wird vieles a) nicht stimmen, b) selber hergestellt worden sein und c) sich langfristig als Fehlprognose erweisen wird.

     

    Kurz: Ich glaube nicht an den deutschen Geheimdienst. Seine Arbeitsweise verfälscht, führt auf gefährliche Ebenen. Wíe viele Spitzel in der Islamistenszene unterwegs sind, was sie machen und wie sie es machen, wissen wir doch gar nicht.

    Aber der öffentliche Eindruck scheint zu belegen, dass wir einen Verfassungsschutz dringen brauchen. Wirklich? Nein, behaupte ich.

  • Sehr geehrter Herr Bax,

     

    ob es sich um "weltliche" oder "Religions-" Faschisten ahndelt ist eigentlich genauso egal, wie deren Kleidungsstil; der einen denkenden Menschen eben zur Vorsicht mahnt.

     

    Ansonsten lohnt es nicht sich den absurden Gefahrenschwurbeleien des BMdI zu folgen. Es gibt abstrakte und konkrete Gefahren, kein politisches Wunschkonzert zur Begründung von mehr Massenüberwachung.

     

    "Unsere" politische Klasse fürchtet lediglich das an dem Konflikt religiöser Extremisten mit dem Rest der Gesellschaft offenkundig wird, wie sehr an Schutzpolizei etc zugunsten von Überwachungsstaatsstrukturen egspaart wurde; und wie wenig dieser Überwachungsstaat gegen Extremisten schützt!

    Außerdem eine latente Angst dass so ein Unzufriedener Frömmler vielelicht doch einmal eine Panzerfaust auf einen "wertvollen" Politiker einsetzt...

     

    Um die innere Sicherheit der Bevölkerung geht es lange nicht, um eine "Gesinnungsjustiz auch nicht, hier wird bloß um die mediale Deutungshoheit gekämpft!

     

    Glück auf!

     

    Karl

  • D
    D.J.

    "Wer sich wie ein Salafist kleidet, muss noch lange nicht Gewalt befürworten."

     

    Das ist richtig. Aber was ist mit solchen, die zwar aktuell Gewalt nicht befürworen, deren Endzeil aber nichtsdestotrotz klar ist: Etablierung eines Staates, in dem Schwule, Atheisten, Schiiten und andere "Abtrünnige" kein Lebensrecht haben? Ist es gestattet, dass ich auch mit denen ein Problem habe, auch wenn ein solches Ziel glücklicherweise hierzulande unrealistisch ist? Wobei ich auch keine fertige Lösung habe - außer die Gewissheit, dass es in Richtung mehr Aufklärung gehen muss statt weniger.

  • "ist die Gefahr, die von Islamisten in Deutschland ausgeht, noch immer marginal im Vergleich zu der Bedrohung durch den Rechtsextremismus"

     

    Wenn ich die schiere Anzahl unberücksichtigt lass und vor das eine Auge eine Lupe halte und vor das andere ein Mikroskop, komme ich auch zu dieser Einschätzung

  • "Toleranz ist gut, aber nicht gegenüber Intoleranten." W. Busch