Kommentar VW-Abgasaffäre: Das dicke Ende kommt noch
Ex-VW-Chef Winterkorn steht in den USA wegen Abgasbetrugs vor Gericht. Auch das deutsche Strafrecht zeigt jetzt den Willen zur Aufklärung.
D ie US-Justiz will den früheren VW-Chef Martin Winterkorn wegen der Abgasmanipulationen vor Gericht stellen. Hierzulande ermitteln verschiedene Staatsanwaltschaften seit Jahren, ohne dass es zu einer Anklage gegen die Führung des größten Autobauers der Welt gekommen wäre. Das legt die Frage nahe, ob VW hierzulande etwa geschont werden soll. Doch eine Erklärung nach dem Muster „die Kleinen fängt man, und die Großen lässt man laufen“ ist zu einfach.
So kooperieren die US-Ermittler schon lange mit ihren Kollegen in Braunschweig und Stuttgart. Wenn deren Anklageschrift stichfeste Beweise für eine frühe Kenntnis des einstigen Vorstandschefs über illegale Abschalteinrichtungen enthält, drohen sowohl Winterkorn als auch VW massive Strafen. Den Konzern könnte es in einem anderen Verfahren weitere Milliarden kosten. Denn Aktionäre klagen auf Schadenersatz, weil sie nicht rechtzeitig über die in den USA drohenden Sanktionen informiert worden seien. Lässt sich dies mit Hilfe der Behörden jenseits des Atlantiks beweisen, haben die Anleger gute Karten.
Das deutsche Strafrecht belangt nur Individuen. Winterkorn und anderen Betrug an den Kunden nachzuweisen, fällt naturgemäß schwer und kann lange dauern. Hinweise auf eine bewusste Verschleppung der Ermittlungen in Deutschland gibt es aber bisher nicht. Nach der neuerlichen Wendung steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es am Ende doch genügend Hinweise auf eine Mitwisserschaft von Beschäftigten an der Konzernspitze geben wird. Dann wird es für Winterkorn richtig ernst.
Denn eine Betrugsanklage in Deutschland kann am Ende auch eine Haftstrafe bedeuten. Sie würde zudem geprellten Kunden hierzulande einen neuen Ansatz für Schadenersatzforderungen geben, was wiederum weitere Forderungen nach sich ziehen könnte. Die Akte Abgasskandal ist noch lange nicht geschlossen.
Für den einen oder anderen mag das deutsche Wirtschaftsstrafrecht unbefriedigend sein, weil die Täter zu oft ungeschoren davon kommen. Doch spätestens mit den Steuerverfahren gegen prominente Manager ist der Wille erkennbar, im Rahmen der Gesetze auch hart gegen Täter vorzugehen. Die notwendige Zeit dafür sollte den Ermittlern auch im Fall VW zugestanden werden. Bis dahin gilt auch für Winterkorn die Unschuldsvermutung, nicht der Glaube an den Anschein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos