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Kommentar Umgang mit SalafistenBeihilfe zum Dschihad

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Einen deutschen Islamisten abzuschieben statt an der Ausreise zu hindern, ist absurd. Es täuscht über eigenes Versagen hinweg – und ist gefährlich.

Parolen vom oder für den Stammtiasch: Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Bild: dpa

D as Weltbild des Erhan A. ist erschreckend schlicht. Der 22-jährige Nachwuchs-Salafist findet den „Islamischen Staat“ irgendwie super, verharmlost dessen Gräueltaten und verteidigt die Enthauptung westlicher Geiseln, weil „ich glaub, das steht irgendwo im Koran“. Dümmer geht’s nimmer. Die Reaktion des bayrischen CSU-Innenministers Joachim Herrmann ist allerdings auch bemerkenswert einfältig. Nachdem er offenbar erst aus der Zeitung erfahren hat, wie der polizeibekannte Salafist aus Kempten im Allgäu so tickt, will er ihn prompt in die Türkei abschieben.

Der Umgang mit Erhan A. macht das ganze Dilemma des deutschen Umgangs mit radikalen Islamisten wie Erhan A. deutlich. Jahrelang hat die Bundesrepublik deren Ausreise in den syrischen Bürgerkrieg nicht nur gebilligt, sondern teilweise sogar aktiv befördert, nach dem Motto: aus den Augen, aus dem Sinn. Sollten doch andere sehen, wie sie mit diesen Verlierern der deutschen Gesellschaft fertig werden.

Doch jetzt, wo der „Islamische Staat“ auch für die Bundesrepublik zu einer Gefahr geworden ist und sich die Bundeswehr am Kampf gegen dessen Milizen beteiligt, hat sich die Haltung gedreht. Nun denkt die Union darüber nach, Dschihad-Sympathisanten nicht nur den Pass, sondern auch den Personalausweis wegzunehmen, um sie an einer Ausreise zu hindern.

Der bayerische Innenminister scheint diesen Kurwechsel aber noch nicht mitbekommen zu haben. Denn abgesehen davon, dass es fragwürdig ist, jemanden wie Erhan A. alleine wegen einer Meinungsäußerung ins Ausland abzuschieben, und falsch obendrein, die eigenen Integrationsprobleme auf die Türkei abwälzen zu wollen, wie es die CSU gerne tut, wirkt es unter den aktuellen Umständen nur absurd, ausgerechnet einen IS-Sympathisanten in die Türkei abzuschieben: Es klingt wie Beihilfe zum Dschihad.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
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32 Kommentare

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  • Erhan ist mitnichten ein "Verlierer der deutschen Gesellschaft", wie Bax es suggeriert. Er hat mindestens die Fachhochschulreife und studierte Wirtschaftsinformatik. Ihm standen die Tore zur Teilhabe an dieser Gesellschaft weit offen. Wenn er sich entschließt, einen anderen Weg zu gehen, ist dafür niemand anders verantwortlich zu machen als er selbst. Einigen ist nun mal nicht mehr zu helfen.

  • 8G
    889 (Profil gelöscht)

    Extremisten unter sich.

    • D
      D.J.
      @889 (Profil gelöscht):

      Gute Namenswahl!

      • 8G
        889 (Profil gelöscht)
        @D.J.:

        Danke!

  • Wir haben in Deutschland ca 8 Mio. Bürger mit ausländischer Staatsangehörigkeit, von den eingebürgerten Deutschen mal ganz zu schweigen.

    Eine Gruppe von sagen wir mal 1000 Dschihadisten ergibt 0,0125%.

     

    IS-Söldner kommen aus aller Herren Länder, z.B. übertrifft die Zahl derjenigen aus Belgien wohl die aus Deutschland.

     

    So recht verstehe ich daher nicht, womit dieses stereotype "Wir haben versagt" (nein, natürlich "Andere haben versagt") zu begründen ist. Es ist nicht zu begründen.

     

    Im Grunde genommen ein Schlag ins Gesicht derjenigen, die sich tagtäglich haupt- oder ehrenamtlich um die Probleme anderer Menschen kümmern...

    • D
      D.J.
      @Trango:

      Natürliche Form der Angstbewältigung. Wenn nur "WIR" schuldig sind, haben wir die Dinge ausschließlich selbst in der Hand. Eigentlich archaisches Denken, aber nach wie vor virulent.

  • Wohin wollt Ihr dann all eure NAZIS

    (z. B. Mitglieder der NPD und die Mitglieder der Partei der RECHTEN) abschieben? Diese ewiggestrigen Brauen sind anscheinend dann doch "lupenreine" Demokraten und stehen auch noch unter dem Schutz (siehe NSU-Fall) des Verfassungsschutzes? Für mich ist kein Unterschied, ob Salafist, Nazi, ISIS, die RECHTE/NPD-Mitglied! Für mich sind alle Verbrecher, die einen werden ausgewiesen, die anderen schön gutbürgerlich geduldet!

    • D
      D.J.
      @Malcon Gandie:

      Diese Logik ist doch immer wieder beeidruckend. Ich hätte überhaupt nichts gegen die Ausweisung anderer Rechtsextremisten, nicht nur von Dschihadisten, wenn dies rechtlich möglich ist. Quasi-Nazi Irving hat z.B. ein Einreiseverbot. Gut so.

      Warum soll ich die einen Rechtsextremisten, die ich ausweisen kann, nicht ausweisen, nur weil ich die anderen nicht ausweisen kann? Mir nicht eingängig.

    • 8G
      889 (Profil gelöscht)
      @Malcon Gandie:

      nach Bayern?

  • Ich mag einfach nicht glauben daß durchschnittlich intelligente Politiker der naiven Meinung sind, ein ausreisewilliger IS-Rekrut oder Terrorist ließe sich von einem Entzug irgendwelcher Reisedokumente von einer Reise in den Krieg abhalten. Es ist heutzutage sehr einfach ohne Kontrollen ans Mittelmeer zu kommen und auf dem Seeweg weiterzureisen. Von Sizilien oder Griechenland aus ist der nahe Osten schnell erreicht. Wer ein fanatischer Islamist ist, läßt sich von Ausreisevorschriften nicht so beeindrucken wie ein deutscher Postbeamter.

     

    Sicher ist es für Politiker stets angesagt über Schlagzeilen zu beweisen, daß sie "etwas tun". Wir verbieten denen einfach abzureisen und dann bleiben die hier und sind friedlich - wer soll das glauben ?

     

    Auch die Ausweisung nichtdeutscher Terrorverdächtiger ist wäre ja nur ein herumdoktern am Symptom und die Ursache für IS-Begeisterung nicht beseitigen.

     

    Ich würde lieber lesen, daß die verirrten jungen Menschen künftig früher entdeckt werden und über Bildung sowie Betreuung durch die Sozialsysteme gar nicht erst auf terroristische oder sonstige Abwege geraten.

    Damit sofort anzufangen ist m.E. absolut notwendig !

     

    Aber einfache Botschaften sind immer leichter zu verkünden als Lösungsansätze auf den Weg zu bringen.

    • D
      D.J.
      @rugero:

      Hier dazu ein Link. Hat dem Verfasser damals gar nicht gefallen. Übrigens: Die Aktion hat in gar keiner Weise Muslime pauschalisiert und auch die Problematik nichtmigrantischer Radikalisierung thematisiert. Aber man hatte sich nun mal auf den damaligen Inneminister eingeschossen:

       

      http://www.taz.de/!102503/

    • D
      D.J.
      @rugero:

      "Ich würde lieber lesen, daß die verirrten jungen Menschen künftig früher entdeckt werden und über Bildung sowie Betreuung durch die Sozialsysteme gar nicht erst auf terroristische oder sonstige Abwege geraten."

       

      Geniale Idee. Eigentlich doch ganz einfach. Warum da vor Ihnen niemand drauf gekommen ist?

      Ah, doch. Fällt mir wieder ein. Gab da Projekte. Linkspartei, Grüne und selbst SPD riefen vereint: GENERALVERDACHT.

      • @D.J.:

        Da kann ich mich nicht dran erinnern, dass das jemals in der Debatte war, mehr Bildung über humanistische Denkweisen innnerhalb des Schulsystems zu verbreiten.

         

        Haben Sie dazu einen Link?

  • Ich verstehe den Unterschied nicht, der m.E. bei vielen ach so verständnisvollen Integrationsbefürwortern herbeigerufen wird: ein gewalt- u mordbereiter Verirrter wie Erahn A. und ein Neonazi sind beide zu Gräueltaten bereit, mal aus religiösen Gründen, mal aus ideologischen. Beide sind gegen die Demokratie. Warum soll ich Erahn gegenüber Verständnis aufbringen? Warum wird er nicht vor Gericht gestellt und bestraft?

    • @match47 :

      "Warum wird er nicht vor Gericht gestellt und bestraft?"

      vielleicht, weil er dazu mehr an strafwürdigem/strafbarem getan haben müßte als die tötungsfantasien des stammtischs zu beflügeln?

      mir ist es nicht gelungen, in diesem sonderbaren interview in der SZ etwas zu entdecken, was eine anklage rechtfertigen könnte. der paßeinziehenden behörde offenkundig auch nicht, denn er hat den paß ja wieder.

      und wen einfach vor gericht stellen in der hoffnung, dass sich im laufe der gerichtsverhandlung doch noch irgendeine straftat finden ließe, deretwegen man wen verurteilen könnte - das, Sie superdemokrat, läßt unsere rechtsordnung nicht zu. gottseidank läßt sie das nicht zu und ich hoffe, das bleibt auch so.

    • @match47 :

      Wer ist denn jetzt hier der Integrationsbefürworter?

      Der bayerische Innenminister, der ihn eben nicht bestrafen will, sondern in das Kriegsgebiet seiner Wahl ein Ticket bezahlt?

       

      Ich habe nirgendwo bislang gelesen, dass es darum geht, tatenlos und verständnisvoll zuzusehen.

      Es geht um die Frage, ob man potentiell hochgefährliche Täter auch noch dahin schicken soll, wo sie am Kampf gegen eine Bevölkerung teilnehmen, die dann wieder hier Asyl beantragen muss.

    • D
      D.J.
      @match47 :

      Noch vor einiger Zeit hat mich die Abwiegelei, Relativierung usw. vonseiten einiger Linken noch fassungslos gemacht. Man gewöhnt sich langsam. Ist aber eher ein Foren-Phänomen als eines der Mehrheits-Linken, denke ich,. Tja, was sind die Gründe? Ich meine, es ist bei manchen ein ganz, ganz schlichtes "der Feind meines Feindes ist zwar auch nicht nett, aber besser als mein Feind ist er allemal". Da können die Parallelen zwischen Rechtsextremismus und Dschiahdismus noch so deutlich sein (Schwulenhass, Frauenbild, Antisemitismus bzw.Antijudaismus; Demokratiehass, Verfolgung von Abtrünnigen usw. usf.). Differenzen hauptsächlich nur bei Abgrenzung der privilegierten Elite; Möglichkeit bei den Dschihadisten, dass jeder mit angemessenem Spaß an der Sache mitmacht, unabhängig von der Herkunft.

      Alles sehr, sehr seltsam.

      • @D.J.:

        und, haben Sie endlich die entscheidung des BVerwG im fall Mehmet zu den voraussetzungen einer ausweisung hier aufgewachsener (mutmaßlicher) täter gelesen?

        sollten Sie besser tun statts weiter am freund-feind-verhältnis herumzufabulieren.

  • D
    D.J.

    "Verlierer der deutschen Gesellschaft"

     

    Dies muss am Einzelfall belegt werden, sonst wäre es reine Phrase. Meines Wissens war er Informatikstudent.

  • Deutsche Staatsbürger werden daran gehindert, bei der IS-Armee mitzumachen. Ausländische IS-Propagandisten werden abgeschoben. Was ist jetzt daran falsch?

  • Ja stimmt, erstmal alle wegschicken dann bringen sie wenigstens nur woanders Menschen um und wir sparen uns den finanziellen Mehraufwand für eine vernünftige Integrationspolitik. Das ist die Lösung?!?

    • D
      D.J.
      @Mora:

      "wir "

      "vernünftige Integrationspolitik"

       

      Wer wollte bestreiten, dass "wir" schuldig, schuldig, schuldig sind. Aber auch an Sie die milde Frage, inwiefern "wir" den Wirtschaftsinformatikstudenten nicht richtig integriert haben. Und inwiefern hat das mit den vielen "urdeuschen" Salafisten zu tun? Aucn "nicht genügend Angebote gemacht"?

      Verstehen Sie mich nicht falsch - ich habe auch viele Fragen. Ich mag nur keine vorschnellen Antworten und Schuldzuweisungen.

  • Der bayrische Innenminister macht genau das Richtige. Erhan A. hätte die deutsche Staatsbürgerschaft haben können aber er ist bewusst Türke geblieben. Und durch seine Aussagen in der Zeit macht er klar, dass er mit unserer Rechtsordnung nicht einverstanden ist. Deshalb ist es mehr als vernünftig, dass er in das Land abgeschoben wird für dessen Staatsbürgerschaft er sich freiwillig entschieden hat.

    • @Karl Martell:

      no, Sie scheinen mir mit unserer rechtsordnung auch nicht einverstanden. was der Herrmann da vorhat, läßt unsere rechtsordnung nämlich nicht zu - wie Sie und Herrmann in der schlußentscheidung im fall Mehmet nachlesen können.

      ich frag daher mal rein vorsorglich, wohin Sie am liebsten ausgewiesen und abgeschoben würden. mache aber weiter rein vorsorglich darauf aufmerksam, dass Sie, da wohl eher kein doppelstaatler sich auch aussuchen können, in welchem gitmo 2.0 Sie am liebsten Ihre kenntnisse unserer rechtsordnung auf den aktuellen stand bringen möchten.

  • Jetzt ist die Welt wieder rund: Deutschland resp. Bayern hat versagt, an fehlender Integration ist immer das Gastland schuld.

    Jemandem, dem nicht zu helfen, die Tür zu zeigen, um den grossen Rest derjenigen zu schützen, die guten Willens sind, halte ich nicht für die schlechteste Lösung.

    By the way: Eine Meinungsäusserung, die ein Verbrechen wahrscheinlich oder auch nur erwartbar macht, ist keine bloße Meinungsäusserung mehr.

    • @Chalchiuhtlatonal:

      Welchen großen Rest schützen Sie denn, wenn Sie der IS Kämpfer in Syrien zuschieben?

       

      Verstehe ich nicht ganz.

      • @Age Krüger:

        Ich meine damit "uns", wg. Anschlägen im eigenen Land sowie Deutsche muslimischen Glaubens (und guten Willens), die unter einer gewissen Schärfe in der öffentlichen Debatte ggf. leiden würden.

        • @Chalchiuhtlatonal:

          Ausserdem würde eine drohende Abschiebung eine Reihe von Vollhonks abschrecken.

          Bestrafe einen - erziehe hundert. Haben Sie Ihre Mao-Bibel etwa nicht gelesen?

          • @Chalchiuhtlatonal:

            Erklären Sie erstmal, wieso es eine Strafe sein soll, wenn Sie einem dschihadsüchtigem Islamisten seinen größten Wunsch erfüllen, ihn bei dem IS kämpfen zu lassen sogar noch so erfüllen, dass Sie ihm das Flugticket auch noch bezahlen?

             

            Ich würde das eher als Belohnung ansehen. Bezahle einem das Flugticket und morgen erzählen den Quatsch hunderte, die auch da hin wollen.

            • @Age Krüger:

              Naja, eine drohende Abschiebung verhindert möglicherweise schon das Abrutschen in Selbstradikalisierung - die Kosten für das Ticket sind das geringste.