piwik no script img

Kommentar UkraineKeine Kompromisse

Kommentar von Erhard Stölting

Wenn die Demonstranten jetzt nachlassen, gibt es eine schreckliche Niederlage. Janukowitsch wird sich an keine Absprachen halten.

Durchhalten in Kiew. Bild: reuters

D ie Aufforderungen von Frank-Walter Steinmeier, Regierung und Opposition in der Ukraine sollten sich doch bitte friedlich einigen und Kompromisse schließen, sind riskant. Steinmeier biedert sich damit nicht nur an die Regierungen der Ukraine (und Russlands) an, seine Äußerungen widerlegen auch die bekundeten guten Absichten.

Man kann den dortigen Widerstand nicht nach taktischen Gesichtspunkten verstärken oder verringern wie Polizeieinsätze. Dass sich Janukowitsch in die Krankheit zurückgezogen hat, ist ein Indiz dafür, dass sich die Sicherheitskräfte ohnehin vorbereiten, mit aller Macht loszuschlagen, zeigt aber auch, wie stark die Opposition gegenwärtig noch ist. Die Folge einer Niederlage wäre eine nachhaltige Entpolitisierung der ukrainischen Bevölkerung beziehungsweise ihrer jetzt mobilisierten Teile.

Die Sprecher der Oppositionsbewegung hatten daher recht, als sie den Eintritt in die Regierung verweigerten. Sie hätten sich rasch diskreditiert und wären ohne den Rückhalt der rebellischen Menge von Janukowitsch wieder gefeuert worden.

In den deutschen Medien erscheinen die Führer der Opposition besonders gewichtig zu sein, auf „Augenhöhe“ mit Janukowitsch oder Putin – vor allem unser aller Boxweltmeister Vitali Klitschko. Er ist ist zivil und vergleichsweise sympathisch und er hat auf der Tribüne eine wichtige Funktion. Er kann redend den Widerstand verstärken oder schwächen. Doch er kann ihn nicht steuern. Denn die Menge auf dem Maidan agiert, ohne auf ihn als Befehlshaber zu hören.

Von Janukowitsch ist nichts zu erwarten

Von der anderen Seite Kompromisse zu erwarten wäre blauäugig. Sie setzen Verhandlungspartner voraus, die sich an ihre Zusagen halten müssen und können. Janukowitsch aber wird sich in dieser zugespitzten Lage auf keinen Fall an für ihn ungünstige Absprachen halten, sofern er sie unterlaufen kann. Sobald die Demonstranten nach Hause gegangen sind, wird er sein Wort brechen.

Keine Regierung ist unabhängig von ihrer Machtbasis. Gerade deshalb setzt der demokratische Rechtsstaat ja eine freie öffentliche Sphäre und eine funktionierende Zivilgesellschaft voraus. Denn es gibt überall und immer auch andere Akteure, die ein eher distanziertes Verhältnis zur Öffentlichkeit haben. Je stärker segmentiert und je uninformierter diese ist, desto freier können sich die Schattenstrukturen entfalten.

Zu ihnen gehören in der Ukraine und in Russland die keineswegs geschlossen und einheitlich funktionierenden, aber in gleicher Weise korrupten Gewaltapparate. Sie sind offenbar kaum beherrschbar. Die Position der Oligarchen ist hingegen unterschiedlich.

Entpolitisierte Gewaltapparate

In Russland ist es Putin gelungen, sie weitgehend zugunsten der Gewaltapparate zu entpolitisieren. In der Ukraine sind die Oligarchen gegenüber Janukowitsch vergleichsweise stärker. Sie hätten sowohl im Fall einer russischen Übermacht etwas zu verlieren wie durch EU-Sanktionen; und sie handeln rationaler, strategischer und in der Regel politisch klüger als die Gewaltstrukturen – auch wenn sie sich keineswegs am Gemeinwohl orientieren. Auf jeden Fall sind sie zuverlässiger als ein angezählter Präsident, der sich verzweifelt an die Macht und den errafften Wohlstand klammert.

Angesichts der Machtverhältnisse wirken die deutsche und die europäische Außenpolitik nahezu naiv. Natürlich würden gerade im ukrainischen Fall wohlorchestrierte Sanktionen der rebellischen Zivilgesellschaft im Kampf gegen die Oligarchen helfen.

Sollte der ukrainische Aufstand erfolgreich sein, würde ein Paradies der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte und der wirtschaftlichen Prosperität nicht ohne Korruption entstehen. Könnte die Außenpolitik Deutschlands die listige Absicht haben, die Ukraine aus der EU herauszuhalten, weil man sich mit Bulgarien und Rumänien schon genug Probleme eingehandelt hat, die man nicht mehr zu kontrollieren weiß?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

15 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • HB
    Harald B.

    Die (wirklich linke?) taz argumentiert hier für eine Bewegung, die mit Gewalt und den Neonazis der Swoboda-Bewegung einen demokratische gewählten Präsidenten aus dem amt jagen will. Klitschkos Truppe hat zwischen 13-14% der Ukrainer hinter sich, vor allem im europäischen Westteil.

  • "Könnte die Außenpolitik Deutschlands die listige Absicht haben, die Ukraine aus der EU herauszuhalten, weil man sich mit Bulgarien und Rumänien schon genug Probleme eingehandelt hat, die man nicht mehr zu kontrollieren weiß?"

     

    Nein. Wie wollen Sie denn eine derartige Strategie geheimhalten? Ein solcher Plan würde so viel Koordination erfordern, dass er unmöglich geheim bleiben könnte.

     

    Im allerweitesten Fall könnte es die Strategie einzelner Politiker und Politikerinnen sein. Und selbst dann wäre das ganz schön weit hergeholt, denn es gäbe weniger riskante Alternativen, die Ukraine draußen zu halten - zum Beispiel indem man darauf verweist, dass die EU erst einmal interne Problem lösen muss, bevor die Ukraine beitreten kann. Die Türkei hält man doch auch nicht 'heimlich' draußen, das wird einfach angekündigt. Das ist Außenpolitik im 21. Jahrhundert, nicht Game of Thrones!

  • HB
    Harald B.

    Iregndwie habe ich das Gefühl, Janúkowitsch wäre durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen. Er wurde aber demokratisch gewählt- der Mob auf der Strasse (darunter Swoboda Nazis) hat hingegen keine demokratische Legitimation.

  • Diese Dämonisierung der Regierung Janukowisch erinnert an Syrien, wenn Präsident al-Assad mit alle Mittel der westlichen Propaganda verteufelt wurde. Immerhin der Mann hat während des Irak Krieges 1,3 Millionen Iraker aufgenommen.

     

    Die Ukraine versus Georgien - Diese Situation erinnert an die Ereignisse in Georgien und mich an einem Satz von Giulietto Chiesa, Journalist, Europa-Parlamentarier und Kenner der Sowjet Union.

    - „ Wenn 2008 Georgien geführt von Sakaschwili, von Amerika/Präsident Bush angestachelt wurde sich mit Russland anzulegen, hatte man vergessen, dass Russland nicht mehr von Jelzin sondern von Putin geführt war. Sie war nicht mehr schwach und angreifbar, außerdem Jelzin war bereit, Russland an den Westen und Oligarchen zu verkaufen, Wladimir Putin nicht". Die USA hat damit ein Fehler begangen. dem sich wiederholen konnte, wenn die USA denken nach Syrien, könnte man jetzt die nächste Land-Destabilisierung-Aktion anfangen.

    mundderwahrheit

  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    "Friedlich einigen und Kompromisse schließen" - Das wäre mit einer Regierung möglich, die sich an demokratische Regeln hält und seine politischen Gegner nicht einfach einsperren läßt.

    • HB
      Harald B.
      @774 (Profil gelöscht):

      Janukewitsch ist demokratisch gewählt und Frau Timoschenko ist in einem rechtsgültigen Verfahren nach den Gesetzen der Ukraine verurteilt worden.

      • 7G
        774 (Profil gelöscht)
        @Harald B.:

        Dann sind die Unruhen also völlig grundlos, oder wie?

  • A
    amigo

    In Hamburg wurde erst kürzlich Schusswaffengebrauch auf den Demos in den Gefahrengebieten angedacht.

    Machen wir uns doch überhaupt nichts vor: Im Zweifel würden unsere lieben Freunde und Helfer in Uniform, uns schnell zeigen, was uns von der Ukraine unterscheidet...

  • FriedennobelOmama, die Drohne, ist empört über Folter in der Ukraine. Das ist gut. Pfeiff deine eigenen Folterknechte erstmal zurück. - Wir versprechen, wenn Snowden ausgeliefert wird, werden wir ihn nicht foltern. Ein Hammersatz!!! Den Kopf zu lange unter Wasser gehabt?

  • Ach Gott, würden wir es toll finden, wenn, so wie in der Ukraine, das Vermummungsverbot zurückgenommen würde, dazu noch die vielen anderen undemokratischen, das Versammlungs-und Demonstrationsrecht unterhöhlenden bzw. ausserkraftsetzenden Vorschriften... Für demokratische Rechte all überall und nicht nur im Ausland!

  • Na, wie wär`s Röschen. Das schreit doch nach "Militärhilfe"

  • Es ist doch erstaunlich was in der Ukraine möglich ist ,stellt euch mal vor wir würden hier in der Bundesrepublik so demonstrieren wegen Hoch-und -Landesverrat der Regierungen seit Adenauer.Von eine totale angestrebte Überwachung in den nächsten Jahren mal abgesehen.Vom endlich wieder Krieg führen in allen Ländern wo etwas zu holen ist.Diesmal mit den richtigen Partnern die seit dem letzten Weltkrieg Mordend und Plündernd durch die Geschichte ziehen.Ich glaube die demonstrierenden Ukrainer haben ein völlig falsche Vorstellung von Europa.Denn zwei drittel werden dann in Armut enden so wie in Europa,sie werden belogen und betrogen die meisten werden die Wahrheit das sie verraten worden sind erst merken wenn sie alt und krank sind.Ich wünsche den Ukrainern alles gute und Weisheit,wählt nicht die falschen Versprechungen,das Aufwachen wird schrecklich sein.

    Wen wir hier so Demonstrieren wie in der Ukraine,gegen die hier Herrschenden wir kämen aus den Knast gar nicht mehr raus.

  • J
    JadotA

    Sehr kluge Analyse. Sie entspricht mein Bauchgefühl, bzw. geistige Intuition. Leider wird die positive Hoffnung, die ich hege, nicht aufgehen, nämlich daß es dem Volk danach –egal wer den Machtkampf gewinnt– freier, glücklicher lebt. Janudingsbums würde aus Rache sein Volk syrisch behandeln und die Neukömmlingen wären unfähig –mangels Erfahrung mit Kontakten und Taktiken– eine nahtlose Fortführung der miesen Zuständen fortzuführen. Die einzige Hoffnung bleibt, daß die Ukrainer jetzt nichts mehr zu verlieren haben und keine Kompromisse mit Januputoff eingehen. Es wäre Einladung zum Selbstmord mit Steuermitteln. Ich wünsche die Ohnmächtigen viel Glück.

  • sehr interessante Analyseansätze, die ich bisher so in dieser Kombi nicht gelesen habe. Die EU, sollte sie tatsächlich Interesse haben mitzuspielen, kommt ohnehin sehr spät, wurde sich sehr spät gewahr dass sie dort Interessen haben könnte oder dass sie an irgendwelchen demokratischen Kräften dort Interesse haben könnte/ sollte. Und mit konzertiertem Handeln, von jetzt auf gleich, gleich welcher Art ist es in der EU ohnehin nicht gut bestellt. Hilft wahrscheinlich nur dranbleiben und beten. Sollte allerdings der Aufstand niedergeschlagen werden, sollten die Beziehungen mit Russland auf das allernötigste reduziert werden (schwierig mit einer Atommacht, die gleichzeitg an einem einem Gemisch aus Komplexen und Großmachtphantasien kaut, man muss eigentlich im Gespräch bleiben.) Aber man sollte darüber nachdenken wie man sie ökonomisch austrocknet.

    • T
      toddy
      @ingrid werner:

      und sie sich hier mit gefalteten händen den allerwertesten abfrieren. weise entscheidung aber was soll es der kopf ist ja schon avantgarde