Kommentar US-türkische Verwicklungen: Neue Eskalationsstufe erreicht
Recep Tayyip Erdoğan lässt es krachen: Die diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und der EU haben gelitten. Nun sind die USA dran.
E s sieht so aus, als liefe der Konflikt zwischen Erdoğans neuer Türkei und dem Westen, also Europa und den USA, langsam auf seinen Höhepunkt zu. Nach dem Bruch mit Deutschland und dem faktischen Ende des Beitrittsverfahrens zur EU eskaliert jetzt der Konflikt zwischen der Türkei und den USA.
Es hat in den Jahren, seit Recep Tayyip Erdoğan an der Macht ist, schon häufiger geknallt zwischen beiden Ländern – doch der jetzige Konflikt ist grundsätzlicher. Erdoğan, der seit dem Putschversuch im Juli letzten Jahres jeden verhaften lässt, den er für einen Sympathisanten der Gülen-Bewegung hält, macht auch vor türkischen Mitarbeitern der US-Botschaft nicht mehr halt.
Waren es zunächst deutsche oder amerikanische Doppelstaatler, die in die Mühlen der türkischen Justiz gerieten, folgten bald auch rein deutsche oder amerikanische Staatsbürger. War es zunächst nur eine Vermutung, dass Erdoğan die Gefangenen als Geiseln zum Austausch gegen Gülen-Leute in Deutschland oder den USA missbrauchen könnte, wurde das zur Gewissheit, als er in einer Rede vor Polizeischülern öffentlich anbot, einen seit letztem Jahr inhaftierten amerikanischen Pfarrer gegen den in den USA lebenden Sektenchef Fethullah Gülen auszutauschen.
Erdoğan ist offenbar tatsächlich davon überzeugt, dass ihn der Westen mithilfe der Gülen-Bewegung wegputschen wollte. Da seine Auffassungen die türkische Politik bestimmen, wird die Auseinandersetzung schriller, je länger der Westen sich weigert, die flüchtigen Putschisten auszuliefern. Gespeist wird der aktuelle Konflikt auch davon, dass türkische Nationalisten seit Jahrzehnten der Meinung sind, dass der Westen das Land nur instrumentalisiert, ohne es als gleichberechtigten Partner anzuerkennen.
Leider hat die EU zu dieser These viel Material beigesteuert. Jetzt endet eine Epoche, die nach dem Zweiten Weltkrieg begann und zur Integration in den Westen führen sollte. Die Folgen dieses Scheiterns sind noch gar nicht absehbar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken