Kommentar Tunesien: Hoffnung für arabische Demokraten
Noch ist offen, was in Tunesien auf Ben Ali folgt. Europa sollte alles dafür tun, dass sich die Dinge in Tunesien zum Besseren wenden. Das Land könnte damit zum Modell werden.
S teht der arabischen Welt 2011 ein Jahr des Wandels bevor - vergleichbar mit dem Wendejahr 1989, das die verknöcherten Regime des Ostblocks hinwegfegte? Es darf gehofft werden. Denn der Sturz des tunesischen Diktators Ben Ali ist ein epochales Ereignis: Nach Jahrzehnten der Agonie ist es den Bürgern eines arabischen Landes erstmals gelungen, aus eigener Kraft einen verhassten Despoten aus dem Amt zu jagen. Ein Regimewechsel von unten: das hat Signalwirkung, weit über den Maghreb hinaus.
Gebannt und euphorisch haben Millionen Menschen zwischen Damaskus und Casablanca auf al-Dschasira und im Internet die Ereignisse in Tunesien verfolgt und ihnen einen poetischen Namen verliehen: Jasminrevolution. Schmallippig fielen hingegen die Kommentare arabischer Herrscher und Potentaten aus. Und Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi entblödete sich nicht einmal, den unrühmlichen Abgang seines Diktatorkollegen offen zu bedauern.
Arabiens Autokraten und Monarchen haben guten Grund zu der Sorge, dass der Umsturz in Tunis zur Nachahmung inspiriert. Denn ihre Untertanen plagen ähnliche Probleme wie die Tunesier: Arbeitslosigkeit, Preissteigerungen, Korruption, Polizeiwillkür, das Fehlen von Meinungsfreiheit. In Ländern wie Algerien, Jordanien, Ägypten und Jemen führte dies schon in den letzten Wochen immer wieder zu Protesten auf der Straße. Jetzt wird Tunesien dort als Vorbild gerühmt.
Daniel Bax ist Meinungsredakteur der taz.
Die meisten Politiker des Westens hat der Umsturz in Tunesien auf dem falschen Fuß erwischt. Spät erst rafften sie sich dazu auf, die Protestierenden zu ermutigen. Viel zu lange erschienen Europa und den USA säkulare arabische Diktatoren wie Ägyptens Mubarak, Tunesiens Ben Ali oder Algeriens Bouteflika im Westen als das kleinere Übel: Solange sie nur versprachen, die Islamisten in ihren Ländern in Schach zu halten oder afrikanische Flüchtlinge von Europa fernzuhalten, konnten sie mit Unterstützung rechnen. Welcher Methoden sie sich bedienten, das wollte man dabei lieber nicht so genau wissen. Mit dieser Haltung muss nun endlich Schluss sein.
Noch ist offen, was in Tunesien auf Ben Ali folgt. Ein Militärputsch ist genauso gut möglich wie baldige Neuwahlen, die zu einer allmählichen Demokratisierung führen könnten. Europa sollte alles dafür tun, dass sich die Dinge in Tunesien zum Besseren wenden. Das Land könnte damit zum Modell werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich