Kommentar Tsipras‘ Neuwahlplan: Links durchregieren oder nichts
Tsipras‘ Rücktritt ist ein taktisches Manöver, um gestärkt aus den Neuwahlen hervorzugehen. Darin liegen aber mehrere Gefahren.
S eit Ausbruch der Schuldenkrise 2009 machen griechische Politiker vor allem das, was sie am besten können: nämlich Wahlkampf. Linkspremier Alexis Tsipras möchte da keine Ausnahme bilden. Allerdings hat er auch eine passende Entschuldigung: Es geht gar nicht anders. Seitdem ihm fast ein Drittel der Parlamentarier seiner regierenden Syriza-Partei die Gefolgschaft verweigert hat, kann der Linkspremier unliebsame Gesetzesvorlagen nur noch mit Hilfe der Oppositionsstimmen durchbringen.
Darüber hat sich der Ex-PASOK-Chef und ehemalige Finanzminister Venizelos auch schon lautstark mokiert: „Es kann nicht sein, dass es im griechischen Parlament zwei unterschiedliche Regierungsmehrheiten gibt: Eine Mehrheit für die angenehmen Dinge des Regierens, die von allen Linksabgeordneten getragen werden, und eine andere Mehrheit für unangenehme Gesetzesvorlagen, bei denen die Opposition herangezogen wird‟.
Jetzt also Neuwahlen. Der Regierungschef darf seine Wahllisten nach Gutdünken gestalten und dabei die radikal-linken Kräfte um Ex-Energieminister Lafazanis mit Ignoranz strafen. Diese einzigartige Chance zum Durchregieren will der Machtpolitiker Tsipras auf keinen Fall auslassen. Lafazanis wiederum hat angedeutet, eine neue Front gegen die Sparpolitik gründen zu wollen. Er sollte dies am besten sofort tun, damit die Parlamentskollegen die Blamage vermeiden, mit der rechtsradikalen Goldenen Morgenröte allen Ernstes über eine Regierungsbildung zu verhandeln.
Hintergrund dieser Scharade: Tritt der Premier zurück, darf der Staatspräsident laut Verfassung nicht sofort Neuwahlen ausschreiben. Sondern er muss zunächst einmal den Auftrag zur Regierungsbildung an die zweitstärkste im Parlament vertretene Partei weitergeben (in dem Falle den ND), was bereits geschehen ist; wenn auch das keinen Erfolg bringt, muss er sogar auch die drittgrößte Partei mit der Regierungsbildung beauftragen, bevor er an die Urnen aufruft.
Als drittgrößte Partei mit jeweils 17 Sitzen gelten derzeit die sozial-liberale Gruppierung To Potami und eben die Goldene Morgenröte. Sollten sich über 20 Linksparlamentarier von Syriza abspalten und Lafazanis in eine neue Partei folgen, wofür einiges spricht, dann sähen die Machtverhältnisse im Athener Parlament wohl plötzlich ganz anders aus.
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