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Kommentar Spanischer FußballDas Ende einer Ära?

Peter Unfried
Kommentar von Peter Unfried

Weltmeister Spanien blamiert sich gegen die Niederlande bis auf die Knochen. Aber die 5:1-Klatsche könnte auch einen positiven Effekt haben.

Der Mann mit den Haaren wurde lange „San Iker“ genannt – damit dürfte jetzt Schluss sein. Bild: dpa

D er amtierende Fußball-Weltmeister Spanien hat sein Auftaktspiel gegen die Niederlande 1:5 verloren. Jetzt unken viele: War ja klar. Nach drei Titeln in Folge (EM, WM, EM) seien die Spieler satt, der Barca-Stil längst abgelöst – und überhaupt. Das weltweite Hyperventilieren speist sich aus verschiedenen Quellen: Dem Bedarf an großen, aber ungefährlichen Gefühlen, der emotionalen Kraft eines Weltturniers, dem Überdruss an einem Dauersieger, kleinbürgerlichen Ressentiments gegen den avantgardistischen Spielstil Spaniens. Und selbstverständlich will man Helden fallen sehen.

Insofern ist es naheliegend sich als Symbol den größten Torhüter des 21. Jahrhunderts auszuwählen. Wie Iker Casillas vor dem 1:4 der Ball vom Fuß sprang, wie er vor dem 1:5 hilflos über den Boden robbte, sein trauriges Gesicht beim Abgang, das sind Bilder, die man in den nächsten 72 Stunden in Dauerschleife sehen wird. Und war nicht Casillas in Wahrheit längst über seinen Zenit hinaus? Und Spielgestalter Xavi sowieso, der zweite prägende Fußballer der letzten Dekade? Also, voraussichtlich das Ende einer Ära.

Selbstverständlich wird man sich nun in Spanien überschlagen. Ist Trainer Vicente del Bosque zu treu und zu unflexibel? Haben Casillas und Xavi ihr letztes Länderspiel gemacht? Muss nun nicht der spanische Fußball neu erfunden werden? Bei Weltturnieren verdichten sich längere und komplexe Prozesse häufig zu Entscheidungen, die es ansonsten nicht geben würde. So wurde etwa der große Helmut Haller im ersten Spiel der WM 1970 zur Halbzeit ausgewechselt – und spielte nie mehr für Deutschland.

Gerade Casillas hatte aber auch grandiose Paraden, die entscheidenden Fehler wurden von anderen gemacht, etwa von Pique (1:1) und dem Schiedsrichter (1:3). Doch die logische Erklärung eines Spiels geht immer von der Kenntnis des Ergebnisses aus. Aber nicht nur deshalb wird man von einer taktischen Meisterleistung Louis van Gaals reden. Es spricht ja wirklich nicht für del Bosque, dass ein gerade noch als mittelmäßig betrachtetes Team wie die Niederlande mit einer strategischen Maßnahme, nämlich acht Defensivspielern (5-3-2) und der nötigen Mentalität, das Tiki-Taka weitgehend ausgeschaltet hat.

Fußball in Perfektion

Auf jeden Fall ist es atemberaubend, was Arjen Robben spielte. Sein Treffer zum 5:1 war individualistischer Fußball in Perfektion, eine Mischung aus Speed, Technik und klinischer Präzision, die mutmaßlich kein anderer Spieler weltweit hat. Es könnte ein Indiz dafür sein, dass Stars wie Roben und Neymar bei diesem Turnier eine größere Rolle spielen, als das während der spanischen Regentschaft der Fall war. Spaniens Niederlage war ganz bestimmt kein Zufall.

Und dennoch sollte man Ernst nehmen, was Hollands Kapitän Robin van Persie unmittelbar nach Spielschluss sagte, nämlich dass die Ereignisse für ihn schön, aber ganz und gar unerklärlich seien. Spanien tritt am Mittwoch gegen Chile an. Es wird schwer werden für die Spieler, das 1:5 abzuhaken und sich selbst freizumachen, von der hegemonialen Deutung, ein erledigter Fall zu sein. Aber noch sind sie es nicht.

Es erscheint in diesem Moment unvorstellbar, aber der neue Antrieb der Dauersieger könnte erst jetzt entstanden sein. Spanien hat die historische Chance, das größte Comeback der Fußballgeschichte hinzulegen – seit 1954 und dem 3:8 der Deutschen im Vorrundenspiel gegen Ungarn.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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5 Kommentare

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  • Typisch arrogantes Moffen-Gebrabbel.

    Die Niederlage ist wohl einzig und allein ein Zeichen der Schwäche Spaniens und nicht eine Leistung von Oranje.

     

    Bayern München wäre 2012 auch nicht da gewesen, wo es war, hätten die vorher van Gaal nicht gehabt. Wenn der was kann, dann ist es eben, aus vermeintlich "mittelmäßigen" Mannschaften alles herauszuholen.

    Wobei man wirklich sagen muss, dass der Vize-Weltmeister nicht unbedingt eine mittelmäßige Mannschaft sein muss, nur weil er während der Europameisterschaft einer Taktik anhing, die maximal zeigte, dass die unter van Marwijk erzielten Erfolge auch vor allem eine Leistung des Assistenten Frank de Boer waren, der nach der WM ausgeschieden war, um Ajax zu trainieren.

    Die ausschließliche defensive Aufstellungen von van Marwijk haben dem niederländischen Fußball am Ende nicht mehr gut getan, was man auch schon im Endspiel 2010 sehen konnte.

  • "gerade noch mittelmäßig" für die Niederlande ist an der Grenze zur Dümmlichkeit. Nehmen wir nur die 64 WM-Teilnehmer, so müsste man die Niederland ja so circa als 32.-beste Nation annehmen. Wer das tut, dem kann ich auch nicht mehr helfen, die Niederlande sind sicherlich mindestens in den Top 15, wahrscheinlich in den Top 10, vielleicht gar Top 5.

     

    Daher: Mittelmäßiger Kommentar.

    • @Dubiosos:

      Im Kommentar steht es etwas anders:"gerade noch *als* mittelmäßig *betrachtetes* Team"?! - Und das war ja auch die Meinung vieler "hochrangiger" Kritiker in den Niederlanden selbst!!-

      Der TAZ-Kommentator hat Ahnung und Fußball-Verstand!

  • 6G
    6540 (Profil gelöscht)

    Hatte Spanien eigentlich auch Abwehrspieler, direkte Angreifer hattes auch schon nicht.

  • Ich verstehe nicht wieso vermeintliche Fußball-Experten nicht begreifen wollen, dass das Spielsystem Spaniens nicht das klassische Tiki Taka, wie bei den vorherigen Turnieren, war.

    Mit Diego Costa im Sturm hat Spanien bzw. del Bosque versucht, den Tiki Taka zu reformieren. Weniger Ballbesitz, schneller Weg in die Spitze. Dies ist allerdings bei weitem nicht gelungen.

    Nach wie vor muss man Spanien als einen möglichen Favorit sehen, die sich jetzt keinen Fehler mehr erlauben dürfen. Und dass Xavi am Ende seiner Zeit sei, ist etwas weit hergeholt. Nach wie vor ist Xavi der Kasparov des Fußballs, der auch mit den jungen Spielern mithalten kann.