piwik no script img

Kommentar Sozialer ArbeitsmarktÜber die Details muss man streiten

Kommentar von Martin Reeh

Dass die Bundesregierung wieder Langzeitarbeitslose fördern will, ist begrüßenswert. Doch die Kritik daran zeigt, dass es keinen Königsweg gibt.

Ein Job für Langzeitarbeitslose? Gemeinnützige Arbeit im Kleingartenverein Foto: dpa

D as geplante Gesetz zur Förderung von Langzeitarbeitslosen ist zunächst einmal eines: ein stillschweigendes Eingeständnis, dass die mit Hartz IV eingeführten Ein-Euro-Jobs ein Fehlschlag für die Integration in den ersten Arbeitsmarkt waren. Deshalb ist es begrüßenswert, dass die Bundesregierung wieder Langzeitarbeitslose fördern will.

Über die Details muss man streiten: Dass der Bund Zuschüsse nur in Höhe des Mindestlohns zahlt, dürfte Arbeitgeber dazu verleiten, Arbeitslose zu Billigkonditionen einzustellen und regulär Beschäftigte zu verdrängen. Dennoch wäre es gut gewesen, wenn die kritischen Stellungnahmen aus Opposition und Gewerkschaften differenzierter ausgefallen wären. Bei der Förderung von Langzeitarbeitslosen gibt es keinen Königsweg.

Wer wie Linkspartei oder Verdi fordert, dass die Stellen für Langzeitarbeitslose „zusätzlich“ sein sollen, will vor allem die Stammbelegschaften schützen. Denn „zusätzlich“ heißt meist, dass die Geförderten eine Arbeit verrichten, die niemand braucht – und die sie deshalb auch nicht für eine reguläre Tätigkeit qualifiziert.

Auch die Forderung nach staatlich bezuschussten Löhnen auf Tarifniveau bei den Arbeitslosenjobs hat ihre Tücken. Ist die Bezahlung zu hoch, sinkt die Bereitschaft der so Beschäftigten, sich um dauerhafte Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt zu kümmern – und für Arbeitgeber, reguläre Stellen zu schaffen. Die ABM-Karrieren von Akademikern in den Neunzigerjahren sind ein warnendes Beispiel. Eine gewisse Lohndeckelung im zweiten Arbeitsmarkt kann daher sinnvoll sein und muss gegen ihre Nachteile aufgewogen werden.

Notwendig ist daher vor allem eine genaue Evaluierung des neuen Langzeitarbeitslosenprogramms – eine, die im Sinne der Arbeitslosen analysiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • taz: „Deshalb ist es begrüßenswert, dass die Bundesregierung wieder Langzeitarbeitslose fördern will.“

    Schon wieder das Lieblingswort der Bundesagentur für Arbeit (BA) - "Fördern". Das hatten wir doch schon. Gefördert wurde jahrelang die prekäre Beschäftigung samt Leiharbeit und Werkverträgen. Gefördert wurden Hungerlöhne und Armut in diesem Land. In Deutschland müssen 1,5 Millionen Menschen jede Woche an eine der 940 Tafeln anstehen. Wir haben 860.000 Wohnungslose in Deutschland, davon sind 52.000 Menschen obdachlos - leben also schon auf der Straße.

    Ist mit dem "Fördern" der neue Referentenentwurf des Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) für das neue Arbeitsmarktinstrument des Bundes für Langzeitarbeitslose gemeint? Das liest sich für mich eher wie eine Gebrauchsanweisung, wie man die Zwangsarbeit für arbeitslose Menschen unter der Regie der Jobcenter endgültig einführen kann. Die dezentrale Verantwortung bleibt nämlich weiterhin bei den Jobcentern.

    Ein netter Nebeneffekt ist natürlich auch noch gegeben: Arbeitslose kann man dann nämlich bis zu 5 Jahre aus der Arbeitslosenstatistik herausrechnen – und darum geht es doch in erster Linie.

    Mit dieser Regelung wird zudem ein Instrument auf den Markt gebracht, welches mit Zuschüssen weiterhin Lohndumping fördert und Arbeitgeber dazu legitimiert, ihre im Hartz IV Bezug stehenden Arbeitnehmer "für lau" auszubeuten.

    Neuer Referentenentwurf: 10. SGB II-ÄndG – Teilhabechancengesetz



    www.bmas.de/Shared...ublicationFile&v=3

    Der frühere Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) hatte ja schon 2010 die Hartz-IV-Gesetze mit der Aussage verteidigt: "Nur wer arbeitet, soll auch essen."

    Die Ausbeutung des kleinen Bürgers geht also weiter, nur man hat dem Kind jetzt einen anderen Namen gegeben – "Sozialer Arbeitsmarkt".

  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Worüber reden wir? Über einen „sozialen Arbeitsmarkt“ - geschaffen für Menschen, die im „normalen“ Arbeitsprozess keine realistische Erwerbsmöglichkeit haben. So etwas gab es schon mehrfach (und ich meine nicht ABM), z. B. die „Sozialen Betriebe“ in Niedersachsen oder Vergleichbares in anderen Bundesländer. Immer schön finanziell aufgehübscht mit EU-Fördermitteln und dem festen Versprechen, dass die geförderte Personengruppe dann im sogenannten „ersten“ Arbeitsmarkt besteht. Sie bestand von Ausnahmen abgesehen langfristig nicht.



    Ich bin der Meinung, diese Diskussion um die Arbeitsmärkte endlich zu beenden und sich gesellschaftlich einzugestehen, dass es eben Menschen gibt, die „anders“ für ihren Lebensunterhalt sorgen müssen. Und das wäre - auch unter Entgeltgesichtspunkten (Lohnabstand, finanzielle Motivation) - die politische Aufgabe: Erwerbsarbeit zu finden und zu bezahlen, die nicht notwendiger weise zur Wertschöpfung beiträgt aber gleichwohl das Gemeinwesen und -wohl fördert und ggf. unwirtschaftliche Leistungen trotzdem erbringt. Die Konkurrenzdiskussion der Wirtschaft ist dabei völlig überflüssig und fehlgeleitet. Kein Unternehmen zahlt freiwillig drauf zur Erbringung von Leitungen, die ansonsten einfach liegen bleiben würde. Das ist unnötiger Futterneid.

  • "Wir in Bayern" haben, gerade für Langzeitarbeitslose, ein aus meiner Sicht wirklich gutes Konzept entwickelt, das leider bislang im Bund wenig bis keine Anerkennung gefunden hat.



    Langzeitarbeitslosigkeit ist meist die Folge von "multiplen Vermittlungshemmnissen" (so ist glaube ich die offizielle Bezeichnung für "viele, teils nicht direkt arbeitsmarktbezogene, Probleme").



    Diese Probleme löst man nicht mit einem wie auch immer gestalteten Job auf dem "zweiten Arbeitsmarkt". Die ehemals alkoholkranke, depressive Single-Mutter mit einem behinderten Kind zuhause braucht keine geförderte Arbeitsstelle. Sie braucht vor allem erstmal Unterstützung außerhalb der reinen Arbeitsbeschaffung/Arbeitsvermittlung - egal also, ob "erster" oder "zweiter" Arbeitsmarkt. Die hat einfach andere Sorgen. Dazu kommt, dass gerade Langzeitarbeitslose wider Willen sich oft schämen. Das hilft auch nicht.



    Das bayerische CURA-Programm bietet langzeitarbeitslosen Menschen sozialpädagogische Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Situation. Nicht aufgezwungen, sondern nur dann, wenn die das auch wollen.



    Wer (wieder) "HerrIn der eigenen Lage" ist, tut sich auch leichter, regelmäßig einer Beschäftigung nachzugehen und braucht keine ABM o.ä.



    Schade, dass es (verständlicherweise) schwer fällt, die guten Ideen aus den Reihen der CSU zwischen all den anderen "Ideen" zu erkennen und zu würdigen. Dann würde im Bund vielleicht die Erkenntnis reifen, dass es mehr Sinn machen würde, dieses Programm in die Fläche zu tragen. Das schafft der Freistaats Bayern ohne Hilfe nämlich auch nicht.

  • Ursprünglich sollte der Plan ja sein, Menschen, die keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt haben eine Beschäftigung zu gebn, von der sie leben können. Selbstverständlich müssen diese Arbeitsplätze neben den regulären bestehen, da überhaupt keine Konkurrenz Situation besteht. Aber schon wieder wird eine gute Idee von lebensfremden Politikern zerrieben und wird vermutlich darauf hinaus laufen, dass erneut Menschen mit zwang, druck und Sanktionen in diese Jobs gezwungen werden und ihnen vermittelt wird, dass sie nichts Wert sind, wenn sie diese tollen jobs , die ja extra subventioniert werden, nicht schaffen. Das ist keine gute Idee! Wenn doch die politiker, die monatlich mit 5000 bis 8000 € im Monat von Steuergeldern unterhalten werden, mal von dem Trip runterkommen würden. Wie weit ist die Realität des Bürgers von Parlament entfernt?

  • Es gäbe schon Lösungen.



    Wie wäre es, wenn man den so Geförderten Tariflohn zahlt? Halb die Firma, halb der Staat. Für eine bestimmte Zeit. Und wenn der/diejenige danach übernommen wird, gibt's eine Prämie. Oder eine Steuererleichterung. Und natürlich müsste eine Sperrfrist vereinbart werden. Nach Beendigung einer solchen Förderung ohne Übernahme werden demselben Unternehmen für 1 Jahr keine weiteren Förderstellen bewilligt. -



    Was daraus wird, wenn der Staat Billigstlöhne zahlt, hat man ja gesehen. Damit ist nur der Wirtschaft geholfen, bzw,. den unredlichen Unternehmen, Kommunalverwaltungen eingeschlossen.

  • Typisch SPD 2018. Kraftlos, saftlos, nutzlos. Bloß nicht den Billiglohnsektor infrage stellen, sondern ihn stützen. So gestaltet, dass die Seeheimer nichts zu meckern haben.



    Ob das noch für 13% (Bayernwahlprognose) bei den nächsten Bundestagswahlen reicht?

  • Es gibt m.M. keine Perspektive der Arbeitslosen, denn Arbeitslose wollen zu 99 Prozent eine Arbeit finden, aber das wie spielt schon eine große Rolle. Am Besten wäre es doch, dass die Wirtschaft kräftig anzieht, dass das Steueraufkommen steigt und im öffentlichen Dienst Arbeitsstellen auch entstehen. In Dänemark arbeiten viele Frauen beim Staat zu fairen Konditionen und das Land ist deswegen nicht am Abgrund. Der 1-EURO-Job hat die Schaffung von Arbeitsplätzen unterbunden, das ist eine Tatsache und diese hier vorgeschlagenen Ideen könnten sich ähnlich auswirken. Vielleicht stimmt es, dass man es nicht so schnell übergehen sollte, dass Heil erstmals eine echte Idee für Langszeitarbeitslose ausgedacht und vorgestellt hat, aber es wirkt auch etwas dürftig und wie viele Langzeitarbeitslose gibt es eigentlich?