Kommentar Sklaverei in Libyen: Entrechtung unter den Augen der EU
Neu sind die Berichte über versklavte Flüchtlinge nicht, aber die Schlepper werden brutaler. Trotzdem will die EU Menschen nach Libyen zurückschicken.

Libyen wird zur Falle für diejenigen, die sich auf die Flucht nach Europa machen Foto: reuters
Erst sprach die deutsche Botschaft von „KZ-ähnlichen Zuständen“, jetzt redet die UN-Migrationsorganisation IOM von „Sklavenmärkten“. Gemeint ist dasselbe: Das Schicksal zehntausender Flüchtlinge in Libyen. Direkt vor der Südspitze Europas. Nicht irgendwann, sondern gestern, heute und wohl auch morgen. Denn dass sich an der Lage etwas ändert, ist nicht zu erwarten.
Immer stärker offenbart sich das Ausmaß von Erpressung und Versklavung der Flüchtlinge. Diese, so berichteten Betroffene es jetzt den IOM-Ermittlern, würden auf Sklavenmärkten verkauft und müssten schwerste körperliche Arbeiten verrichten. Schmuggler böten schutzlose Menschen auf Märkten für 200 bis 500 Dollar feil. Frauen würden in die Prostitution gezwungen und vergewaltigt. Die Menschen würden oft monatelang festgehalten und ohne Lohn zu harter Arbeit gezwungen. Viele würden gefesselt oder eingesperrt. Sie mussten ihre Familien anrufen, damit diese die Schreie hören und Hunderte Dollar Lösegeld bezahlen.
Menschen, die kein Geld aufbringen konnten, hungerten teils zu Tode. Die IOM hatte Menschen in Auffanglagern für Migranten in Niger befragt, die aus Libyen zurückgekehrt waren.
Neu sind solche Berichte nicht. Allerdings scheint der Grad der mafiösen Geschäfte, die die Schlepper jenseits der eigentlichen Schlepperei mit den Flüchtlingen machen, stark zuzunehmen. Trotzdem hält die EU an dem Plan fest, Menschen nach Libyen zurückzuschicken. Das einzige, was sie bislang daran hindert, ist, dass die mit ihr verbündete Regierung des Ministerpräsidenten al Sarradsch nicht imstande ist, die Errichtung von Auffanglagern im Land gegen die Opposition durchzusetzen.
Die EU hat nur ein Interesse in Libyen
Den Fluchtweg zu versperren ist das einzige, was die EU an Libyen interessiert. Von dem Land ist praktisch ausschließlich nur dann die Rede, wenn es um Schlepperbekämpfung geht. Und auch die dreistellige Millionensumme, die Brüssel kürzlich für die machtlose al Sarradsch-Regierung bereitgestellt hat, soll diesem Zweck dienen.
So bleibt das Chaos in Libyen, und damit die Voraussetzung dafür, dass die Entrechtung der Flüchtlinge weitergeht. Ein Failed State kann niemanden schützen. Gleichzeitig ist die Gesetzlosigkeit in Libyen der Grund, weshalb die Menschen sich überhaupt dorthin begeben – denn nur dort gibt es das, was sie wollen: Die Passage nach Europa, für die die Schlepper das Monopol haben, weil die EU selbst die Menschen lieber ertrinken lässt, als sie auf Fähren zu lassen.
Und so wird das nun anbrechende Frühjahr sich nur graduell von den Vorjahren unterscheiden: Mehr Menschen als im letzten Jahr, so wird erwartet, werden bald den Weg über das Meer gehen. Die Zeit des großen Sterbens beginnt wieder.
Kommentar Sklaverei in Libyen: Entrechtung unter den Augen der EU
Neu sind die Berichte über versklavte Flüchtlinge nicht, aber die Schlepper werden brutaler. Trotzdem will die EU Menschen nach Libyen zurückschicken.
Libyen wird zur Falle für diejenigen, die sich auf die Flucht nach Europa machen Foto: reuters
Erst sprach die deutsche Botschaft von „KZ-ähnlichen Zuständen“, jetzt redet die UN-Migrationsorganisation IOM von „Sklavenmärkten“. Gemeint ist dasselbe: Das Schicksal zehntausender Flüchtlinge in Libyen. Direkt vor der Südspitze Europas. Nicht irgendwann, sondern gestern, heute und wohl auch morgen. Denn dass sich an der Lage etwas ändert, ist nicht zu erwarten.
Immer stärker offenbart sich das Ausmaß von Erpressung und Versklavung der Flüchtlinge. Diese, so berichteten Betroffene es jetzt den IOM-Ermittlern, würden auf Sklavenmärkten verkauft und müssten schwerste körperliche Arbeiten verrichten. Schmuggler böten schutzlose Menschen auf Märkten für 200 bis 500 Dollar feil. Frauen würden in die Prostitution gezwungen und vergewaltigt. Die Menschen würden oft monatelang festgehalten und ohne Lohn zu harter Arbeit gezwungen. Viele würden gefesselt oder eingesperrt. Sie mussten ihre Familien anrufen, damit diese die Schreie hören und Hunderte Dollar Lösegeld bezahlen.
Menschen, die kein Geld aufbringen konnten, hungerten teils zu Tode. Die IOM hatte Menschen in Auffanglagern für Migranten in Niger befragt, die aus Libyen zurückgekehrt waren.
Neu sind solche Berichte nicht. Allerdings scheint der Grad der mafiösen Geschäfte, die die Schlepper jenseits der eigentlichen Schlepperei mit den Flüchtlingen machen, stark zuzunehmen. Trotzdem hält die EU an dem Plan fest, Menschen nach Libyen zurückzuschicken. Das einzige, was sie bislang daran hindert, ist, dass die mit ihr verbündete Regierung des Ministerpräsidenten al Sarradsch nicht imstande ist, die Errichtung von Auffanglagern im Land gegen die Opposition durchzusetzen.
Die EU hat nur ein Interesse in Libyen
Den Fluchtweg zu versperren ist das einzige, was die EU an Libyen interessiert. Von dem Land ist praktisch ausschließlich nur dann die Rede, wenn es um Schlepperbekämpfung geht. Und auch die dreistellige Millionensumme, die Brüssel kürzlich für die machtlose al Sarradsch-Regierung bereitgestellt hat, soll diesem Zweck dienen.
So bleibt das Chaos in Libyen, und damit die Voraussetzung dafür, dass die Entrechtung der Flüchtlinge weitergeht. Ein Failed State kann niemanden schützen. Gleichzeitig ist die Gesetzlosigkeit in Libyen der Grund, weshalb die Menschen sich überhaupt dorthin begeben – denn nur dort gibt es das, was sie wollen: Die Passage nach Europa, für die die Schlepper das Monopol haben, weil die EU selbst die Menschen lieber ertrinken lässt, als sie auf Fähren zu lassen.
Und so wird das nun anbrechende Frühjahr sich nur graduell von den Vorjahren unterscheiden: Mehr Menschen als im letzten Jahr, so wird erwartet, werden bald den Weg über das Meer gehen. Die Zeit des großen Sterbens beginnt wieder.
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Schwerpunkt Flucht
Kommentar von
Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek). Bis Februar 2021 als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg.
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