piwik no script img

Kommentar SicherheitskonferenzDer Zerfall der Unordnung

Andreas Zumach
Kommentar von Andreas Zumach

Konfrontativ und kompromisslos haben sich die Redner auf der Münchner Sicherheitskonferenz gezeigt. Die zentralen Fragen bleiben offen.

Von Einsicht war wenig zu erkennen auf der dreitägigen Konferenz im Bayerischen Hof. Bild: dpa

D ie internationale Ordnung zerfällt und ihre institutionellen Garanten (Nato, EU, UNO, OSZE) reagieren zu zögerlich oder sind zu schwach. Trifft diese Leitthese der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz zu? Und wenn ja, was sind die Ursachen für diese vermeintlich bedrohliche Entwicklung? Diese Fragen wurden bei der dreitägigen Veranstaltung nicht geklärt. Denn ein echter Dialog fand kaum statt. Zum die Konferenz beherrschenden Ukrainekonflikt redeten die führenden Vertreter Russlands und der USA in separaten Auftritten konfrontativ und kompromisslos aneinander vorbei.

Außenminister Lawrow und andere russische Politiker leugneten Moskaus offensichtliche Verstöße gegen das Völkerrecht und gegen die Europäische Friedensordnung. US-Vizepräsident Biden und die Senatoren McCain, Graham, Corker geißelten diese Verstöße in scharfen Worten und erklärten Russlands Präsident Putin zum einzig Verantwortlichen für den Ukrainekonflikt. Die Vertreter aus Washington ließen keinerlei Einsicht erkennen, dass die Politik von USA und Nato gegenüber Russland seit Ende des Kalten Krieges – angefangen mit der Ostausdehnung der westlichen Militärallianz – zum Ukrainekonflikt und zu Russlands kritikwürdigem Verhalten beigetragen haben.

Auch in den Reden und Diskussionsbeiträgen von Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier gab es keine Anzeichen für diese Einsicht oder gar für die Notwendigkeit, die Ukrainepolitik von Nato und EU zu korrigieren, um endlich eine Deeskalation des Konflikts und auch Korrekturen der russischen Seite zu bewirken. Immerhin wies die Kanzlerin die Forderungen der amerikanischen Senatoren nach Waffenlieferungen an die Ukraine klar und mit überzeugenden Argumenten als falschen und gefährlichen Eskalationsschritt zurück.

Außerhalb der vom Ukrainekonflikt infrage gestellten, selbstverständlich unbedingt erhaltenswerten Europäischen Friedensordnung stellen sich die Fragen von Ordnungs- und Sicherheitsstrukturen und ihrem Zerfall sehr anders. Für die große Mehrheit der Erdbevölkerung herrschte auch bislang keine verlässliche Ordnung und Sicherheit, sondern oftmals lebensbedrohliche Unordnung. Bedingt durch eine von den nördlichen Industriestaaten bestimmte ungerechte und durch immer neue „Freihandels“-Abkommen zementierte Weltwirtschaftsordnung, durch militärische Interventionen oder den bisher ebenfalls im Wesentlichen vom Norden verursachten Klimawandel.

Nato, EU, Weltbank, Währungsfonds und andere institutionelle Garanten dieser globalen Unordnung sind in den meisten Ländern des Südens diskreditiert. Und die UNO, die einzige globale Ordnungsinstitution, hat sich wegen ihrer bisherigen Dominanz durch wirtschaftlich, politisch und militärisch gewichtige Staaten des Nordens als unfähig erwiesen, die globale Unordnung und Unsicherheiten zu überwinden.

Darauf machte auf der Sicherheitskonferenz lediglich Greenpeace-Direktor Kumi Naidoo aufmerksam, der einzige Vertreter einer Nichtregierungsorganisation auf einem der zentralen Podien. Den von den anderen Teilnehmern mit Sorge registrierten Zerfall bisheriger Ordnungsstrukturen begrüßte Naidoo zu Recht als notwendige Infragestellung der globalen Unordnung. Darin lägen mehr Chancen als Risiken. Den EU-Staaten empfahl der Greenpeace-Direktor, ihre Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen und die damit verbundene Gefahr einer politischen Erpressung durch Moskau zu verringern durch eine deutlich verstärkte Förderung erneuerbarer Energien. So könne die EU stärker als bislang zur Eindämmung des globalen Klimawandels beitragen.

US-Vizepräsident Biden hingegen empfahl den Europäern, sie sollten, „um sich aus der Energieabhängigkeit von Moskau zu befreien“, künftig durch Fracking gewonnenes Öl und Gas aus den USA einkaufen. Zudem sollten USA und EU „jetzt umgehend das Freihandelsabkommen TTIP abschließen, um einen neuen verlässlichen Grundpfeiler für die globale Ordnung zu schaffen“. Eine Debatte zwischen Biden und Naidoo über diese unterschiedlichen Konzepte von Ordnung und Sicherheit wäre spannend gewesen. Doch sie fand nicht statt. Der US-Vizepräsident stellte sich nicht einmal Nachfragen des Publikums.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Andreas Zumach
Autor
Journalist und Buchautor, Experte für internationale Beziehungen und Konflikte. Von 1988-2020 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf und freier Korrespondent für andere Printmedien, Rundfunk-und Fernsehanstalten in Deutschland, Schweiz,Österreich, USA und Großbritannien; zudem tätig als Vortragsreferent, Diskutant und Moderator zu zahlreichen Themen der internationalen Politik, insbesondere:UNO, Menschenrechte, Rüstung und Abrüstung, Kriege, Nahost, Ressourcenkonflikte (Energie, Wasser, Nahrung), Afghanistan... BÜCHER: Reform oder Blockade-welche Zukunft hat die UNO? (2021); Globales Chaos-Machtlose UNO-ist die Weltorganisation überflüssig geworden? (2015), Die kommenden Kriege (2005), Irak-Chronik eines gewollten Krieges (2003); Vereinte Nationen (1995) AUSZEICHNUNGEN: 2009: Göttinger Friedenspreis 2004:Kant-Weltbürgerpreis, Freiburg 1997:Goldpreis "Excellenz im Journalismus" des Verbandes der UNO-KorrespondentInnen in New York (UNCA) für DLF-Radiofeature "UNO: Reform oder Kollaps" geb. 1954 in Köln, nach zweijährigem Zivildienst in den USA 1975-1979 Studium der Sozialarbeit, Volkswirtschaft und Journalismus in Köln; 1979-81 Redakteur bei der 1978 parallel zur taz gegründeten Westberliner Zeitung "Die Neue"; 1981-87 Referent bei der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, verantwortlich für die Organisation der Bonner Friedensdemonstrationen 1981 ff.; Sprecher des Bonner Koordinationsausschuss der bundesweiten Friedensbewegung.
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Falsche Analysen führen zu falschen Schlüssen und falsche Schlüsse zu falschen Handlungen. Dass man glaubte, mit dem Friedensnobelpreis für Obama den "Weltfrieden" zu gewinnen, weil nun mit G.W.Bush das Böse aus der Welt verschwunden sei - war das Ergebnis einer falschen Analyse .

    Und so ist die Welt nun so krisengeschüttelt, wie nie zuvor seit dem II.Weltkrieg. Und so lernen wir, eine sich militärisch zurückhaltende US-Regierung schafft keineswegs mehr Frieden, sondern eine multipolare Welt ohne starke Bündnisse zerfällt in zahllose Krisengebiete.

  • Da - sorry - hatte ich mich wohl vergallopiert -

    Nun also der Kommentar von Andreas Zumach - Danke

    Fein - nur hätte ich die Steine anders gesetzt und/ bzw. als Folie vor die Klammer die Brzezinski-Doktrin - Die einzige Weltmacht - gezogen;

    Wie sie auch Kissinger verfolgt hat - worin sich allein Demokraten und Republikaner einig sind - und die Friedensfürst Obama mit seiner Rede - von Rußland als Mittelmacht - befeuert hat.

     

    Daraus und daran sind die hier kritisch aufgezeigten Anmerkungen zutreffende Beschreibungen (lediglich) abgeleiteter Prozeße und Verwerfungen;

    Dann aber - wäre damit zu beginnen gewesen und die imperiale Dysfunktionalität als Urgrund der Politiken der USA und der darin doch weitgehend vasallenhaft folgenden EU-Staaten kenntlich geworden;

    ohne `schlandkettchens abwiegelndes Bemühen kleinzumachen und den post Afghanistan traumatisierten Putin (Brzezinskis Werk!) aus der Verantwortung zu lassen; aber auch ein abwiegelndes "beigetragen" hätte sich von selbst verboten.

    Tja - hätte hätte - Fahrradkette.

     

    Feingenau aber der - "Zerfall der Unordnung" - einschließlich der Anmerkungen zur Gleichgültigkeit der westlichen Akteure, die aber auch eben in den zuvor aufgezeigten zerscherbten Strategien des Westens ihre Begründung hat -

    und die als Akteure! vor einem Krieg jenseits des Wirtschaftskrieges nicht zurückschrecken.

    "Peace is at hand"? - NO! - out of sight!

    http://www.attac-leipzig.de/allg/material/2014/Die%20einzige%20Weltmacht.pdf

  • "Zerfall der Unordnung" ...- treffender Titel .