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Kommentar Sexuelle Gewalt in IndienBelagert von Männern

Georg Blume
Kommentar von Georg Blume

Der Mangel an staatlichen Grundleistungen sorgt dafür, dass Indiens Frauen sexueller Gewalt ausgeliefert bleiben. Die liberale Elite verkennt das.

Selbstverteidigungskurs für Frauen in einer Mall in Mumbai. Bild: dpa

E s müsste so viel geschehen. Indiens Frauen sind belagert von einem gewaltbereiten Männervolk. Ein US-kanadisches Forscherteam von der New York University und der University of British Columbia (Siwan Anderson/Debraj Ray) hat kürzlich berechnet, dass in Indien bereits 25 Millionen Frauen fehlen, die Opfer von selektiven Abtreibungen, selektiver Unterernährung, Vergewaltigungen, Brautverbrennungen und anderen Diskriminierungen wurden. Jedes Jahr, so Siwan Anderson und Debraj Ray, würde Indien weitere zwei Millionen Frauen verlieren.

Gegen diese Massenvernichtung von Frauen war die indische Gesellschaft bisher wehrlos. Daran änderte auch eine profilierte Frauenbewegung nichts. Keine Sonia Gandhi, die das Land seit 2005 regiert, keine Arundhati Roy, die zu den am meisten beachteten Schriftstellerinnen der Welt zählt, konnten der Gewalt gegen die indischen Frauen bisher Einhalt gebieten. Powerfrauen wie sie, von denen Indien dringend mehr braucht, verstärkten jedoch im Ausland den falschen Eindruck, dass sich Indiens Frauen schon zu wehren wüssten. Doch dem war in Wirklichkeit nie so.

Erst die jüngsten Proteste gegen die Schreckenstat von sechs Männern an einer Medizinstudentin in Delhi haben die Hoffnung aufkeimen lassen, dass heute ein breiterer Teil der indischen Gesellschaft die Bedrohung der Frauen ernst nimmt. Zum ersten Mal nahmen auch viele Männer an den anschließenden Demonstrationen teil.

Nicole Sturz
Georg Blume

berichtet seit 2009 für die taz und die Zeit aus Indien und Pakistan. Davor arbeitete er von 1990 bis 1997 als Korrespondent in Tokio und danach 12 Jahre in Peking, wofür ihm 2007 der Liberty Award verliehen wurde.

Indiens neue Medien, zu denen auch die vielen populären privaten Fernsehsender zählen, die es vor zehn Jahren noch nicht gab, nahmen sich wie nie zuvor des Frauenthemas an. Es war die Stunde der Starmoderatoren, die auf dem Bildschirm auf ewig-gestrige Gurus und Politiker schimpften, welche die Vergewaltigungstat immer noch relativierten.

Aber auch Regierung, Justiz und Polizei wollten nach anfänglichem Zögern zumindest so tun, als würden sie mitziehen. In der Hauptstadt Delhi werden nun Polizistinnen rund um die Uhr auf jeder Polizeistation eingesetzt. Die Justiz in Delhi verspricht, Tausende von aufgestauten Vergewaltigungsprozessen mit dem Einsatz zusätzlicher Richter schnell zu lösen. Noch immer berichten die Zeitungen auf ihren Titelseiten von neuen Vergewaltigungsfällen, die früher nur eine Kurzmeldung wert waren. Der gute Wille bleibt zumindest vielerorts erkennbar.

Angst vor mehr staatlicher Macht

Zur gleichen Zeit aber mehren sich die Zweifel des traditionell liberalen Teils der indischen Öffentlichkeit. Hinter dem Ruf nach mehr Sicherheit für Frauen machen sie unschwer das allgemeine Bedürfnis nach mehr Macht und Autorität des Staates aus. Schon befürchten diese Stimmen, dass am Ende nur ein brachial auftretender Politiker wie der Ministerpräsident des Bundesstaates Gujarat, Narendra Modi, von den Protesten profitieren und die nächste Parlamentswahl gewinnen könnte.

Doch die Liberalen verkennen einen Kern des Problems. Es ist tatsächlich ein Mangel an staatlichen Grundleistungen, welcher der Gewalt gegen Frauen keine Grenzen setzt. Kaum eine indische Frau traut sich bisher auf eine Polizeistation. Das lässt sich ziemlich leicht ändern. Delhi bemüht sich gerade darum.

Ebenso lassen sich Vergewaltiger vor Gericht verurteilen, wenn die Justiz es wirklich will. Zudem bietet die Gewalt gegen Frauen den Medien Endlosstoff: Denn ihre Spur führt ins Innere der indischen Großfamilie, wo es Onkel und Tanten sind, die auf der Abtreibung des weiblichen Fötus bestehen, oder der Cousin seine Kusine vergewaltigt. Ein großes Fressen für Bollywood?

Und doch bleiben Zweifel, ob das anfängliche Aufbäumen von Männern, Medien, Filmindustrie und Teilen des Staatsapparats irgendeine Wirkung hinterlassen wird. Gerade an seiner Spitze wird Indien heute von einer unerträglichen Selbstzufriedenheit getragen. Die oberste Politiker-, Unternehmer- und Künstlerklasse des Landes spiegelt sich seit Jahren voller Lust in ihrem demokratischen Selbstbild.

Es braucht schon noch mehr Protest, um diesen Leuten – von einem Schriftsteller wie Salman Rushdie über einen Unternehmer wie Ratan Tata bis zu einem Politiker und Schriftsteller wie Shashi Tharoor – zu beweisen, dass in dem Leben der indischen Frauen zurzeit etwas grundfalsch läuft.

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Georg Blume
Auslandskorrespondent Indien
Georg Blume wurde 1963 in Hannover geboren und ist gelernter Zimmermann. Er leistete seinen Zivildienst in einem jüdischen Kinderheim sowie in einem Zentrum für Friedensforschung in Paris. Danach blieb Georg Blume in Frankreich und wurde Korrespondent der taz. 1989 wurde er Tokio-Korrespondent der taz, ab 1992 auch für die Wochenzeitung DIE ZEIT. Von 1997 bis 2009 lebte er in Peking, wo er ebenfalls als Auslandskorrespondent für die ZEIT und die taz schrieb, seit August 2009 ist er für die beiden Zeitungen Korrespondent in Neu-Delhi. Bekannt geworden ist Georg Blume vor allem durch seine Reportagen über Umweltskandale und Menschenrechtsverletzungen in China. Für dieses Engagement erhielt er 2007 den Liberty Award, mit dem im Ausland tätige Journalisten für ihre couragierten Berichterstattungen gewürdigt werden. 2012 wurde er mit dem Medienethik-Award META der Hochschule der Medien in Stuttgart ausgezeichnet. Publikationen: „Chinesische Reise“, Wagenbach, Berlin 1998. „Modell China“, Wagenbach, Berlin 2002. „China ist kein Reich des Bösen“, Körber, Hamburg 2008.
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8 Kommentare

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  • SB
    Siegfried Bosch

    Was für ein sexistischer Kommentar; wenn diese Vorwürfe geschlechtsneutral und nicht aus einem feministischen Blickwinkel heraus gekommen wären, würde man ihn einfach als rassistisch ansehen. Aber Rassismus ist erlaubt, wenn man sie mit Misandrie verbindet. So kann man dann ganz leicht auf den indischen/schwarzen Mann (und natürlich auch auf den eigenen Mann) herabblicken, weil er ja seine Frau angeblich so schlecht behandelt.

    Lesenswerte Links sind in diesem Fall http://blogs.telegraph.co.uk/news/brendanoneill2/100196384/the-delhi-rape-is-being-used-to-demonise-indian-men/ und http://www.avoiceformen.com/misandry/misandry-in-india/

  • A
    and

    Vielen Dank für den differenzierten Artikel!

    Trotzdem möchte ich noch zwei Anmerkungen machen:

    "Gegen diese Massenvernichtung von Frauen war die indische Gesellschaft bisher wehrlos" -> nein, sie war nicht wehrlos, sie hat diese massenvernichtung selbst getan: die menschen sind die gesellschaft. und sie muss sich gar nicht wehren, sie kann selbst damit aufhören.

    im text wurde erklärt, dass es um mehr geht als um vergewaltigung. trotzdem wird die tat an der studentin weiter als vergewaltigung bezeichnet: die medizinstudentin wurde nicht nur auf die denkbar schlimmste art und weise vergewaltigt, sie wurde gefoltert: excessive vergewaltigung durch mehrere männer, extremstes schlagen mit eisenstange etc. so dass u.a. ihr darm vollständig zerstört wurde. wer weiss, wie lang ein darm ist und wie geschützt er in der bauchhöhle liegt, kann sich vorstellen, wie immens die verletzungen sein müssen, um den darm vollständig zu zerstören. und als ob das noch nicht genug wäre, versuchte der busfahrer am ende noch die frau mit dem bus zu überfahren. es war vergewaltigung, folter, extreme körperverletzung und mord.

     

    es muss endlich allen klar werden, welch extreme gewalt gegen frauen hier im spiel ist.

    zum glück ist es bei uns in der gesamtmenge der taten nicht so extrem, aber es ist auch nicht so, dass gewalt gegen frauen bei uns nicht vorkommt. auch bei uns gibt es noch genug zu tun.

  • S
    Subuman

    Oder wie der Telegraph schrieb:

     

    The Delhi rape is being used to demonise Indian men

     

    http://blogs.telegraph.co.uk/news/brendanoneill2/100196384/the-delhi-rape-is-being-used-to-demonise-indian-men/

  • BA
    Besser als bei uns

    "Indiens Frauen sind belagert von einem gewaltbereiten Männervolk." Wenigstens vom eigenen Männervolk und nicht von einem Männervolk welches ein kleiner Teil der indischen Politiker unter der Hilfe von 100% der größeren Medien aus dem Orient ins Land holt um Indien "bunter" zu machen.

  • AG
    Anton Gorodezky

    In Berlin Neukölln ist heute möglicherweise auch eine Frau umgebracht und eine andere schwer verletzt worden, weil sie sich dem patriarchalischen Weltbild ihres Exmannes nicht beugen wollte. Das ist der taz aber keinen Artikel wert - es ist ja auch viel einfacher, aus der Ferne den Indern tolle Vorschläge für ihr Problem zuzurufen, da kümmert man sich lieber nicht um Probleme hierzulande.

     

    Aber bringt doch noch ein paar Artikel über Kachelmann, der gefrustet wegen der durch eine Falschbeschuldigung angeknickste Karriere von einem "Opfer-Abo" redet.

     

    Junge Frau von mehreren Männern vergewaltigt und mit Eisenstange schwer verletzt? Das gibt es auch in Deutschland: http://www.nibelungen-kurier.de/?t=news&s=Lokalnachricht&ID=42945

  • KK
    Kein Kunde

    Dann ist's ja wie bei uns.

    Eine weit abgehobene Elite, die sich im Selbstbild sonnt, und gar nicht in der Lage ist Probleme selber zu benennen oder gar zu lösen.

  • C
    chavez

    Der Kommentator schreibt wohl die Filmindustrie, in dieser Sache eine positive Rolle, dabei verdanken die indische Frauen ihre jetzige Position und Wert in der Gesellschaft genau Hollywood und Bollywood. Genau in diese zwei Institutionen wird die Rolle der Frau in der Gesellschaft auf nur Sex-Objekte heruntergestuft! Bei einer intensiven Beobachtung diesen Filmen gewinnt man den den Eindruck, als seien Frauen nur dafür erschaffen, Männer zu befriedigen und zu dienen. Die indische Gesellschaft war früher Patriarchisch, dennoch hatten die Frauen eine bestimmte Position (welche von den vordefinierten Position der Männer in der Gesellschaft unantastabr war) inne gehabt. Diese Position ist nun durch die Macht der Medien anders definiert. Die Frauen sind durch die neue Definition die eindeutige Verlierer, denn diese Definition schreibt ihnen nur noch eine Position zu: Sexobjekt zu sein für die Männer. Die Reaktion der indischen Gesellschaft erinnert an die vorislamischen Zeit nämlich die Zeit der "Unwissenheit" auch damals wurden die kleine Mädchen als Schande angesehen und von den eigenen Eltern getötet.

  • I
    Interpretator

    Was lernen wir daraus: Nicht alles, was Kultur ist, verdient Respekt. Und schon gar nicht, wenn Männer aus solchen Kulturen massenhaft in unsere integrieren, denn Indien ist (fast) überall.

     

    Doch kein Grund zur Überheblichkeit. Obwohl wir als Gesellschaft in Sachen Frauenrechte besser sind als die meisten anderen, gibt es auch bei uns Gruppenvergewaltigungen (meist durch entsprechende "Kulturträger"), aber ebenso alltägliche sexuelle Gewalt in vielen Partnerschaften in allen Milieus und kulturellen Gruppen, Belästigungen usw. Und was tut die Justiz? Amir, Osman und Mohammed müssen 500 € Schmerzensgeld zahlen, weil sie eine junge Frau, die mit Tabletten besinnungslos gemacht wurde, sexuell missbraucht haben. Sorry, aber bei uns gibt es genug Skandale und genug Männer, die sich von den Vergewaltigern in Indien nicht unterscheiden.