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Kommentar Sexuelle Gewalt in GBMachtmissbrauch des Altmännerklubs

Kommentar von Hugh Williamson

Viel zu lange haben im britischen Parlament Männer ihre Macht missbraucht. Loyalität zwang Opfer und Kollegen zum Schweigen.

Trat zurück: Michael Fallon Foto: ap

I m Englandurlaub letzte Woche machten wir jeden Tag herrliche Spaziergänge. Und jeden Abend verpuffte das Urlaubsgefühl wieder, wenn wir in der BBC von den neuesten Anschuldigungen gegen britische Parlamentarier wegen sexueller Übergriffe hörten. Die Weinstein-Affäre hat nach Jahrzehnten des Fehlverhaltens in Westminsters Korridoren der Macht den Damm gebrochen.

Verteidigungsminister Sir Michael Fallon trat zurück, nachdem ihm sexuelle Belästigung vorgeworfen worden war, zwei andere Minister werden befragt. Auch die Opposition bleibt nicht verschont: Zwei Labour-Abgeordnete wurden nach Belästigungsvorwürfen suspendiert. Eine Aktivistin sagt, sie sei bei einem Labour-Event vergewaltigt worden. Und in dieser Woche nahm sich ein walisischer Labour-Politiker offenbar das Leben, nachdem er sexueller Übergriffe beschuldigt worden war.

Westminster war viel zu lange eine frauenfeindliche Arbeitsumgebung. Zu tief wurzelt die machtmissbrauchende Altmännerklub-Kultur der großen Egos und des Sexismus, angeheizt durch Drinks an der parlamentseigenen Bar. Eine stammesähnliche Loyalität unter den Abgeordneten zwang Opfer und aufmerksame Kollegen zum Schweigen. Dass die Parlamentarier selbst über ihr Personal entscheiden, machte Beschwerden nicht leichter.

War die Lage für Premierministerin May schon vor dem Skandal schwierig, wirkt sie nun beinahe aussichtslos. Dies hätte ihr Moment sein können – man erinnere nur die Bilder von May im T-Shirt mit der Aufschrift „This is what a feminist looks like“. Dass der Skandal ihre Bemühungen zerstörte, die Regierung zusammenzuhalten und auf den Brexit zu konzentrieren, während die sozialen und wirtschaftlichen Probleme des Landes immer größer werden, offenbarte Mays Schwäche.

Hugh Williamson

lebt in Berlin und arbeitet für Human Rights Watch. Er schreibt als freier Autor und twittert unter @hughawilliamson.

Und doch könnte er etwas Gutes haben. Denn der Mut der Frauen, an die Öffentlichkeit zu gehen, gibt womöglich den Anstoß für den Wandel Westminsters zu einem modernen, anständigen Parlament. Es wäre höchste Zeit.

Übersetzung: Johanna Roth

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1 Kommentar

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  • Loyalität kommt aus dem Französischen und bedeutet so viel wie „Anständigkeit“. Die Wurzeln des französischen Wortes liegen wiederum im latenischen „lex“ = „Gesetz, Vorschrift, Gebot, Vertrag, Bedingung“.

     

    Loyalität meint etwas völlig anderes als Treue, Gehorsam oder gar Unterwerfung. Denn erstens werden Treue, Gehorsam und Unterwerfung völlig anders übersetzt ins Lateinische (mit fide, obedientiam und submission nämlich) und zweitens ist Unterwerfung nicht mit Freiheit vereinbar. In einer "freien Welt" gilt sie deshalb als eher unanständig.

     

    Nein, nicht „Loyalität“ war es, die „Opfer und Kollegen zum Schweigen [gezwungen hat]“. Es war der starke Wunsch, ganz oben mitzumischen, auch wenn es da nicht unbedingt besonders koscher zugegangen ist. Es war Gehorsam, ein gewisser Untertanengeist. Es war die Treue eines Hundes zu seinem Herrn.

     

    Immerhin: Etwas scheint sich zu bewegen. Sieht aus, als hätte eine neue Generation von Politikerinnen, Schauspielerinnen und anderen „starken“ Frauen die Hoffnung, eine Welt, in der Frauen nicht auf ihr Geschlecht reduziert werden, sei machbar.

     

    Gut möglich aber auch, dass das doch nur so scheint und Frauen mal wieder bloß die selben Rechte für sich in Anspruch nehmen wollen, die Männer sich seit Urzeiten schon nehmen. Weil sie es einfach können. Wir werden sehen. Um Macht missbrauchen zu können, müssen Frauen sie ja doch erst mal erobert haben.

     

    Kann also durchaus sein, dass sich demnächst auch Frauen vor Gericht verantworten müssen für Sexismus. Ich denke, ich würde selbst das noch für einen Fortschritt halten. Es heißt ja schließlich GLEICHberechtigung.

     

    Übrigens: Mit der Forderung nach einem „Wandel Westminsters zu einem modernen, anständigen Parlament“ wäre ich vorsichtig. Wer selbst in einem Glashaus sitzt, der sollte schließlich nicht mit Steinen werfen. Das sagt zwar weder der Lateiner noch der Franzose, es stimmt aber trotzdem.