piwik no script img

Kommentar Sebastian Kurz bei MerkelGemeinsam gegen Flüchtlinge

Ralf Leonhard
Kommentar von Ralf Leonhard

Der österreichische Kanzler Sebastian Kurz braucht seine deutsche Amtskollegin Angela Merkel. Vor allem zur Abwehr der Pläne von Horst Seehofer.

Sebastian Kurz in Berlin Foto: reuters

S ebastian Kurz und Angela Merkel, das ist bekannt, verbindet keine politische Liebesbeziehung. Vor allem in der Frage der Flüchtlingspolitik. Österreichs Kanzler fühlt sich da eher zu Horst Seehofers Schotten-dicht- und Obergrenzenmentalität hingezogen. Doch wenn der deutsche Innenminister seinen Masterplan umsetzt, würden Flüchtlinge an der bayerischen Grenze nach Österreich zurückgeschickt. Vergangenes Jahr gab es in Deutschland 64.000 „Dublin-Fälle“. Die meisten sind über Österreich eingereist.

Die Vorstellung, dass auch nur halb so viele demnächst zurückgeschoben werden, muss jemandem, der seinen Wahlsieg der harten Haltung gegenüber Asylsuchenden zu verdanken hat, Alpträume bescheren. Die in einem halben Jahr Koalition mit der rechten FPÖ beschlossenen Gemeinheiten gegen aufenthaltsberechtigte Flüchtlinge kommen bei der Mehrheit der Bevölkerung gut an. Von Kurz etwas Anderes als ein „Weiter so“ zu erwarten, wäre also unrealistisch.

Also überrascht es nicht, dass sich Österreich auch für die bevorstehende EU-Ratspräsidentschaft die Abwehr von Flüchtlingen als vorrangiges Ziel der Union auf die Fahnen geschrieben hat. Das geht nur mit einer weiteren Militarisierung der Außengrenzen. Ein Auffanglager in Albanien wird in Geheimgesprächen angebahnt. Ohne Deutschland sind solche Pläne und die Erhöhungen der entsprechenden Budgetlinien nicht durchsetzbar. Merkel und Kurz sind also taktische Verbündete. Nicht zuletzt gegen die eigenen Koalitionspartner.

Kurz zu Besuch in Deutschland

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz fordert einen wesentlich schlagkräftigeren EU-Außengrenzschutz. Er setze darauf, dass dazu unter der am 1. Juli beginnenden halbjährlichen österreichischen EU-Ratspräsidentschaft Entscheidungen fielen, sagte Kurz am Dienstag in Berlin nach einem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel. Er werde dazu am 20. September zu einem EU-Gipfel einladen, auf dem der EU-Außengrenzschutz Frontex „personell, finanziell und vom Mandat“ gestärkt werden soll. Er setze auf deutsche Unterstützung. Frontex müsse sehr viel schneller und nicht erst 2027 schlagkräftig werden. Österreichs Kanzler forderte zudem energische Wirtschaftsreformen und schlankere Entscheidungsstrukturen in der EU. Er sprach sich zudem für nur noch einen Sitz des Europäischen Parlaments und einen stärkeren Dialog mit Russland aus. Am Mittwoch trifft Kurz auf Bundesinnenminister Horst Seehofer. (rtr/taz)

Wo Merkel ihren verhaltensauffälligen Horst Seehofer hat, hält sich Kurz seinen immer noch rechtsextrem vernetzten Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der FPÖ, der die europäische Küstenwache Frontex für einen Schlepperverein hält, weil die Agentur Flüchtlingsboote an Land bringt, statt sie im Mittelmeer zu versenken. Obwohl die von Kurz nach rechts gelenkte ÖVP inzwischen durchaus im europäischen Mainstream liegt, muss der Kanzler versuchen, als Ratspräsident integrativ aufzutreten. Auch deswegen sucht er Merkels Nähe.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ralf Leonhard
Auslandskorrespondent Österreich
*1955 in Wien; † 21. Mai 2023, taz-Korrespondent für Österreich und Ungarn. Daneben freier Autor für Radio und Print. Im früheren Leben (1985-1996) taz-Korrespondent in Zentralamerika mit Einzugsgebiet von Mexiko über die Karibik bis Kolumbien und Peru. Nach Lateinamerika reiste er regelmäßig. Vom Tsunami 2004 bis zum Ende des Bürgerkriegs war er auch immer wieder in Sri Lanka. Tutor für Nicaragua am Schulungszentrum der GIZ in Bad Honnef. Autor von Studien und Projektevaluierungen in Lateinamerika und Afrika. Gelernter Jurist und Absolvent der Diplomatischen Akademie in Wien.
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • "KURZ ZU BESUCH IN DEUTSCHLAND"

     

    Doch der kurze besuch von Herrn Kurz wird noch ganz lange nachhallen...

  • "Das geht nur mit einer weiteren Militarisierung der Außengrenzen."

     

    Was für ein Sprachgebrauch. Dann gibt es bald ja wohl auch einen militarisierten Fahrkartenkontrolleur.

    SPRACHE MACHT MEINUNG und manipuliert.

  • Die „Achse der Willigen“ geführt vom Sebastian Kurz dem Wunder Wurzi aus Österreich mit Viktor Urban, Marie Le Penn, Matteo Salvini, Jaroslaw Kaczynski, Geert Wilders und Horst Seehofer sowie Alexander Gauland.

     

    Wenn Angela Merkel jetzt kein Machtwort gegenüber Horst Seehofer spricht, nimmt sie billig in Kauf, dass durch die fortlaufende Hetze, das durch das fortlaufende Aufbauschen der Flüchtlingskriese als das Wichtigste auf Erden die EU buchstäblich implodiert.

     

    Die EU hat mit ca. 2 Mio. aufgenommen Flüchtlingen, nicht einmal so viel aufgenommen wie die Türkei. Und diese 2 Mio. Flüchtlinge sollen die EU an die Grenzen der Belastbarkeit gebracht haben? Das bläuen uns täglich diese Rechtsradikalen ein und die Presseberichterstattung macht dabei mit.

    • @Nico Frank:

      Es ist wie immer, einfach irgendwelche Zahlen in den Raum geworfen ohne Belege.

       

      In der EU haben seit 2015 3,23 Millionen Menschen Asyl beantragt.

       

      //ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=File:First_time_asylum_applicants,_Q4_2016_%E2%80%93_Q4_2017.png

      • @Sven Günther:

        Das ändert nicht den Kern meiner These, dass d.d. 3.23 Mio. Flüchtlinge irgend wie der Bestand von Europa gefährdet sein könnte. Auch die Tatsache, dass die Türkei mehr Flüchtlinge als ganz Europa aufgenommen hat, bleibt richtig. Durch Ihre konkrete Information gewinnt ihr Versuch, meinen Beitrag zu diskreditieren keinen Boden.

  • Nach meinem Kenntnisstand gibt es keine gemeinsame Grenze Württemberg - AT. Auch Geflüchtetenschiffe auf dem Bodensee sind mir keine bekannt.

  • Alles Gute kommt bekanntlich aus Österreich...

    Der Bayernschreck mimt - wie immer - den Hofnarren.