Kommentar Sebastian Edathy: Unsichere Rechtslage, ungutes Gefühl
Die Unschuldsvermutung ist de facto ausgehebelt, Sebastian Edathy droht der soziale Tod. Und es bleiben noch viele offene Fragen.
W ir wissen nicht, ob Sebastian Edathy sich strafbar gemacht hat. Es läuft zwar ein Ermittlungsverfahren gegen den Exparlamentarier. Aber ob es zu einem Prozess oder zu einer Verurteilung kommen wird, ist offen. Edathy soll nur Bilder von Minderjährigen gekauft haben, die hierzulande nicht verboten sind und nicht als Kinderpornografie gelten.
Wir wissen nicht, ob das die Wahrheit ist oder nicht. Sicher aber ist: Auch wenn Edathy nur legale Bilder gekauft hat, wird es dem Expolitiker nicht viel nutzen. Wer mit Kinderpornografie assoziiert wird, wird hierzulande bestraft, auch ohne Prozess und Gericht. Ihm blüht eine Art sozialer Tod, das Ende jeder öffentlichen Karriere und gesellschaftliche Ächtung ohne Bewährungsfrist.
Die Melange von staatsanwaltschaftlicher Ermittlung und offenbar unvermeidbarer Vorverurteilung macht diesen Fall so ungut. Denn damit wird die Unschuldsvermutung ausgehebelt – de facto, nicht de jure. Es ist eine Frage wert, ob das Recht der Öffentlichkeit, informiert zu werden, solche Kollateralschäden immer aufwiegt.
In der Affäre Edathy werden die Rücktrittsforderungen gegen Bundesminister Hans-Peter Friedrich (CSU) lauter. „Ein Bundesminister, der Dienstgeheimnisse verrät, ist nicht tragbar. Wenn er nicht zurücktritt, muss die Bundeskanzlerin ihn entlassen", sagte FDP-Chef Christian Lindner der Nachrichtenagentur dpa. Auch Linksparteichef Bernd Riexinger sagte der Mitteldeutschen Zeitung: „Er ist politisch als Mitglied der Bundesregierung nicht mehr tragbar.“ Die Grünen verlangten Aufklärung im Bundestag.
Ebenso grenzwertig ist, wie die Information über den Verdacht gegen Edathy seit dem letzten Herbst gehandelt wurde. Dass Exinnenminister Friedrich der SPD-Spitze etwas über den Fall Edathy steckte, mag menschlich und pragmatisch verständlich sein. Denn: Wäre Edathy zum Beispiel Staatssekretär geworden, der Fall wäre jetzt ein noch größeres Spektakel. Auch Eigennutz kann man Friedrich nicht unterstellen.
Doch rechtlich gesehen ist das Verhalten von Friedrich, der damals auch Verfassungsminister war, mehr als fragwürdig. So wissen wir nicht, ob Edathy auf diesem krummen Weg möglicherweise vorgewarnt wurde. Bislang gibt es dafür kein triftiges Indiz. Aber schon die Vorstellung, dass der Innenminister an einer Strafvereitelung beteiligt gewesen sein könnte, ist mehr als beunruhigend.
Und es gibt offene Fragen: Warum wusste Sigmar Gabriel früh von dem Fall, Bundestagspräsident Lammert aber nicht? Warum behauptet SPD-Mann Thomas Oppermann, dass der BKA-Chef ihm den Verdacht gegen Edathy bestätigte, während der BKA-Mann dies bestreitet? Und die SPD-Politikerin Lambrecht hat zumindest geschwindelt, als sie kundtat, den Fall nur aus den Medien zu kennen. Viel Ungeschicktes und Ungereimtes. Zu viel für so einen heiklen Fall.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten