piwik no script img

Kommentar Schweizer ParlamentswahlEs geht ihnen zu gut

Andreas Zumach
Kommentar von Andreas Zumach

Die Mehrheit der Wahlberechtigten ging nicht wählen, weil sie keinen Änderungsbedarf sehen. So überlassen sie das Feld den Rechtspopulisten.

Die Leute da abholen, wo sie stehen: Wahlwerbung der SVP Foto: dpa

D en 5,2 Millionen wahlberechtigten BürgerInnen der Schweiz geht es immer noch viel zu gut. Rekordhohe 52 Prozent nahmen an der gestrigen Parlamentswahl nicht teil. Über ein Viertel davon, weil sie mit den Verhältnissen in ihrem Land so zufrieden sind, dass sie keinerlei Veränderungs-, Reform- oder sonstigen politischen Handlungsbedarf sehen.

Besonders dramatisch wirkte sich die Abstinenz der 18- bis 34-jährigen Erst- und JungwählerInnen auf das Wahlergebnis aus, die zu über zwei Drittel der Urne fernblieben. Dass die WahlteilnehmerInnen dieser Altersgruppe mehrheitlich für die Sozialdemokraten und die Grünen votierten, hatte daher entsprechend geringen Einfluss auf das Gesamtergebnis dieser Wahl.

Damit blieb das Feld einmal mehr der rechtspopulistischen SVP überlassen. Diese schürt mit realitätsfernen Feindbildern und Bedrohungsszenarien von einer durch Flüchtlinge und andere Ausländer „überfremdeten“ Schweiz sowie einem angeblich drohenden „Anschluss“ der Alpenrepublik an die EU soziale Abstiegsängste, was vor allem unter weniger gut ausgebildeten Männern und WählerInnen im Rentenalter verfängt, die zu rund 70 Prozent an der Wahl teilnahmen.

Ein erstes Opfer der neuen Mehrheitsverhältnisse im Schweizer Parlament dürfte die Energiewende werden. Die SVP hält die Klimaerwärmung für ein Märchen. Von der bisher zuständigen christdemokratischen Bundesrätin wurde die Energiewende nur halbherzig betrieben und brachte ihrer Partei CVB keine Stimmengewinne. Aber auch die bislang stark für die Energiewende engagierten Grünen gehören mit einem Verlust von fünf Sitzen im Nationalrat zu den Verlierern dieser Wahl.

Hoffentlich muss es nicht erst zu einem Unfall in einem der völlig überalteten AKWs der Schweiz kommen, deren gravierende Sicherheitsmängel von den zuständigen Behörden systematisch vertuscht und verharmlost werden, um die Eidgenossen aus ihrem wohlstandsgesättigten Dornröschenschlaf zu wecken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Andreas Zumach
Autor
Journalist und Buchautor, Experte für internationale Beziehungen und Konflikte. Von 1988-2020 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf und freier Korrespondent für andere Printmedien, Rundfunk-und Fernsehanstalten in Deutschland, Schweiz,Österreich, USA und Großbritannien; zudem tätig als Vortragsreferent, Diskutant und Moderator zu zahlreichen Themen der internationalen Politik, insbesondere:UNO, Menschenrechte, Rüstung und Abrüstung, Kriege, Nahost, Ressourcenkonflikte (Energie, Wasser, Nahrung), Afghanistan... BÜCHER: Reform oder Blockade-welche Zukunft hat die UNO? (2021); Globales Chaos-Machtlose UNO-ist die Weltorganisation überflüssig geworden? (2015), Die kommenden Kriege (2005), Irak-Chronik eines gewollten Krieges (2003); Vereinte Nationen (1995) AUSZEICHNUNGEN: 2009: Göttinger Friedenspreis 2004:Kant-Weltbürgerpreis, Freiburg 1997:Goldpreis "Excellenz im Journalismus" des Verbandes der UNO-KorrespondentInnen in New York (UNCA) für DLF-Radiofeature "UNO: Reform oder Kollaps" geb. 1954 in Köln, nach zweijährigem Zivildienst in den USA 1975-1979 Studium der Sozialarbeit, Volkswirtschaft und Journalismus in Köln; 1979-81 Redakteur bei der 1978 parallel zur taz gegründeten Westberliner Zeitung "Die Neue"; 1981-87 Referent bei der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, verantwortlich für die Organisation der Bonner Friedensdemonstrationen 1981 ff.; Sprecher des Bonner Koordinationsausschuss der bundesweiten Friedensbewegung.
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Die Einlassungen der beiden Vor-Kommentatoren demonstrieren wunderbar den Unterschied zwischen Ahnung und Meinung.

     

    Nochwas: die SVP hat sagenhafte 1,5% gewonnen. Das ist weniger als bei der vorletzten Wahl.

  • Pardon, der Kommentar ist Käse

    1. Die Wahlbeteiligung bei Nationalratswahlen ist in der Schweiz seit 1979 konstant unter 50%. Nachdem sie mit der Wahl 1992 (42,2%) einen Tiefpunkt erreicht hatte ging es wieder leicht aufwärts, die 48% stehen (mit Abweichungen nur hinter dem Komma) seit 2007.

    2. ist auch die "Lagerbildung" in der Schweiz im Grunde seit bald hundert Jahren konstant: 1/3 wählt Links-Grün, 2/3 liberal-bürgerlich. Nur innerhalb der Lager gibt es größere Bewegungen.

    Das Wahlergebnis ist dann auch kein "Rechtsrutsch" (die SP ist weitgehend konstant) sondern einfach nur ein Ende des Ettikettenschwindels: die BDP ist 2008 als "liberalere" Abspaltung der SVP gegründet und 2011 auch noch gewählt worden. Nur hat sich jetzt gezeigt das sie eben nicht 'liberal' ist (im Schweizer Spektrum bedeutet das bürgerlich/wirtschaftsliberal) sondern recht deutlich klar linke Positionen bezieht. Und dafür wurde sie eben abgestraft.

  • Ein besorgniserregender Wahlausgang. Wieder eine Wahl bei der es einen Ruck nach Rechts gibt. Die Passivität der Nichtwähler rührt aber wohl zum Teil auch in der Schweiz daher, dass sich gefühlt Politik und die einfachen Menschen zu weit entfernt haben. Leider profitieren davon am Ende immer Populisten.