Kommentar Schwangerschaftsabbrüche: Von wegen „Kompromiss“
Im Streit um Paragraf 218 wird es keine Lösung geben, die alle zufriedenstellt. Eine Verschärfung des Gesetzes muss aber niemand fürchten.
F ür Samstag hat das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung zu einem bundesweiten Aktionstag aufgerufen. Dabei soll es nicht nur um Proteste gegen die geplante Neuregelung des Paragrafen 219a gehen – also darum, wie Ärzt*innen in Zukunft über Abtreibungen informieren dürfen.
Zu Recht fordert das Bündnis, auch den Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Denn anders als viele Politiker*innen und Kommentator*innen unterstellen, handelt es sich beim § 218 nicht um einen guten Kompromiss und damit Ausdruck von Politikfähigkeit.
Ein Kompromiss würde voraussetzen, dass sich zwei gleich starke Lager gegenüberstehen: Auf der einen Seite diejenigen, die Schwangerschaftsabbrüche verbieten, auf der anderen diejenigen, die sie – in der Frühschwangerschaft – erlauben wollen. Diese zwei Lager existieren nicht. Was es gibt: Menschen, die akzeptieren, wenn Frauen eine Schwangerschaft beenden wollen und dass dies ihre ganz persönliche Entscheidung ist.
Und es gibt Menschen, die das nicht ertragen und in einen Konflikt geraten: Auf der einen Seite steht das Entsetzen darüber, dass eine Frau das Kind, das in ihr wächst, wegmachen lässt. Auf der anderen Seite steht das Wissen, dass ungewollt Schwangere nicht zum Austragen gezwungen werden können und Frauen bei illegalen Abtreibungen sterben.
Eiken Bruhn
ist taz-Redakteurin in Bremen. Im März 2017 schrieb sie in der taz über den deutschlandweiten Mangel an Abtreibungs-ärzt*innen. Dass das vor ihr noch niemand getan hatte, konnte sie zunächst nicht glauben. Nach dem Gezerre um den § 219a wundert sie gar nichts mehr.
Ein juristisches Kuriosum
Wer diesen inneren Konflikt nicht bewältigt, hält den § 218 für einen guten Ausweg aus seinem persönlichen Dilemma. Denn Schwangerschaftsabbrüche gelten danach als Tötungsdelikt, werden aber nicht als Straftat verfolgt, wenn bestimmte Auflagen eingehalten werden. Dieses juristische Kuriosum – weltweit einmalig – ist die Lösung einer 1993 vom Bundesverfassungsgericht gestellten Aufgabe. Das hatte eine „grundsätzliche Pflicht zum Austragen des Kindes“ erkannt und daraus die Notwendigkeit eines strafbewehrten Verbots abgeleitet.
Ganz vorbei an den Grundrechten der Frau kamen das Gericht – sieben Männer, eine Frau – nicht und erfand ein „Schutzkonzept“, das die Frau durch „individuelle Beratung und einen Appell an ihre Verantwortung gegenüber dem ungeborenen Leben […] dafür zu gewinnen sucht, sich der Aufgabe als Mutter nicht zu entziehen“.
Seitdem gibt es die Pflichtberatung, die laut Schwangerschaftskonfliktgesetz „ergebnisoffen“ sein und „dem Schutz des ungeborenen Lebens“ dienen soll. Eine Generation hat sich an diesen Widerspruch gewöhnt. Über zweieinhalb Millionen Frauen haben sich vor dem Abbruch beraten lassen, auch wenn der Entschluss bei zwei Dritteln feststand. Das hatte 2016 eine Befragung von 340 Frauen im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ergeben.
Jetzt rächt sich, dass SPD und Grüne, die eine Fristenregelung bevorzugen, nach der Abtreibungen in den ersten zwölf Wochen erlaubt sind, seit 24 Jahren nichts dafür getan haben, um Mehrheiten für die Abschaffung des § 218 zu organisieren. Denn das Gesetz hat Nebenwirkungen, wie die taz vor zwei Jahren aufgedeckt hat: Weil Abtreibungen in Deutschland als Verbrechen behandelt werden, gibt es immer weniger Ärzt*innen, die sie machen. Deshalb müssen Frauen für einen Abbruch in einigen Regionen 100 Kilometer und mehr fahren. Dennoch beharrt die SPD darauf, der § 218 würde den Zugang zum sicheren Abbruch garantieren.
Öffnet die AfD die „Büchse der Pandora“?
Politiker*innen von Grünen und SPD reden sich auch gerne damit heraus, dass sie eine Debatte über den § 218 vermeiden wollten, um zu verhindern, dass er verschärft würde. Das Ergebnis: Jetzt sind es die Rechtspopulisten, die das Thema besetzen. Die erste Debatte seit 1995 im Deutschen Bundestag, die explizit die Abschaffung des § 218 zum Thema hatte, fand im Dezember statt: Auf Antrag der AfD, die die Jusos dafür angriffen, dass diese die Streichung des § 218 forderten. Die Jusos würden es gutheißen, wenn „Babys“ „eine Minute vor der Geburt getötet werden“ können, so die AfD.
Das Motiv der AfD ist menschenfeindlich, aber man muss fast hoffen, dass sie „die Büchse der Pandora“ öffnet, wie es ein CSU-Abgeordneter in der Debatte nannte. Eigentlich muss der Gesetzgeber nämlich überprüfen, ob der § 218 seinem Schutzauftrag gerecht wird. Das hat das Bundesverfassungsgericht 1993 in seinem Urteil verlangt. Aber um das beurteilen zu können, müsste es belastbare Zahlen geben. Die gibt es nicht.
Das Einzige, was derzeit als Beweis für die Wirksamkeit des „Schutzkonzepts“ bemüht wird, sind die Daten des Statistischen Bundesamts. Danach ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche rückläufig, mit Ausrutschern nach oben. Aber ob alle niedergelassenen Ärzt*innen und Kliniken ihrer Meldepflicht nachkommen? Wenn niemand sie kontrollieren kann? Und ob die Beratungspflicht ursächlich für den Rückgang ist? Oder vielmehr Lebensumstände?
Pures „Lebensschützer“-Denken
Es gibt noch mehr Fragen, die nicht gestellt werden – aus Angst vor den Antworten. Zum Beispiel: Wie wirkt sich die Beratungspflicht auf das Beratungsergebnis aus? Die erwähnte Studie der Bundeszentrale ist die einzige, die sich mit Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland beschäftigt. Darin finden sich Hinweise, dass Frauen, die befürchten, zum Austragen des Kindes überredet zu werden, den Gedanken verdrängen, dass sie es vielleicht doch bekommen möchten. Und wie oft wird unentschlossenen Frauen wortlos der Schein rübergeschoben, weil die Beraterin sie nicht unter Druck setzen will?
Die Bundesregierung interessiert sich dafür nicht, will aber „die seelischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen“ untersuchen lassen. Das ist zwar pures „Lebensschützer“-Denken, bietet aber eine Chance. Denn wer seriös erforscht, warum Frauen nach einer Abtreibung leiden, wird zu dem Ergebnis kommen, dass dies eng mit dem Grad der Tabuisierung des Themas verknüpft ist.
Letztlich muss sich niemand vor einer möglichen Verschärfung des § 218 fürchten: Ein Bundesverfassungsgericht, das der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare und dem drittem Geschlecht den Weg ebnete, wird Frauen keine Austragungspflicht mehr auflegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei