Kommentar Schutz vor sexueller Gewalt: Ein Grapscher ist ein Grapscher
Nach der Kölner Silvesternacht wurde heftig um Asylpolitik gestritten. Eigentliches Thema hätte der Umgang mit Sexualdelikten sein müssen.
N ur noch wenige Tage, und sie ist ein Jahr her, jene Silvesternacht, die im öffentlichen Gedächtnis den schlichten Namen „Köln“ bekommen hat. Ein Jahr „nach Köln“ werden 1.500 PolizistInnen dafür sorgen, dass „alle Menschen“ friedlich feiern können, sagte Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Ein Großaufgebot, eine Nacht, eine Stadt – und ein Problem, das an 365 Tagen im Jahr an allen Orten Relevanz hat: das Recht auf körperliche Unversehrtheit.
In der Nacht auf den 1. Januar 2016 umkreisten auf dem Kölner Domplatz Gruppen von Männern PassantInnen, bedrängten und bestahlen sie. Sie griffen Frauen zwischen die Beine, an die Brust, unter die Unterwäsche. Mehr als 500 Anzeigen gingen bei der Polizei ein. Eine riesige Diskussion folgte – vor allem über die deutsche Asylpolitik. Was eigentlich im Zentrum hätte stehen müssen: wie sehr die Bundesrepublik den Schutz vor sexualisierter Gewalt bisher vernachlässigt hat.
Dass für Sexualdelikte nicht ausschließlich „die anderen“ verantwortlich sind, ist belegt. 131 Frauen wurden 2015 in Deutschland von ihren Partnern getötet. 35 Prozent der Frauen wurden seit ihrem 15. Lebensjahr Opfer körperlicher und/oder sexualisierter Gewalt. Die wenigsten dieser Übergriffe werden zur Anzeige gebracht. Und das hat Gründe.
Sogenanntes Grapschen konnte bis vor wenigen Monaten nur als Beleidigung anzeigt werden. Eine Reform dieser skandalösen Rechtslage war lange geplant – und wurde fast genauso lange vom Kanzleramt blockiert. Dann kam Köln. Seit Juli 2016 ist Grapschen nicht länger straffrei.
Es war überfällig. Gleichwohl kann es nur ein erster Schritt sein. Wirklich sicher können Frauen nur dann sein, wenn sie ernst genommen werden. In vielen Fällen wurden Opfer, die sich in jener Nacht an die Polizisten wandten, abgewiesen. Dass Frauen belästigst werden, passiert nun mal – so lautet der immer noch verbreitete Grundgedanke. Erst recht in großen Menschengruppen. Wenn wir darüber reden, wer „in Köln“ versagt hat, dann ist das nicht die Flüchtlingspolitik. Versagt hat die Polizei, die nicht angemessen reagiert hat. Ebenso die Politik und die Justiz und mit ihr die Gesellschaft.
Was nun kommen muss, ist die konsequente Durchsetzung in der Praxis. Egal, wer zu welcher Zeit an welchem Ort Täter ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
HTS als Terrorvereinigung
Verhaftung von Abu Mohammad al-Jolani?