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Kommentar SPD-Parteitag in LeipzigEs geht nur so

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Gabriels Wahlergebnis ist realistisch: Seine Analyse der Niederlage bei der Bundestagswahl war gut. Doch die Rolle der SPD unter Merkel bleibt vage.

Sigmar Gabriel mit Winkelement Bild: dpa

D ie SPD ist unter der geschickten Regie von Sigmar Gabriel auf dem Weg in die Große Koalition. Das geht nicht gerade, sondern nur ruckelnd, mit Kurven, Wehklagen, Protesten. Und es geht nur so.

Dazu gehört auch das wenig beeindruckende, aber auch nicht schändliche Ergebnis von 83 Prozent, die der SPD-Chef von den Genossen bekam. Es heißt übersetzt: Ja, zur Regierungsbeteiligung, aber kein Blankoscheck.

Gabriel muss liefern, ein, zwei, drei Symbole im sozialdemokratischen Kerngeschäft: Mindestlohn, Regulierung bei Zeit und Leiharbeit, Verbesserungen beide der Rente. Das Mitgliedervotum ist dabei ein überschaubares Risiko. Denn bei allem Unmut über das Bündnis mit Merkel gibt es keinen Plan B.

Ein Nein der Basis wäre realpolitisch ein Totalschaden. Die SPD hätte, wenn überhaupt, eine ramponierte Führung, die die SPD wohl in Neuwahlen führen müsste, an der die Partei in aller Augen auch noch Schuld wäre. Ein Nein wäre selbstzerstörerisch, deshalb ist es so unwahrscheinlich.

Nur: Wenn alle glauben, dass die Basis sowieso Ja sagt, kann es wirklich schief gehen. Deshalb muss die Spannung gehalten, die Absturzgefahr stets dicht vor Augen geführt werden. Gabriel ist ein scharfsinniger Redner. Es ist kaum vorstellbar, dass in der Union jemand nach einer Wahlniederlage alles, was im Argen liegt, so schonungslos zur Sprache bringen könnte.

Und die Linkspartei?

Das Saturierte der Partei, ihre gemütvolle Moral, ihre Selbstbezüglichkeit, das Graugesichtige. Diese Analyse war glänzend, mutig, wenn auch fast immer mit rhetorischer Aussicht auf Besserung verbunden.

Was vage bleibt, ist wohin der SPD-Chef will, wenn die Große Koalition besiegelt ist. Die Partei müsse im Alltag wieder an der Seite der an den Rand gedrückten stehen und Advokat der kleinen Leute sein. Sie soll aber auch die gutverdienenden Arbeitnehmer, die für Merkels Weiter-So empfänglich sind, zurückgewinnnen. Sie muss wirtschaftsnäher werden. Und das verwaiste liberale Erbe der FDP antreten. Und sich Migranten, Frauen, Jungen öffnen.

Und, und, und. Das ist mehr als anspruchsvoll. Es ist, trotz aller schneidigen Formulierungskunst, richtungslos. Manchmal klang Gabriel wie einer, der die Partei jetzt mal richtig auf Vordermann bringen will. Ist er nicht schon seit vier Jahren verantwortlich für die SPD?

Eine neue Strategie Richtung Linkspartei hat die SPD trotz der formalen Öffnung für Rot-Grün-Rot nicht. Es herrscht die gleiche lärmende Ratlosigkeit, eine Mixtur aus Herablassung und trotzigem Beleidigtsein.

Solange Gabriel die linke Konkurrenz als verrückt beschimpft, gibt es keine Annäherung. Die beginnt, wenn die SPD der Linkspartei konkrete, verhandelbare politische Bedingungen stellt. Hart in der Sache, verbindlich im Ton. Und interessiert am Gelingen des Projekts.

Davon ist die Bundes-SPD sehr weit entfernt. Und damit auch von einer Alternative zur Große Koalition, irgendwann.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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7 Kommentare

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  • OT
    Oliver Thiele

    RRG hat jetzt seine erste und letzte Chance. Angela Merkel wiederum hat sich jetzt schon den Platz als verantwortlicher Oberzerstörer der Europäischen Einheit nach dem Krieg in den kommenden Geschichtsbüchern unumkehrbar gesichert. D wird vor 2017 in den Sog des europ. Niedergangs mit hineingezogen werden. Die rechtschauvinistischen Kräfte, die in ganz Europa zulegen werden, da irgendwann auch der letzte besitzlose, also arbeitnehmende Europäer geschnallt haben wird, daß er mit der derzeitigen technopolistischen europäischen Endlösungspolitik aus Wettbewerbsgründen im schlimmsten Fall zu Sterben hat.Von diesem gesamteuropäischen Rechtsruck, der auch die letzten demokratischen Hülsen sprengen wird, wird eine Eigendynamik in Gang gesetzt, von der auch D nicht verschont bleiben wird. Resultat: Insbesondere auch in D, wo bei der Mehrheit mindestens latent schon immer eine aus Ängsten, Komplexen, Unwissen und Untertanengeist gespeiste Neigung nach Rechts besteht, werden 2017 noch mehr als aktuell die größten oder lautesten oder cleversten rechten Rattenfänger die notwendigen Stimmen holen, die eine Wiederholung von CDU / CSU / FDP oder AFd mehr als wahrscheinlich machen. Für RRG wird es nicht mehr reiten. Ich nehme bis 5000,- E jedenfalls jede Wette darauf an. Die SPD hat, wie ich hier schon einmal sagte, momentan mehr Glück als Verstand, was man auch wieder sehr schön daran sehen kann, wie sie mit ihrem Glück umgeht. Die Power, die Dinge wieder von den bevorstehenden Katastrophen hin zu einer entwicklungsfähigen Schadensbegrenzung zu führen, hatte bisher weder die LP, die Grünen und schon gar nicht die SPD, die bis heute z.B. die Hartz 4 innewohnenden gesamtgesellschaftlich einfach nur schädlichen Kräfte nicht begreifen will. 2017 müßte die notwendige Power bei allen genannten Parteien von RRG für einen Kurswechsel geradezu expotentiell gewachsen sein ,-)).. wie gesagt: jede Wette bis 5000,-E ,-))

  • R
    RLS

    Warum immer Neuwahlen.

    Merkel hat zwar die meisten Stimmen.

    Trotzdem kann sie nichts umsetzen weil ihr die Mehrheit fehlt.

    Die SPD kann viele ihrer Themen in einer Minderheitsregierung umsetzen.

    Vorraussetzung dafür ist, dass sie Betonköpfe wie Gabriel, Nahles, Steinbrück und Steinmeier los werden.

    Für eine Minderheitsregierung braucht man Politiker die zuhören können. Die nicht in ihr eigenes Geschwätz verliebt sind, und auch Ideen anderer akzeptieren können.

    Diese Neandertaler können so etwas nicht, sie sind dafür zu eingefahren.

    Soll man so lange Neuwahlen machen bis diese Hohlköpfe zufrieden sind, das hat nichts mehr mit Demokratie zu tun.

    Wenn diese Hohlköpfe dass Wahlergebnis nicht umsetzen können, müssen sie Platz für andere machen, die dieses können.

  • Selbstzerstörerisch sind nur diese Parteiführung und das “Ja” zur grossen Koalition.

     

    Merkels Steigbügelhalter, das ist alles, was nach dieser Regierungsperiode von der SPD übrig sein wird.

  • S
    Sören

    Was Sigmar Gabriel in seiner Rede gesagt hat, war in vielen Teilen richtig. Die SPD hat kulturell den Anschluss an viele ihrer alten Milieus verloren, und muss diese Verbindungen wieder herstellen und neu knüpfen. Aber das hat er so ähnlich auch schon vor 4 Jahren gesagt, ohne nachhaltigen Erfolg.

     

    Natürlich hat die SPD auch ein liberales Erbe. Die Befreiung von Tyrannei und wirtschaftlicher Abhängigkeit war im 19. Jahrhundert eine Sache des Liberalismus, was dann in die sozialdemokratische Bewegung integriert wurde. Und die Verbindung von wirtschaftlicher Stärke und sozialer Gerechtigkeit war auch ein zentrales Thema der SPD, etwa unter Willy Brandt.

     

    Gabriel hat eine sehr gute und richtige Analyse der Lage der SPD geliefert. Das Konzept der Mitte, welches von Willy Brandt stammt, wieder aufzugreifen wäre der richtige Ansatz. Die Frage ist, ob Funktionäre und Basis Gabriel gedanklich und praktisch folgen wollen. Zuletzt haben gerade Teile der Funktionärsebene einen sektenartigen und von der Realität abgekoppelten Eindruck gemacht.

  • PH
    Peter Haller

    "Sie muss wirtschaftsnäher werden. Und das verwaiste liberale Erbe der FDP antreten."

     

    Also kurz gesagt: die SPD muss so werden wie die CDU. Von mir aus, aber wozu braucht's die dann noch ?

    Es läuft alles auf eine Einheitspartei hinaus, Mutti kennt sich da am Besten mit aus.

  • P
    Peter

    CDU/CSU wird nie eine gleichberechtigte Rolle der SPD geben.

  • M
    Medienbeobachter

    „Gabriel muss liefern, ein, zwei, drei Symbole im sozialdemokratischen Kerngeschäft: Mindestlohn, Regulierung bei Zeit und Leiharbeit, Verbesserungen beide der Rente. Das Mitgliedervotum ist dabei ein überschaubares Risiko. Denn bei allem Unmut über das Bündnis mit Merkel gibt es keinen Plan B.

    Ein Nein der Basis wäre realpolitisch ein Totalschaden.“

    Alternativlos oder ? So ein Blödsinn, ein „Nein“ würde zeigen, dass der SPD ihr Programm wichtiger ist, als Posten. Und eine Regierung mit der CDU/CSU wird der SPD viel mehr Stimmen kosten, als Neuwahlen. Zumal bei Neuwahlen die SPD die Möglichkeit hätte, einen besseren Kanzlerkandidaten als Peer Steinbrück aufzustellen.