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Kommentar S21-Prozess eingestelltGedankenlose Befehlsempfänger

Kommentar von Lena Müssigmann

Zuletzt wurde der S21-Prozess immer interessanter – bis ihn die Richterin einstellte. Nun bleibt die Frage: Wird der ehemalige Polizeipräsident angeklagt?

Hunderte Schwerverletzte. Und keiner ist es gewesen? Bild: dpa

S ie haben getan, was ihnen angewiesen wurde: Schlosspark räumen um jeden Preis. Die Polizei ist eine hierarchische Organisation. Sich aufzulehnen braucht Mut. Den hatten die beiden Angeklagten nicht.

Die Richter hätten zwar weitere Ansatzpunkte finden können, den beiden Einsatzabschnittsleitern mehr als nur „geringe Schuld“ nachzuweisen. Die Polizisten hätten dem sogenannten Führungsstab zurückmelden müssen, welche Eskalation sie sahen. Das Gericht hätte weiter herausfinden können, wann die Angeklagten von Schwerverletzten erfahren haben. Der Leiter der Sanitäter, der Hunderte Verletzte behandelt hat und mehrere Rettungswagen gerufen hatte, wurde aber gar nicht als Zeuge gehört.

Warum die bislang so gründliche Richterin zu einem Zeitpunkt, da der Prozess immer interessanter zu werden versprach, nicht dranbleibt, sondern das Verfahren lieber einstellt, ist eines der großen Fragezeichen der Entscheidung. Bei den S-21-Gegnern schießen die Spekulationen ins Kraut.

Die spannende Frage bleibt: Kommt es zu einer Anklage gegen den ehemaligen Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf? Noch laufen die Ermittlungen. Im Fall eines Prozesses würde die Schuldfrage auf höchster Hierarchieebene geklärt.

Wer war schuld an den vielen Verletzungen? Wer trägt die Verantwortung, die untere oder die obere Hierarchieebene? Offenbar braucht die Polizei zur Klärung dieser schwierigen Frage die Hilfe eines Gerichts.

Sollten die Ermittlungen gegen Stumpf aber im Sande verlaufen, wäre das eine Bankrotterklärung der Staatsanwaltschaft in der juristischen Aufarbeitung des „schwarzen Donnerstags“. Und es bliebe der beunruhigende Eindruck haften, dass die Polizei nicht mehr ist als ein Haufen gedankenloser Befehlsempfänger.

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BW-Korrespondentin
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14 Kommentare

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  • Die Richterin hat sich dem Konglomerat gebeugt.Es wird aber ein eiserner Maßstab gebildet werden den niemand verbiegen kann.Vor allem den sich niemand selbst basteln darf auch wenn er sich Lobby schimpft.

  • Wichtiges Memo für DIE LINKE bei evtl. Koalitionsverhandlungen:

     

    Grüne und SPD müssen sich erst für den "Unrechtsstaat" Baden-Württemberg entschuldigen, bevor man einen von denen zum Ministerpräsident wählen würde.

    • @Age Krüger:

      Aha, an anderer Stelle schrieben Sie:

       

      "Problematischer wird das bei solchen Aktionen wie dem Maidan in der Ukraine, wo eben demokratisch gewählte Regierung faktisch aus dem Amt gejagt werden, aber das sehe ich in diesem Falle nicht."

       

      Janukowytsch war also Ihrer Meinung nach demokratisch legitimiert und hat solche Entschuldigungen natürlich nicht nötig?

      • @Hans König :

        Der war genau so demokratisch gewählt wie Putin oder Merkel oder Gauck.

         

        Ist alleine Sache der Staaten, wie die ihre Demokratie definieren.

        Und die Idee, dass man sich für nicht definierte Begriffe wie "Unrechtsstaaten" entschuldigen soll, ist nicht von mir, sondern wohl eine Idee von CDUCSUSPDGRÜNEN.

    • 9G
      970 (Profil gelöscht)
      @Age Krüger:

      So sieht's aus!

  • Faschistoide Unrechtsstaaten können nur funktionieren, wenn genügend willfährige Helfer vorhanden sind. Eine Verurteilung von Polizisten könnte die zukünftige Bereitschaft der Polizei zu rechtswidrigem Vorgehen gegen die Bevölkerung untergraben und findet deshalb prinzipiell nicht statt. Die Zerfallsprozesse dieses Staates sind unübersehbar geworden. Je dünner das Eis der Machthaber wird, umso repressiver tritt die Exekutive in Erscheinung. So ebnet man heute schon mal den Weg zum Bürgerkrieg morgen. Die einen freuen sich darüber, die anderen sind besorgt deswegen und dem großen Rest ist es völlig gleichgültig.

    • @Rainer B.:

      Faschistoide Unrechtsstaaten, Bürgerkrieg... gehts auch ne Nummer kleiner?

       

      Dass Polizisten grundsätzlich nicht verurteilt werden ist ne ziemlich gewagte These und recht einfach allein anhand der juristischen Aufarbeitung dieses "Schwaren Donnerstages" zu widerlegen. Im August letzten Jahres wurden wegen dieses Einsatzes 3 Polizisten verurteilt, einer zu einer Geldstrafte, 2 zu Freiheitssttrafen (auf Bewährung). Einfach mal nachgoogeln. Und weitere Ermittlungen stehen ja noch an.

      • @Sophokles:

        Der Schwarze Donnerstag war zwar der Börsencrash am 24.10.1929, der damals die Weltwirtschaftskrise auslöste. Juristisch wurde der aber auch nie aufgearbeitet.

  • schade

  • Heute hätte der Führungsassistent von Ex-Polizeipräsident Stumpf aussagen sollen! Wer weiß,was er noch zu berichten gehabt hätte - vielleicht Brisantes!

    Einen Prozess aus Mangel an Beweisen zu beenden, obgleich nicht alle Zeugen vernommen wurden, ist ein Schlag ins Gesicht der schwer geschädigten Opfer!

     

    Dem Staatsanwalt Biehl ist es mehr als Recht dass der Prozess beendet wurde: ein Staatsanwalt der ja gerne gute Tipss an die Beklagten der Wasserwerferbesatzung gibt, sie mögen doch das nächste Mal gleich Reizgas in den Tank tun (link unten) ,dann gäbe es weniger Verletzte. Wenn sich ein Staatsanwalt Biehl mit dem Zeugen, Ex- Ober- staatsanwalt Häussler am Tag der Zeugenaussage in der Mittagspause im Cafe trifft, hat das schon ein ordentliches Geschäckle. (Häussler war den ganzen Tag am Schwarzen Donnerstag dabei-er wusste um die verheerenden Wirkungen von aus dem Ruder laufenden Einsätzen, er stellte sich absichtlich weg von den Einsatzleitern, damit er nichts sieht und hört...).

     

    Jetzt kann sich Herr Biehl freuen, kann er doch nach dieser abrupten Beendigung des Prozesses im Januar seiner Beförderung zum Generalstaatsanwalt in Karlsruhe freuen.

    Was die schwerst Augenverletzten betrifft-so what.

     

    Es ist und bleibt ein Justizskandal, denn das Gericht hat sich de facto schlicht geweigert, das Geschehen ordentlich aufzuarbeiten. Die Richterin zeigte das auch immer mehr in ihrem Verhalten der Nebenklage gegenüber. Rechtsfrieden wird es in Stuttgart nicht geben!

     

    http://www.kontextwochenzeitung.de/politik/191/ja-aber-2579.html

     

    http://www.kontextwochenzeitung.de/politik/179/die-guten-tipps-vom-staatsanwalt-biehl-2417.html

     

    Infos, Protokolle und Zeitungsartikel zu den vergangenen Prozesstagen:

     

    http://www.wasserwerfer-prozess.de/

    • @N. Picasso: Kommentar entfernt. Bitte beachten Sie unsere Netiquette.
  • Das ist doch einfach. Da nie geklärt wurde, was nach oben gemeldet wurde, kann auch Stumpf nicht verurteilt werden.

     

    So sind die Hauptbestraften die Wasserwerferbeamten und nach oben hin verläuft sich alles im Sande. An den politisch wirklich verantwortlichen kommt nichts mehr von der strafrechtlichen Verantwortung an.