Kommentar Russland-Ukraine-Konflikt: Kriegsrecht kennt nur Verlierer
Kriegsrecht bedeutet immer eine Einschränkung demokratischer Freiheiten. Doch warum will Kiew es ausgerechnet jetzt verhängen?
W er mit dem Ruf „Tod den Feinden“ und die „Ukraine über alles“ in militärischer Kleidung durch die Straßen einer europäischen Hauptstadt zieht, kann kein Bündnispartner einer demokratischen Zivilgesellschaft sein. Auch dann nicht, wenn er in einem konkreten Fall richtig liegt. Und die ukrainischen Nationalisten, die am Montag das Straßenbild der ukrainischen Hauptstadt Kiew beherrschten, haben zumindest in einem Punkt recht: In dem jüngsten Konflikt zwischen der Ukraine und Russland liegt die Schuld eindeutig bei der russischen Regierung.
Diese hat auf ukrainische Schiffe schießen lassen, diese hat ukrainische Seeleute verletzt, diese hat die Krim völkerrechtswidrig annektiert und diese tut seit zwei Jahren alles, um die ukrainischen Häfen Mariupol und Berdansk am Asowschen Meer wirtschaftlich in die Knie zu zwingen.
Russland muss der Ukraine den reibungslosen Zugang zu seinen eigenen Häfen im Asowschen Meer gewähren. Das verlangt das internationale Seerecht und das verlangt auch ein 2003 zwischen der Ukraine und Russland geschlossener Vertrag über die gemeinsame Nutzung des Asowschen Meeres. Doch daran hält sich Russland nicht. Im Gegenteil, spätestens seit dem Bau der Brücke von der Krim nach Russland ist Moskau dabei, der Region um Mariupol wirtschaftlich den Garaus zu machen.
Doch mit der Ausrufung des Kriegszustandes erreicht Kiew genau das Gegenteil von dem, was es eigentlich erreichen will. Wenn man einmal der Regierung in Kiew unterstellen darf, dass ihr Demokratie und die Unterstützung des Westens und die Ablehnung rechtsradikaler Gruppen ein Anliegen sind. Kriegsrecht bedeutet immer eine Einschränkung demokratischer Freiheiten. Laut ukrainischem Gesetz können nach Ausrufung von Kriegsrecht Medien geschlossen, Fahrzeuge und Wohnungen beschlagnahmt, Grenzkontrollen verschärft, Wahlen verschoben werden.
Es stellt sich die Frage, warum will Kiew ausgerechnet jetzt das Kriegsrecht verhängen? Es hatte schon schlimmere Zeiten gegeben. Allein im Jahr 2017 hatte die OSZE zehnmal mehr Opfer im Donbass gezählt als 2018. Vielleicht sieht da ja doch ein in Meinungsumfragen chancenloser Präsident Poroschenko die Möglichkeit, auf diese Weise seine Amtszeit zu verlängern.
Verfolgt man die Verlautbarungen des ukrainischen Präsidenten, hat er mit der Ausrufung des Kriegsrechts offensichtlich auch auf internationaler Bühne wichtige Unterstützer. So scheint sich der Internationale Währungsfonds genauso wenig an der Verhängung des Kriegsrechts zu stören wie der polnische Präsident oder die Nato.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers