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Kommentar Rückzug aus LibyenWehrlose Demokraten

Mirco Keilberth
Kommentar von Mirco Keilberth

Weil in Libyen die Gewalt eskaliert, verlassen ausländische Diplomaten das Land. Dabei benötigt das Volk für ein demokratisches System Unterstützung.

Das libysche Volk will nach wie vor Demokratie. Bild: dpa

A usländische Diplomaten, die EU und die Vereinten Nationen haben Libyen in den letzten Wochen verlassen. Das zweite Mal in drei Jahren herrscht in Tripolis und Bengasi Krieg. Nach dem Scheitern ihres Überraschungsangriffs auf den Flughafen setzt die Allianz von Islamisten und Kämpfern aus Misrata auf Zerstörung jeglicher Infrastruktur in Besitz ihrer Gegner aus Zintan.

Der dunkle Rauch der brennenden Benzindepots am Himmel wirkt wie ein Hilferuf eines Landes, das im Strudel der Gewalt von wild gewordenen Milizen in einen Bürgerkrieg zu versinken droht. Je länger der aussichtslose Kampf der militärisch gleich starken Gruppen in der Hauptstadt dauert, desto größer wird der der Druck auf weitere libysche Städte, sich der einen oder anderen Seite anschließen.

In dem Machtkampf vermischen sich regionale und historische Konflikte mit dem Kampf zwischen moderaten und extremistischen Weltanschauungen. Die lachenden Dritten sind die weltweit vernetzten Dschihadisten, die nach dem irakischen und syrischen Chaos schon hoffen, ein drittes zerfallendes Land in eine Art Kalifat verwandeln zu können.

Die Libyer haben der Weltgemeinschaft mit unzähligen Protesten, Lokal- und Parlamentswahlen deutlich gemacht, dass sie etwas anderes wollen: Einen moderat muslimischen Rechtsstaat, die Rückkehr von Polizei und Armee. Und vor allem Sicherheit für ihre Familien. Doch seit einigen Wochen traut sich in Tripolis kaum noch jemand ohne Waffe aus dem Haus. Strom, Brot und Benzin werden knapp.

Es ist nicht zu spät

Die zwischen die Fronten geratenen Diplomaten haben verständlicherweise die Segel gestrichen. Zuletzt hat eine britische Fregatte Landsleute aus dem Hafen von Tripolis evakuiert. Kaum haben sie Libyen verlassen, beginnt die Diskussion über eine zweite Militärintervention. Man solle sich besser darauf vorbereiten, so der ehemalige britische Botschafter in Tripolis Sir Richard Dalton am Montag. In ägyptischen Medien wird öffentlichkeitswirksam über die Notwendigkeit eines Einmarsches in Bengasi diskutiert, um die immer stärker werden Islamisten von Ansar Scharia in Schach zu halten.

Sicher, immer wieder eskalierten in den letzten drei Jahren lokale Streitereien, fehlende Bezahlung oder Postengeschacher zu Blockaden oder blutigen Kämpfen. Die nach dem Sturz Gaddafis in Rekordzeit hochgefahrenen Ölproduktion fiel nach von außen betrachtet lächerlichen Streitereien wieder fast auf Null. Dennoch ist es nicht zu spät für ein demokratisches Libyen. Das neue Parlament steht, eine Verfassungskommission reist durchs Land und arbeitet an einem funktionierenden Regierungskonzept und die Bürger gehen immer noch mutig für Frieden auf die Straße.

Die Vorstellung, dass 6 Millionen Einwohner auf der Fläche Frankreichs, mit den größten Ölvorräten Afrikas und 2000 Kilometer unberührter Mittelmeerküste ausgestattet, in einem Bürgerkrieg zu versinken und Europa ratlos zuschaut, ist absurd. Es reicht nicht, abzuziehen und das angerichtete Chaos zu bedauern. Libyen war in seiner jungen Geschichte nur für kurze Zeit ein zusammenhängender Staat mit funktionierenden Strukturen. Europa sollte die Rauchwollen über Tripolis zum Anlass nehmen, schnell und massiv helfen, diese wieder aufzubauen.

Die Vereinten Nationen müssen dafür sorgen, dass die Kommandeure für Kriegsverbrechen und Attacken auf das Parlament zur Rechenschaft gezogen werden.Keine Militärintervention, aber eine robuste Politik auf Seiten der noch immer wehrlosen Demokraten ist nun gefragt. Dafür müssen die Diplomaten von EU und UN so schnell wie möglich und endlich gut bewacht zurückkommen.

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Mirco Keilberth
Auslandskorrespondent Tunis
Mirco Keilberth berichtet seit 2011 von den Umstürzen und den folgenden Übergangsprozessen in Nordafrika. Bis 2014 bereiste er von Tripolis aus Libyen. Zur Zeit lebt er in Tunis. Für den Arte Film "Flucht nach Europa" wurde er zusammen mit Kollegen für den Grimme Preis nominiert. Neben seiner journalistischen Arbeit organisiert der Kulturwissenschaftler aus Hamburg Fotoausstellungen zu dem Thema Migration. Im Rahmen von Konzerten und Diskussionsveranstaltungen vernetzt seine Initiative "Breaking the Ice" Künstler aus der Region, zuletzt in Kooperation mit der Boell-Stiftung im Rahmen des Black Box Libya Projektes.
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3 Kommentare

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  • Eigentlich müsste man gegen die islamistischen Extremisten vorgehen, die sie ihre schlechten Wahlergebnisse nicht anerkennen. Es fehlt der Willen zum Kompromiss und zum Konsens. Wie auch in Syrien, Irak und Afghanistan. Von daher hat das nichts mit der damaligen US-Intervention zu tun, es sei denn, man sagt, Diktatoren muss man erhalten, da sie einen Bürgerkrieg verhindern.

  • Libyen ist doch auch nur ein Opfer der US-Agression. Die USA hinterlassen eine Spur des Terrors und wundern sich dann, dass Länder wie Afghanistan, Irak, Libyen etc in Gewalt und Agression verfallen.

    Es wird Zeit den US-Terror abzuschalten!

  • Das libysche Volk wurde zu keinem Zeitpunkt gefragt, was es will. Bei Wahlen durfte eine große Anzahl an Personen nicht einmal kandidieren, weil sie angeblich mit dem vorherigen Regime kollaboriert hätten. Nun ist die Menschenrechtssituation im heutigen Libyen (Tausende in Foltergefängnissen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Tawergha, Zusammenbruch der Sicherheit in weiten Landesteilen) sehr viel schlechter als unter dem vorherigen Regime (dies zeigt auch ein Vergleich der Jahresberichte von Menschenrechtsorganisationen), so dass es durchaus sinnvoll wäre, allen zu erlauben, zu kandidieren, um den Willen des Volkes zu ergründen. An den letzten Wahlen beteiligten 50% derjenigen 50%, die sich als Wähler registrieren konnten. Es gibt ein nur dünnes demokratisches Mandat. Dennoch ist es richtig, dass die Mehrheit der Bevölkerung eben nicht diejenigen an der Macht haben will, die Libyen in ein radikal islamistisches Land verwandeln wollen. Übrigens sind es die Misrate Milizen, also diejenigen, die der Westen unterstütze und die Tawergha von seinen schwarzen Bewohnern entleerten, die jetzt an vorderster Front gegen Rechtsstaatlichkeit, gegen Demokratie und für Fundamentalismus und eine Rache- und Terrorjustiz kämpften. Das jetzige Parlament ist die letzte Hoffnung, aber ein enormes Ausmaß an Unterstützung wäre notwendig, um diese letzte Chance für ein demokratisches Libyen, dieses letzte Aufbäumen gegen kompletten Zerfall, Zerstörung und Willkürherrschaft zum Erfolg zu bringen. Durch den irrwitzigen NATO-Bombenkrieg wurde die Bevölkerung Libyens ins Unglück gestürzt. Jetzt ist es die Verantwortung der NATO-Staaten alles zu tun, um diejenigen zu unterstützen, die einem vollständigen Abfall Libyens in die Barbarei noch im Wege stehen, und so das wieder gut zu machen, was sie in Libyen verbrochen haben.