Kommentar Rücktritt als Intendant: Die Tragödie des Dieter Wedel
Ist Regisseur Wedel ein Opfer grausamer Feministinnen und der #MeToo-Debatte? Oder ein Täter? Vieles spricht für Letzteres.
U nter shakespeare'schen Ausmaßen machen wir es nicht in Deutschland. Der Regisseur Dieter Wedel ist im Krankenhaus, die Fallhöhe ist wieder mal unendlich: Ist Wedel das erste deutsche Opfer der grausamen Feministinnen und der denunziatorischen #Metoo-Debatte? Oder ein Vergewaltiger, der noch aus dem Krankenhaus heraus vor lauter Selbstherrlichkeit seine Übergriffe leugnet und bagatellisiert? Man muss sagen: Es spricht viel für Letzteres.
Wedel, der am Montag als Intendant der Bad Hersfelder Festspiele zurücktrat, setzt sich parallel zu Wettermoderator Jörg Kachelmann, der einst von einer enttäuschten Geliebten der Vergewaltigung beschuldigt wurde: Er begreift sich als weiteres Opfer von Falschbeschuldigungen unlauterer, ja, im Ausmaß ihres Zerstörungswillens verbrecherischer Frauenspersonen. Geld sei im Spiel, viel Geld, suggeriert er.
Eine gute Strategie, denn sie verwischt die Unterschiede, die zumindest nach den vorliegenden Informationen zwischen beiden Fällen bestehen. Kachelmanns Freundin könnte durchaus ein Motiv für ihre Anschuldigungen gehabt haben. Und ihre Aussagen waren zum Teil wenig konsistent.
Die Frauen, die Wedel beschuldigen, haben dagegen wenig Motive, öffentlich zu lügen. Ihre Schilderungen sind durch Aussagen von weiteren Personen beglaubigt worden, schon vor Jahren. Man muss auch annehmen, dass Wedels Anwälte nichts unversucht ließen, um die Aussagen dieser Frauen zu demontieren. Es scheint nicht gelungen zu sein.
Dennoch hielt sich der Aufschrei in Deutschland in Grenzen. Wedel wurde verteidigt, der Rechtsfrieden in Gefahr gesehen, die Aussagen der Frauen wurden natürlich in Zweifel gezogen. Man gewann den Eindruck, dass die #Metoo-Kampagne, die anderswo die Machos reihenweise zurücktreten ließ, in Deutschland in einer Art luftleerem Raum versickert. Dass das System dicht bleibt.
#Metoo hat Dieter Wedel ins Krankenhaus gebracht. Das ist tragisch. Doch es spricht viel dafür, dass es nicht die Tragödie von #Metoo ist, sondern die Tragödie des Dieter Wedel – des Vertreters einer Art von Machtmännern, die Frauen demütigen, übergriffig sind, über ihre Grenzen gehen. Und das immer noch für normal und entschuldbar halten. Vielleicht bleibt das System in Deutschland dicht, auch nach dieser Tragödie. Verändern wird es sich trotzdem.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“
Regierungskrise der Ampel
Schmeißt Lindner hin oder Scholz ihn raus?
Zeitplan der US-Wahlen
Wer gewinnt denn nun? Und wann weiß man das?