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Kommentar Rot-Grün in NRWEnde eines klugen Experiments

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Nach dem unbeabsichtigten Selbstmord der Liberalen gibt es Neuwahlen, die niemand wollte. Schon gar nicht die FDP, deren Verfall sich rasant beschleunigen wird.

Eine isolierte Partei: FDP-Fraktionsvorsitzender Gerhard Papke. Bild: dapd

D ie Liberalen in NRW haben eine neue Art erfunden, von der politischen Bühne abzutreten: den unabsichtlichen Selbstmord. Die FDP wollte mannhaft den rot-grünen Schuldenhaushalt ablehnen, um ihm, mit ein paar Korrekturen, am Ende doch zuzustimmen. Ein scheinbar perfekter Plan: Rot-Grün hätte eine Mehrheit, die isolierte FDP wäre wieder im Machtspiel, vielleicht hätte sogar die Ampel wieder matt geblinkt. Doch solche Tricks sind rechtlich nicht vorgesehen. Nun gibt es Neuwahlen, die niemand wollte. Schon gar nicht die FDP, deren Verfall sich rasant beschleunigen wird, wenn sie in Saarbrücken, Kiel und Düsseldorf aus dem Landtag fliegt.

Schade ist es um diese FDP nicht. Schade ist es um das Modell Minderheitsregierung. Rot-Grün musste zwei Jahre lang Mehrheiten organisieren. Das war, gerade in dem lange von der SPD autokratisch regierten Land, eine nützliche Lockerungsübung. Das Parlament hatte dabei mehr, die Ministerialbürokratie weniger zu sagen. Diese Minderheitsregierung war, entgegen einer im stabilitätsfixierten Deutschland verbreiteten Skepsis, nicht entscheidungsschwach oder von Minderheiten erpressbar. Rot-Grün hat mit der CDU den Schulkompromiss vereinbart, mit der Linkspartei die Studiengebühren abgeschafft und mit der FDP Kommunalfinanzen geregelt. Es war ein Experiment, das das mitunter ideologisch erstickte Parteiensystem durchlüftet hat.

Und nun? Wem dieser Unfall nützt, ist absehbar. Die CDU ist in misslicher Lage. Norbert Röttgen ist Minister in Berlin, Spitzenkandidaten mit zweiten Karrierechancen kommen nie gut an. Zudem fehlt der Union ohne FDP die Machtperspektive. Die Grünen hätten zwar 2010, ohne mit der Wimper zu zucken, mit der CDU koaliert – doch nun stehen sie fest zu Rot-Grün. Denn Hannelore Kraft regiert, ohne die Grünen zu demütigen. Das war bei den SPD-Machos Clement und Steinbrück noch ganz anders.

Bild: taz
STEFAN REINECKE

ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz.

Für Kraft eröffnet der FDP-Lapsus enorme Chancen, vielleicht über Düsseldorf hinaus. Sie hat mit der vorbeugenden Sozialpolitik die einzige praktisch brauchbare Idee entwickelt, die die SPD seit dem Desaster der Schröder-Ära hervorgebracht hat. Sie zählt zu den wenigen Sozialdemokraten, die frei vom Hartz-IV-Image sind. Wenn sie bei den Neuwahlen die CDU schlägt: Kann die SPD dann auf diese Frau bei der Kanzlerkandidatur verzichten?

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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17 Kommentare

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  • A
    Andreas

    Man kann der Linken vieles vorwerfen, aber dass sie in der besonderen Konstellation des zuletzt gewählten Landtags nur versagt hätte, wäre zu einfach.

     

    Hannelore Kraft mag ja eine charismatische Persönlichkeit sein, aber sie konnte sich auch nicht dem Diktat der Seeheimer entziehen keine Koalition mit den Linken einzugehen. Letztendlich ist Sie an ihrer eigenen Partei nun gescheitert, unfähig die Hardliner der SPD im Griff zu halten und eine rot grün rote Koalition einzugehen.

     

    Und natürlich ist es einfacher auf die da zu zeigen und sich dem sicheren Erfolg zu wägen. Derzeit sieht es so aus, dass nichts schief gehen könnte mit rot grün...aber der Wähler ist unberechenbar...

     

    Aber Sylvia Löhrmann weiß auch wie schwierig die SPD in NRW sein kann, zu tief sitzt die Niederlage der einst starken NRW Partei. Die Mitglieder laufen davon, die Jungen formieren sich bei den Piraten und inhaltlich hat die SPD leider nichts zu bieten.

     

    Sie brauchen die Grünen als Ideengeber und Motor des politischen Diskurses. Ohne sie sind die Sozialdemokraten inhaltslos und widersprüchlich, so wie der energiepolitische Teil des letzten SPD Landeswahlprogrammes, wo Braunkohle-, Steinkohle mit CCS und zum Schluss die Erneuerbaren vorkamen, mehr als ein Muss als aus Überzeugung. Da waren die Herren Clement und seine Freunde am Werk... zum Schaden dieser Partei. Nun, jetzt sind sie bei der FDP und die hat den politischen Harakiri hingelegt.

     

    Bildung, Energiewende, und die kommunale Daseinsvorsorge, dass werden die Themen des Wahlkampfes der Grünen werden, ob es für rot - grün reicht ist noch unklar, schwarz - grün wäre eine Option, allerdings nur mit starken Grünen, ansonsten geht es sonst so aus wie mit der SPD unter Schröder....

  • AS
    Andreas Suttor

    Der Autor irrt in mehreren Punkten, und zwar aus Gründen, die er auch noch selbst im Artikel benennt. Stabilitätsfixierung ist das Stichwort. Hannelore Kraft hat die Wahl noch lange nicht gewonnen, handwerkliche Dilettanten sind nicht beliebt und die CDU hat immer noch eine starke Basis in den ländlichen Gegenden Westfalens.

    Wie andere Kommentierer kann ich auch das Gefasel von sozial gerechter Politik nicht mehr hören. Der internationale Vergleich zeigt, daß wir da mehr als gut da stehen - wahrscheinlich zu gut, siehe den Hinweis einer meiner Vorredner auf die demographische Entwicklung und die Renten - und Pensionsexplosion der nächsten Jahre.

  • A
    andreas

    Da handelt eine Partei(in diesem Fall die FDP) nach ihrer Überzeugung und es wird als Schwäche ausgelegt. Komisches Demokratieverständniss bei der TAZ kann ich da nur sagen.

    Und wenn die FPD nicht in den neuen Landtag kommt, egal im Gegensatz zu den Grünen/Piraten haben die FDPler vermuhtlich alle was gelernt und können auch ganz gut ohne Politik.

    Wenn sich hier wer blamiert dann ist das ROT/Grün

     

    P.S Kein FDP-Wähler

  • W
    Waage

    Warum hat die Linke eigentlich nicht den Haushalt gestützt obwohl die Positionen von CDU/FDP zu ihren eigenen doch konträr waren?

     

    Die SPD kann sich auf die Linke einfach nicht verlassen. Hätte die Linke sich über vier Jahre, zumindest wenns drauf ankommt, als zuverlässig erwiesen wäre es auch möglich gewesen zu den nächsten turnusgemäßen Wahlen rot-rot-grün bereits im Vorfeld offensiv als mögliche Koalitionsoption zu bewerben. Dann wären wir wirklich einen Schritt weiter.

     

    Jetzt ist wieder alles auf dem Augangspunkt,so ein Mist!

    Wegen meiner kann die Linkspartei in Westdeutschland wieder in ihrer Versenkung verschwinden und dort der FDP gesellschaft leisten. Die guten Leute um die es schade wäre könnten sich dann ja wieder bei SPD und Grünen einbringen.

     

    Drei mehr oder weniger linke Parteien die zwanghaft gegeneinander taktieren und bei jeder Gelegenheit das Bedürfnis haben dreckige Wäsche zu waschen bzw. sich aufs Kreuz zu legen braucht in Zukunft kein Mensch!!!

  • K
    Kaboom

    Die Neuwahlen sind zu begrüßen. Jede Chance die FDP aus einem Parlament zu kegeln ist zu begrüßen. Das überwiegt beiweitem die genannten negativen Aspekte.

  • W
    Wolf

    Guter Kommentar bis auf die Sache "...sie ist frei von

    dem Harz4 Image..."

     

    Meines Wissens hat sie die Beschlüsse zur Agenda 2010/H4 wie viele andere, die auf "sozial" machen,

    abgenickt.

     

    Das einzig gute an kommenden Neuwahlen ist, das die FDP weiter ihr endgültiges Grab schaufelt.

    Eine nur Klientelpartei wie die FDP ohne jegliche soziale Kompetenz hat nichts in entscheidender Politik zu suchen.

     

    Man muss sich einmal vor Augen halten, da holt sich die FDP einen Typen aus der Versicherungwirtschaft, macht ihn zum Staatssekretär und dieser arbeitet die Gesundheitseinspargesetze aus.

     

    Neben der steuerlichen Begünstigung der Hoteliers und von einem dieser erhaltenen Parteispende von mind. 1 Million Euro ist das eine unverständliche Begünstigung einer ganzen Unternehmerbranche.

  • WD
    Walther Döring

    Ich habe Hochachtung vor der NRW FDP. Sie wissen, dass sie ihre Position verlieren und entscheiden trotzdem nach ihrem Gewissen. Das erinnert mich an den Rücktritt von SLS wg. Schnüffelgesetz.

     

    Wenn der Wähler es denn will, gibt er Frau Kraft die Absolution so viele Schulden zu machen, wie sie denn möchte. Der Wähler hat es nun selbst in der Hand. Das Schöne daran ist, dass er die immer hässlicher werdenden Folgen nicht auf die Politiker abwälzen kann. Er hat es halt so gewollt.

  • CD
    Charles Darwin

    Ich beantrage den "Darwin-Award" für die FDP!

     

    Solch geniale Dummheit zur Selbstvernichtung

    muss doch belohnt werden!!

  • JM
    Jules Mari

    Das "Desaster der Schröder-Ära"... gähn gähn... dieses Klischee ist dermassen abgelutscht!

    Schröder hat die längst überfälligen Reformen angepackt, an die sich keiner ranwagen wollte. Natürlich ist nicht alles perfekt daran – es wäre weltfremd anzunehmen, dass Projekte von dieser Tragweite ohne Schwierigkeiten gelingen – aber Deutschland ginge es ohne Agenda 2010 heute schlechter!

    Also springt über Euren Schatten und konzentriert Euch auf die Zukunft und wie wir die nächsten Reformschritte noch besser gestalten können, statt Euch in Ressentiments über die Vergangenheit zu suhlen!

    Denn das nützt letztlich nur jenen, die tatsächlich nicht an sozialverträglichen Lösungen interessiert sind; deren Ablösung in 1,5 Jahren ist noch alles andere als sicher.

  • J
    Jürgen

    Hö, hö, die CDU sollte über den Absturz der FDP (Fatzkes Dämliche Partei) nicht zu laut lachen, schliesslich:

    -- gibt es in der CDU auch reichlich Schnösel und Schnöselinnen, die genauso dummdreist ihre ideologische Borniertheit hinausschreien

    -- gehen der CSU genauso die Doktors abhanden wie der FDP ("geistig-moralische Wende", gelle!)

    -- könnte es vielleicht doch Leuten aufstossen, wie Merkel den Banken die Säckel füllt.

     

    Viel Spass!

  • HS
    Hannes Schinder

    Kann die SPD dann auf diese Frau bei der Kanzlerkandidatur verzichten?

     

    NEIN.

  • DM
    Der Mensch

    Wie viel kostet die jetzt eigtl. diese Neuwahl? So im Vergleich zu dem, was die im Haushalt so hin und herschieben könnten ist das doch auch nicht zu vernachlässigen, oder?

  • T
    Teermaschine

    Vorbeugende Sozialpolitik? Grundgütiger, wo lernt man denn sowas. Schon in wenigen Jahren wird die demografische Entwicklung unsere Sozialsysteme sprengen. Die Pensionsansprüche der Landesbeamten sind nicht gedeckt. Und jene, die sich Richtung Friedhof verabschieden, werden einen Teufel tun und ihren Schulden zu Lebzeiten begleichen. Allein die demografische Entwicklung führt zu einer Erhöhung der ProKopfverschuldung zwischen 20 und 30% bis 2045, je nach Prognose. Was uns dieses Autörchen hier als "vorbeugende Sozialpolitik" verkauft, ist die griechische Lösung.

  • KB
    Klara Blum

    Hannelore Kraft kann auch Kanzlerin, da bin ich mir sicher...

     

    Und Röttgen ? Röttgen will einfach nur noch weg... WAhrscheinlich glaubt er, dass Ministerpräsident in NRW ganz gemütlich ist... da müsste er sich nicht dauernd mit den zähen Anti- Atom- Aktivisten rumärgern. Wenn er sich da mal nicht irrt ...

  • B
    Bernd

    Hihi, zu köstlich, wie die taz aus dem krachenden und völlig verdienten Scheitern der lächerlichen, ultra-rechten Koalition aus Grünen und SPD einen Niedergang der FDP ableitet. Köstlich, wie in 1984, John Smith fälscht die Vergangenheit, da ist die taz ja auch ganz groß drin.

  • JL
    Jo Lammersing

    Wer in der Lage ist, über den Mittag eines Tages hinaus in die Zukunft zu schauen wird feststellen, dass die FDP eine Zukunft hat. Alle anderen Parteien arbeiten schließlich an der Griechlandisierung von Deutschland. Die letzte Aufrechten von der FDP haben immerhin einen starken Verbündeten: Karl Marx würde heute FDP wählen. Wer es nicht versteht möge bitte nachdenken.

  • D
    deviant

    Dem Autoren kann ich durchaus zustimmen: Das Modell Minderheitsregierung war ein interessantes Konzept, dass nicht an sich gescheitert ist, sondern an einer Partei, die sich bereits selbst aufgegeben hat und nun auf den finalen Rettungsschuss nach sinnlosem Amoklauf wartet, und der wird bei der nächsten Bundestagswahl kommen, wenn ihre politische Rolle endlich wieder ihrer marginalen gesellschaftlichen Rolle entspricht.

     

    Dass Rotgrün aus der Wahl wohl wieder als Sieger hervorgehen wird, macht durchaus Mut, dass der Wähler nicht der Vollidiot ist, für den man ihn nach insbesondere der Bundestagswahl halten musste, auch wenn ich von beiden Parteien wenig halte.

     

    Interessant wird es zu sehen sein, wie die Piraten abschneiden, sie könnten sich als "neue FDP" erweisen, wenn sie in die Parlamente einziehen, während die FDP im ganzen Land abgestraft wird. Viele behaupteten ja bereits, die wären überflüssig, weil wir keine neue neoliberale Partei "zwischen FDP und Grünen" bräuchten, aber wenn die FDP erstmal weg ist, dann ist diese Position ja vakant...