Kommentar Renteneintrittsalter: Ohne Ende
Die Zahl ist am Ende egal: Ein fixes Rentenalter stigmatisiert Alternde und macht Angst. Das ist das Problem.
I m aktuellen gesetzlichen Rentensystem werden jetzige Berufseinsteiger keine Rente beziehen. Punkt. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie in 43 oder in 47 Jahren das Beitrittsalter erreichen. Das ist keine große persönliche Erkenntnis, das ist Generationskonsens. Für Neulinge auf dem Arbeitsmarkt bleibt also Zeit, sich damit abzufinden. Oder aber es denken alle um.
Nicht nur die Politik, vor allem die Gesellschaft muss sich so schnell wie irgend möglich mit neuen Ideen befassen. Vielleicht muss man den Altersbegriff ganz neu denken, denn der geistert doch ziemlich überdefiniert in unser aller Köpfe. Anders ist nicht zu erklären, warum sich Unternehmen quasi kategorisch davor verschließen, Menschen auf der Zielgeraden des Arbeitslebens Weiterbildung zu ermöglichen. Denn: Alte Menschen sind stur, unflexibel, nicht lernfähig, nicht lernwillig – so das Stereotyp.
Und warum Geld in Arbeitskräfte stecken, die ohnehin bald das Rentenalter erreichen? Hier könnte zum Beispiel das von Martin Schulz und der SPD vorgeschlagene Chancenkonto entgegenwirken. Was spricht gegen Fachkräfte, deren Mangel immer beklagt wird, die alt sind? Wenn keine angsteinflößende Zahl das Ende der Beschäftigung Jahr für Jahr konkretisieren würde – wer weiß, was der eine oder die andere dank bleibender gesellschaftlicher Partizipationsmöglichkeiten noch zu leisten imstande wäre? Das berufliche Engagement älterer Menschen ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Zukunft unserer Gesellschaft. Aber das negative Altersbild schränkt den eigenen Horizont für „die Zeit danach“ ein, man gibt sich fast ohnmächtig dem Altern und Zurückblicken auf Erreichtes hin.
Dabei gibt es doch viele Berufe, die – den Handlungsmöglichkeiten im hohen Alter angepasst – lange und befriedigend ausgeübt werden können. Und jene, denen krankheitsbedingt oder einer körperlich schweren Tätigkeit wegen eine Weiterbeschäftigung nicht möglich ist, könnten dank mehr bleibender Beiträge finanziell aufgefangen werden.
Auch das Alter kann ein erfolgreicher, ein gestaltbarer Lebensabschnitt sein. Befreien wir uns als Gesamtgesellschaft von der zweischneidigen Selbstkasteiung eines fixen Renteneintrittsalters. Bleiben wir aktiv. Und dann brauchen wir vielleicht überhaupt keine Angst mehr zu haben vor dem Altwerden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz