Kommentar Rechte im EU-Parlament: Streiten statt schneiden
Bald muss ein Umgang mit der AfD-Fraktion im Bundestag gefunden werden. Berlin kann von den Erfahrungen in Brüssel und Straßburg lernen.
D ass die AfD in den Bundestag einzieht, ist nicht nur für Deutschland ein Schock. Auch in anderen EU-Ländern und in Brüssel reibt man sich ungläubig die Augen. Nach den Wahlen in Holland und in Frankreich, so hatte man gehofft, sei die „populistische Welle“ gebrochen. „Die EU hat wieder Wind in den Segeln“, jubelte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker noch Anfang September.
Nun kommt das böse Erwachen. Im deutschen Bundestag werden künftig mehr rechte Abgeordnete sitzen als in der französischen Nationalversammlung und im niederländischen Parlament zusammen. Nur im Europaparlament bringen es die Nationalisten und EU-Gegner auf eine vergleichbare Stärke. Hier steht sie schon, die Abwehrfront der Demokraten, die viele nun auch in Berlin fordern.
Demagogen vom Schlage einer Marine Le Pen oder eines Nigel Farage wurden im Europaparlament systematisch ausgegrenzt. Der frühere Parlamentspräsident Martin Schulz sorgte nicht nur dafür, dass sie keine wichtigen Posten in den Ausschüssen bekommen. Schulz schmiedete auch eine Große Koalition aus Sozialdemokraten und Konservativen, die die EU-Gegner im Zaum halten sollte.
Europaparlament als Bühne der Rechtspopulisten
Eine Zeit lang klappte das auch ganz gut. Das EU-Parlament ist arbeitsfähig geblieben, die Krawallmacher haben es nicht lahmgelegt. Allerdings hatten sie auch kaum je die Absicht, konstruktiv in den Ausschüssen mitzuarbeiten. Was Le Pen und Farage vor allem interessierte, war, das Parlament als Bühne für ihre rechten Parolen zu nutzen.
Und das ist ihnen am Ende dann doch noch gelungen. Vor allem der britische EU-Austritt hat die Populisten im Europaparlament beflügelt. Der ehemalige Ukip-Führer Farage konnte den Brexit sogar am Rednerpult der EU-Kammer feiern. Schulz und Juncker hingegen wurden mit Zwischenrufen und Radau gestört. Ähnlich wie in Berlin hat die Große Koalition in Straßburg den Aufstieg der Rechten nicht behindert, sondern eher noch befördert.
Neue Strategie gegen die Nationalisten
Was lässt sich daraus für den Umgang mit der AfD lernen? Die gute Nachricht ist, dass mit dem Einzug der Rechten nicht sofort das Chaos ausbricht. Solange sie nicht über erdrückende Mehrheiten verfügen, lassen sie sich in der täglichen Parlamentsarbeit weitestgehend ignorieren. Die schlechte Nachricht ist, dass sie das Parlament als Bühne nutzen – und als Basis für außerparlamentarische Arbeit.
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Ob man dem mit juristischen Mitteln, Geldstrafen und Aufhebung der Immunität beikommen kann, wie es das Europaparlament mit Le Pen versucht, darf bezweifelt werden. Aktive Ausgrenzung und Verfolgung führt nur dazu, dass sich die Nationalisten in ihrer Opferrolle bestätigt fühlen und neue Nahrung für ihre Propaganda gegen „Eliten“ und „Systemparteien“ bekommen.
Nie waren Rechtspopulisten in der EU stärker
Statt die Nationalisten zu schneiden, sollte man sich lieber offensiv mit ihnen auseinandersetzen. Dann fallen ihre Argumente schnell in sich zusammen, wie das Fernsehduell zwischen Le Pen und dem heutigen französischen Staatschef Macron gezeigt hat. Trotz jahrelanger (Nicht-)Arbeit im Europaparlament waren ihre Argumente gegen die EU und den Euro so schwach, dass sie verlor.
In Deutschland hat diese Auseinandersetzung fast völlig gefehlt. Statt die AfD zu stellen, sind Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Kandidat Schulz ihr ausgewichen. Es wäre ein Fehler, diese Taktik jetzt im Bundestag fortzusetzen – dies zeigen die Erfahrungen aus Brüssel und Straßburg. Ein noch größerer Fehler wäre es, die Themen und Thesen der Rechten zu übernehmen.
Auf EU-Ebene ist dies bereits passiert. Seit dem Herbst 2015 lässt sich ein Rollback in der Flüchtlingspolitik beobachten. Abschottung und Abschiebung stehen heute ganz oben auf der EU-Agenda. Den Vormarsch der Rechten hat dies nicht gebremst, im Gegenteil. Nie waren die Nationalisten in Europa so stark wie heute, nie war die Sozialdemokratie so schwach. CDU/CSU und SPD sollte dies eine Warnung sein.
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