Kommentar Proteste in Rumänien: Etappensieg der Straße
Die Antikorruptionsgesetze werden nicht aufgeweicht – eine Folge der Massendemos. Doch inzwischen geht es den Protestierenden um anderes.
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Die seit Tagen anhaltenden Massenproteste zwangen die rumänische Regierung, die umstrittenen Eilverordnungen zur Amnestie von korrupten Politikern zu annullieren. Die im Laufe der letzten Woche verbreiteten, trotzigen Erklärungen des Regierungschefs und des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei (PSD) Liviu Dragnea, den Forderungen der Protestierenden nicht nachzugeben, erwiesen sich als unhaltbar.
Als Worthülsen empfinden die allermeisten Demonstranten das gesamte Regierungsprogramm einer Koalition, die sich aus einer nur dem Namen nach sozialdemokratisch nennenden Partei und einer pseudoliberalen Gruppierung zusammensetzt. Im Grunde ging es dem harten Kern der Demonstranten von Anfang an um die Legitimität der erst seit einem Monat amtierenden Regierung, nachdem sie bei den Wahlen im vergangenen Dezember die Mehrheit im Parlament erringen konnte.
Wenn bis zum vergangenen Wochenende die Teilnehmer der Proteste sich zuvorderst nur gegen die Aufweichung der Antikorruptionsgesetzgebung auflehnten, so ertönten bereits unüberhörbar auch die Stimmen jener, die einen Rücktritt der Regierung forderten. Genau das verlangten nun einstimmig auch die 500.000 Menschen, die am Wochenende landesweit demonstrierten.
Massendemonstrationen entwickeln immer eine eigene Dynamik. Sie können ein Korrektiv sein und tatsächlich etwas bewegen. In Island haben Demonstranten den Rücktritt des Regierungschefs durchgesetzt, in Polen konnten Volksaufmärsche der nationalkonservativen Regierung einen Strich durch die Rechnung machen, als es um die Verschärfung der Abtreibungsgesetze ging. Massenkundgebungen können allerdings auch die Spielregeln einer Demokratie in Frage stellen und die Funktionsmechanismen eines Rechtsstaates aushebeln. Was Rumänien bevorsteht, ist schwer zu sagen.
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