piwik no script img

Kommentar Presserat und StraftäterKein Freibrief für Gedankenlosigkeit

Anne Fromm
Kommentar von Anne Fromm

Gerade in einer Zeit, in der Asylbewerberheime brennen, müssen Redaktionen der publizistischen Verantwortung gerecht werden – auch die des Boulevards.

Die Verlage legen den Pressekodex teilweise sehr unterschiedlich aus. Foto: dpa

D er Presserat hat sich entschieden: Die Nationalität oder Religion von Straftätern soll auch weiter nur dann genannt werden, wenn ein „begründeter Sachbezug“ besteht. Besteht er, ist es Abwägungssache, und abwägen ist nicht immer einfach. Aber der Zweck dahinter ist die Mühe wert: Mit der Regelung sollen Minderheiten geschützt und Vorurteile vermieden werden.

Aufgenommen hatte der Presserat die Diskussion, weil Medienkritiker nach der Gewalt in der Kölner Silvesternacht behaupteten, Redaktionen hätten die Herkunft der mutmaßlichen Täter bewusst verschwiegen, um die Täter zu schützen und die Öffentlichkeit zu täuschen.

Das ist natürlich Quatsch. Der Pressekodex soll nicht die Täter schützen, sondern alle, die aus der gleichen Gruppe stammen wie die Täter. Um im Silvesterbeispiel zu bleiben: Nicht alle Menschen „arabischer und nordafrikanischer“ Herkunft sind Sexualstraftäter. Dieser Verdacht entsteht aber, wenn bei ausländischen Straftätern – und nur bei ihnen – immer ihre Nationalität genannt wird.

Wenn die Bild-Chefredakteurin nun behauptet, die Richtlinie des Pressekodexes würde Redaktionen „bevormunden“, ist das übertrieben. Der Paragraf ist kein Gesetz. Er ist eine Verpflichtung, die sich das Gremium aus Journalisten und Gewerkschaften selbst gegeben hat. Sie soll die Redaktionen dazu anhalten, sich vor der Veröffentlichung von Artikeln über die Folgen Gedanken zu machen.

In jedem Einzelfall entscheiden

Die Chefredakteure, die nun fordern, die Richtlinie abzuschaffen, verlangen einen Freibrief dafür, sich diese Gedanken ersparen zu dürfen. Sie bemühen ein Scheinargument: In einer Zeit, in der Gerüchte schneller durch soziale Medien jagten, als dass sie offiziell bestätigt werden könnten, sei es die Pflicht von Journalisten, alles zu veröffentlichen, um dem Misstrauen gegenüber Medien vorzubeugen.

Natürlich ist es die Pflicht von Journalisten, Gerüchten nachzugehen. Genauso ist es aber ihre Pflicht, in jedem Einzelfall zu entscheiden, ob die Nationalität von Straftätern von öffentlichem Interesse ist. Jede Redaktion, auch der Boulevard, trägt eine publizistische Verantwortung – gerade in einer Zeit, in der Asylbewerberunterkünfte brennen. Diese zu erfüllen gehört zum journalistischen Handwerk. Das unterscheidet sie schließlich von Twitter und Facebook.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Anne Fromm
Reporterin
Ressortleiterin Reportage & Recherche und Vorständin der taz. // Berichtet vor allem über sexualisierte Gewalt, Machtmissbrauch, Rechtsextremismus und Desinformation. // Davor war sie Medienredakteurin im Gesellschaftsressort taz2. // Erreichbar über Threema: 9F3RAM48 und PGP-Key: 0x7DF4A8756B342300, Fingerabdruck: DB46 B198 819C 8D01 B290 DDEA 7DF4 A875 6B34 2300
Mehr zum Thema

19 Kommentare

 / 
  • Grundsätzlich ist es richtig, die Herkunft eines Täters zumindest nicht in den Vordergrund zu stellen oder sie gar als Ursache zu präsentieren. Erwähnen kann man sie aber schon.

     

    Insbesondere bei den Silvester-Übergriffen in Köln wäre das von Anfang an sogar erforderlich gewesen. Da wurde über Tage hinweg so verschleiernd berichtet, daß niemand richtig verstand, was vorgefallen ist.

     

    Diese Silvester-Nicht-Berichterstattung ist auch zugleich ein abschreckendes Beispiel für eine völlig überzogene Political Correctness. Wenn die Wahrheit hinter PC zurückstecken muß, dann wird´s düster.

     

    Nur zur Orientierung ist PC gedacht, nicht als ein (Macht-)Instrument, das Selbstzweck beanspruchen kann. Im Zweifel, also bei Kollision zwischen Wahrheit und PC, geht Wahrheitspflicht vor PC - denn die Wahrheit ist das höherwertigere und schützenswertere (Rechts-)Gut in der journalistischen Berichterstattung. Und nicht nur da.

  • Wir haben in den letzten Monaten eine Art Mobbing-Presse am Werk gesehen. Es ist schön, wenn man Selbstbespiegelung betreibt, aber es gibt eben zu wenig echte Reflektion. Die Folge sind journalistische Tiefen, gerade im Umgang mit politischen Gegnern.

     

    "Nicht alle Menschen „arabischer und nordafrikanischer“ Herkunft sind Sexualstraftäter. Dieser Verdacht entsteht aber, wenn bei ausländischen Straftätern – und nur bei ihnen – immer ihre Nationalität genannt wird."

     

    Verstehe ich nicht. Man soll die Klugheit und differenzierungsfähigkeit der Leser nicht unterschätzen. Bevormudung darf es nicht geben.

  • Vermutlich weiß Frau Koch genau, dass der Pressekodex nur eine Richtlinie ist, kein bindendes Gesetz. Sie stellt sich dumm, vermute ich, weil ihre LeserInnen das auch gerne tun. Vielleicht hat sie die Hoffnung, dass der Umsatz wieder steigt, wenn sie gewisse Triggerpunkte drückt. Bevormundung ist schließlich etwas, was die meisten Leute ätzend finden. Selbst solche, die ganz unten an der Basis stehen, und nicht ganz sicher sind, dass sie sich auf sich selbst verlassen können.

     

    Allerdings: Eine Verpflichtung, die sich ein Gremium aus Journalisten und Gewerkschaften selbst gegeben hat, muss außerhalb dieses Gremiums gar niemanden binden, auch nicht die Bild-Zeitung. Weswegen sich die Bild seit viele Jahren schon nicht einmal ansatzweise hält an diesen Kodex, ohne dass ihr was passiert. Ich frage mich also, ob Anne Fromm, Jahrgang 1986, ausgebildet an der Deutschen Journalistenschule, sich nicht sehr gründlich irrt, wenn sie erklärt: "Der Zweck dahinter" sei "die Mühe wert". (Und nebenbei, ob heute alle Dreißigjährigen so denken.)

     

    Immer schon haben Institutionen, die Autorität beansprucht haben, gesagt, sie würden einer guten Sache dienen. Manchmal hat das gestimmt und manchmal nicht. Kam ganz darauf an, wie sie besetzt gewesen sind. Schon klar, wir sind nicht alle gleich. Nicht einmal gleich gebildet oder interessiert. Nur: Werden wir es jemals sein, wenn immer irgend wer für uns entscheidet, was zu tun ist und was nicht?

     

    Abwägen ist nicht immer einfach, das ist wahr. Grade deshalb sollte man es eine Weile "trocken" üben, bevor man es ernsthaft versucht. Wer will, dass Minderheiten sicher sind und Vorurteile immer seltener werden, der sollte auch die Basis mitentscheiden lassen. Schon deshalb, weil er längst nicht überall und jederzeit mit eigner Hand für Recht und Ordnung sorgen kann. Und dass Erfahrung Selbstbewusstsein stiftet, ist ja ein alter Hut. Ein Hut, jedoch, dass er längst nicht jedem Alpha passt.

    • @mowgli:

      Das stimmt so natürlich nicht. Selbstverpflichtung ist lächerlich. Das muß gesetzlich geregelt werden.

  • "Nicht alle Menschen „arabischer und nordafrikanischer“ Herkunft sind Sexualstraftäter. Dieser Verdacht entsteht aber, wenn bei ausländischen Straftätern – und nur bei ihnen – immer ihre Nationalität genannt wird."

     

    Mit Verlaub: Das ist totaler Blödsinn.

    • @tim tim:

      Wenn 90% des Taschendiebstahls von ausländern verübt werden, wäre solch ein Verdacht ja auch gerechtfertigt.

      • @heike guk:

        Also wirklich, gehts noch dümmer? Selbst wenn 90% der Taschendiebstähle von "Ausländern" verübt werden, bedeutet das im Umkehrschluss? Erstmal dann alle "Ausländer", also auch Die aus der EU, reiche saudische Touristen, Amis, Asiaten, die auch gerne geschäftlich hier sind, oder man denke an Düssldorf, mit der größten Japanischen Communite in Europa, usw. usf....rechnat man das nun mal auf alle (!) in D lebenden "Ausländer" um, so erhält man Zahlen im Promille Bereich. Dann wäre dieser Verdacht also auch gerechtfertigt?

        • @rotaticus53:

          Das ist ne absolute Milchmdchenrechnung.

          Im übrigen wäre ich über respektvollen Umgang, auch im Kommentarbereich der Taz, dankbar.

  • Diese Richtlinie ist überflüssig wie ein Kropf. Es ist anmaßend vom Presserat oder von JournalistInnen zu empfehlen, was berichtet werden soll und was nicht. JournalsitInnen sind nicht klüger oder dümmer als andere Menschen auch. Deshalb ist es töricht, die Leute für dumm zu verkaufen.

    Gerade am Beispiel Köln hat sich gezeigt: Das Verschweigen von Informationen führt viel stärker zum Aufbau von Vorurteile und Vorverurteilungen als das Verschweigen. Daher ist es besser, so schnell wie möglich alle Fakten zu publizieren. einschließlich der Nationalität.

    • @Neville Longbottom:

      Der Presserat ist eine Organisation der Verleger und Journalistenverbände. Und die dürfen sehr wohl Regeln für sich selbst aufstellen als Empfehlung für journalistisches Handeln.

      Und gerade nach Köln hat sich gezeigt wie nötwengig solche Regeln sind. Stichwort "Russen-Lisa" oder der Handgranatenwurf in Villingen-Schwenningen.

    • @Neville Longbottom:

      "Das Verschweigen von Informationen führt viel stärker zum Aufbau von Vorurteile und Vorverurteilungen als das Verschweigen."

       

      Ich empfehle Ihnen einmal z.B. die Kommentare bei der Freien Presse (Chemnitz) zu lesen, wenn dort erwähnt wird, dass ein Täter oder eine Täterin nicht deutsch ist. Ist ein Täter oder eine Täterin Inländer/in, dann wird erst gar nicht kommentiert.

  • Durch das Internet ist der Unterschied zwischen offizieller Presse und Blogs und sozialen Medien längst verwischt. Die einen bringen die Agenturmeldungen von Reuters und DPA nur ein paar Minuten eher als die anderen. Der Verhaltenscodex des Presserates ist auch schon längst ausgehebelt.

  • Also so groß ist der Unterschied zwischen Bild und Twitter ja nicht. Die meisten "Meldungen" sind doch auch kam länger als 140 Zeichen...

  • In dem Artikel steht: "Nicht alle Menschen arabischer und nordafrikanischer Herkunft sind Sexualstraftäter." Das ist ohne Zweifel richtig. Allerdings ist es ebenso richtig, dass nicht alle Männer Sexualstraftäter sind. Warum wird dann bei Berichten über solche Delikte immer das Geschlecht der Täter genannt? Werden da nicht auch Vorurteile gegenüber Männern geschürt?

    • @IG:

      Sicher - aber Vorurteile gegen die scheinbar mächtige Mehrheit sind ok. Der Konflikt trat ja nur deshalb auf, weil eine geschützte Minderheit (Flüchtlinge) gegen eine andere geschützte (Schein-)Minderheit (Frauen) stand.

      Dabei haben wir vielleicht eher ein Statistikverständnisproblem: Wenn über 90% der Täter bei Vergewaltigungen Männer sind, so ist es trotzdem falsch alle Männer der Vergewaltigung zu verdächtigen. Während manche Feministinnen genau dies bei Männern tun, machen Rassisten eben dies bei Flüchtlingen. Die Sozialisation, Alterstruktur und Situation der Flüchtlinge ist anders als die der alteingesessenen Bewohner. Daraus folgert auch eine andere Statistik bei Straftaten. Dies zu negieren ist dumm und führt im Endeffekt nicht weiter. Aus dieser Statistik dagegen einen Generalverdacht zu erzeugen, ist ebenso dumm oder eben bösartig.

      Von daher bringt es wenig Statistiken zu unterdrücken. Vielmehr müssen wir lernen Statistiken zu interpretieren. Dabei könnte und sollte uns der Journalismus helfen.

  • Und nicht alle Männer sind Mörder; schreiben wir doch einfach "Mensch" oder wozu überhaupt über ein Verbrechen schreiben; denn nicht alle Menschen sind Verbrecher auch wenn einer was tut..........

  • Und warum wird bei jeder "glorreichen" Tat ( z.B. Geldbörsenfund) die Nationlität mitgeteilt?

    Ist das nicht auch eine Art von Pauschalisieren?

    • @Klara Schuster:

      Die Regeln waren und sind einfach. Nicht relevante Religions- oder Staatsangehörigkeiten zu melden, muss man sich so vorstellen: Wie sinnvoll oder aussagekräftig wäre es, wenn JEDE Meldung jede Religions- u. Staatsangehörigkeit bringen würde? Eben, gar nicht... die Meldung bspw. jeweils NUR dann damit garnieren, wenns KEIN christlicher Deutsche war, wäre dann eben tendenziös. Das ist normalerweise einzusehen.

      Dass bei angeblich „jedem...Geldbörsenfund“ die Nationalität mitgeteilt worden sei, ist auch eine tendenziöse Anmerkung. Man kann daran sehen, wie einzelne auffällige Vorkommnisse im Gedächtnis des homo sapiens sich gegen hunderte unauffällige durchsetzen.

      Sachlichkeit ist nicht einfach vorhanden, sondern muss von jedem einzelnen Individuum erschaffen werden.

      • @Südsonne:

        Die oberste Regel allen Journalismus war und ist wirklich "einfach". So einfach, dass sie sich im Grunde jeder Journalist allein herleiten kann. Sie lautet nämlich: Melde nichts, was Deine LesreInnen nicht für relevant halten. Für irrelevante Informationen geben Leute schließlich nicht so gerne Geld aus.

         

        Das Problem der Massenmedien ist leider nicht, dass sie keine (einfachen) Regeln haben. Das Problem ist, dass die Regeln heute nicht mehr weiterhelfen. Was "die LeserInnen" für relevant halten und was nicht, ist erstens sehr verschieden heutzutage und zweitens sehr veränderlich.

         

        In einer Gesellschaft wie unserer, in der die Gräben wettbewerbsbedingt ständig breiter und tiefer werden, ist Relevanz schlicht nichts mehr, worauf man irgend eine Form von Wachstum gründen kann. DER Zeitungsleser und DIE Zeitungsleserin sind, sozusagen, ausgestorben. Es gibt statt dessen rund 80 Millionen privat-persönliche Erwartungen. Jeder Kunde ein kleiner Möchtegern-König. Die alle zu befriedigen, ist nicht nur völlig unmöglich, es ist auch nicht besonders zielführend.

         

        Eigentlich müssten sich heutzutage auch die Zeitungen im vollen Bewusstsein der Konsequenzen entscheiden, welche Entwicklungen sie mit welchen Mitteln befördern möchten und welche nicht – und sich dann selber kritisch überprüfen. Wie wirkt sich die Entscheidung aus?

         

        Blätter wie die Bild werden das eher nicht tun. Sie sind bislang nicht wirklich schlecht gefahren mit der permanenten Suche nach dem Sündenbock. Von der taz, allerdings, wäre ich dann doch etwas enttäuscht, wenn sie um eines schmucken Neubaus willen ihr Fähnchen in den Ostwind hängen würde.