Kommentar Pressefreiheit in Ägypten: Faschismus mit westlichem Segen
Die Repression unter Präsident al-Sisi ist schlimmer als unter Mubarak. Doch der Westen schweigt. Wenigstens eine Sache könnte er tun.
Wo sind eigentlich die ganzen „Charlies“ geblieben? Wo bleibt die Empörung darüber, dass Ägypten das letzte bisschen Pressefreiheit, das es zumindest auf dem Papier noch gab, nun endgültig abwürgt? Wer es als Journalist noch wagt, in seinen Artikeln von der offiziellen Version der Armee abzuweichen, muss mit hohen Geldstrafen und befristeten Berufsverboten rechnen, kurz: den Ruin riskieren.
Ägyptens neues Antiterrorgesetz kommt der Aufforderung gleich, von staatlichen Quellen abzuschreiben. Aber wie schon unter Mubarak schweigt der Westen zu den Menschenrechtsverletzungen seines Verbündeten am Nil. Nur dass die Lage dort heute viel schlimmer ist als unter Mubarak.
Von Konterrevolution kann gar keine Rede mehr sein – die aktuelle Repression lässt das Mubarak-Regime im Rückblick wie eine relativ kommode Diktatur erscheinen. Seit zwei Jahren ist Ägypten ohne Parlament, während Präsident al-Sisi seine Stellung als starker Mann weiter ausbaut. Massaker und massenhafte Todesurteile, Folter und systematische sexuelle Gewalt durch die Polizei prägen seine Bilanz.
Ein paranoider Nationalismus herrscht vor, kritische Stimmen werden unterdrückt. Und das alles im Namen des Kampfs gegen einen Terrorismus, dessen Definition so weit gefasst wird, dass fast alle Kritiker seines Militärregimes darunterfallen. Trotzdem wurde al-Sisi im Juni von Angela Merkel empfangen, und er wird von Apologeten unverdrossen als kleineres Übel verharmlost.
Im Ranking von Reporter ohne Grenzen rangiert Ägypten unter 180 Ländern auf Platz 158, mit den neuen Gesetzen dürfte es noch weiter abrutschen. Schon wer die offiziellen Angaben anzweifelt, wie viele Soldaten im Krieg auf dem Sinai gestorben sind, lebt jetzt gefährlich. Auch Kritik an Saudi-Arabien, an dessen Tropf Ägypten hängt, wird am Nil schnell als Verrat betrachtet.
Die neuen Gesetze bedrohen auch ausländische Korrespondenten, die aus Ägypten berichten, für sie wird es eng. Man sollte sehr vorsichtig mit dem Vorwurf des Faschismus sein, weil er oft leichtfertig erhoben wird, aber auf das Ägypten unter al-Sisi trifft er zu. Deutschland sollte seinen Kritikern zumindest großzügig politisches Asyl gewähren, wenn es schon nicht mehr für sie machen kann oder will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag