Kommentar Parteien und die Hessenwahl: Die Lust am Untergang
CDU und SPD verlieren erneut Prozentpunkte. Vielleicht wäre es das Beste, offen zuzugeben, dass man nicht mehr alle Wähler erreichen kann.
S o, so, das Ergebnis der Hessenwahl ist allein auf den Bundestrend zurückzuführen. Auf den ersten Blick spricht ja einiges dafür: Beide Regierungsparteien haben verloren, alle Oppositionsparteien gewonnen. Die Verlierer zeigen nun nach Berlin, wo man sich zerknirscht gibt und bessere Politik gelobt. Und selbst die Gewinner inklusive der Grünen wagen es kaum, sich selbstbewusst auf die Brust zu schlagen. Wenn allerdings die großen Parteien in Bayern wie in Hessen in ähnlichem Umfang nach links und rechts verlieren, dann deutet das auf ein strukturelles Problem hin.
Wenn nicht der Bundestrend verantwortlich ist, warum verlieren CDU, CSU und SPD in zwei aufeinander folgenden Landtagswahlen gleichmäßig etwa zehn Prozentpunkte? Weil nicht der Bundestrend, sondern der Trend als solcher gegen Union und SPD ausschlägt. Das erklärt, warum CDU und CSU in Bayern und Hessen verloren haben, obwohl sie sich maximal unterschiedlich zur Bundesregierung im Allgemeinen und Angela Merkel im Besonderen positioniert haben.
Wenn auch die SPD auf die Regierungsverantwortung in Berlin verweist, klingt das etwas wohlfeil. Schließlich haben die Genossen in Hessen 19 lange Jahre opponiert und sollten genug Gelegenheit gehabt haben, aus den Versäumnissen der schwarz-grünen Koalition ein wenig Honig zu saugen.
Die Berliner Koalition gibt ein desolates Bild ab, obwohl sie durchaus substanzielle Vorhaben auf den Weg bringt. Warum ist das so? Nein, es liegt nicht nur an der Spätphase Merkel, nun offiziell eingeläutet durch ihren Verzicht auf den Parteivorsitz. Die SPD kennt schließlich nur Früh- und Spätphasen ihrer Vorsitzenden. Die Krise hinter der Krise liegt darin begründet, dass Union und SPD mit den großen Streitthemen unserer Zeit (Migration, Klimaschutz) wenig anfangen können, weil die Linien mitten durch sie hindurch verlaufen.
Michael Koß
ist Politologe und lehrt vergleichende Politikwissenschaft an der Ludwig-Maximilian-Universität München. Demnächst erscheint von ihm: "Parliaments in Time" (Oxford University Press 2018).
Dies wiederum erklärt, warum Union und SPD so hoffnungslos zerstritten sind. Deshalb hängt der SPD die Entscheidung über die Agenda 2010 aus dem Jahr 2003 wie ein Mühlstein um den Hals. Deshalb wird in der Union so unerbittlich über Merkels „Grenzöffnung“ (die keine war) gestritten. Und deshalb ist der Streit über die Einwanderung zwischen CDU und CSU in grotesker Weise eskaliert.
Die Wahrheit zugeben
Die Lust am Untergang in den vormaligen Volksparteien rührt daher, dass die heutigen politischen Konflikte so wenig mit den Zielen zu tun haben, aus denen heraus Union und SPD eigentlich gegründet wurden. Die SPD musste sich in den ersten Jahrzehnten ihrer Existenz um keine Ratingagenturen kümmern und die Union formierte sich in einer Zeit, zu der Einwanderung nach Deutschland von außerhalb Europas undenkbar schien. Die SPD musste nach 2003 schmerzlich lernen, dass man sozialistische Blütenträume unter den Bedingungen der Globalisierung nur bedingt umsetzen kann. Solche Feinheiten können der Linkspartei egal sein.
Die Union – oder zumindest die CDU – weiß, dass Grenzschließungen das Schengen-System und damit den Binnenmarkt in der EU gefährden, dessen größter Profiteur Deutschland ist. Das sind wiederum Feinheiten, die der AfD herzlich egal sind. Die Parallelen zwischen der Hartz IV-Gesetzgebung und der Aufnahme von Flüchtlingen im September 2015 sind evident.
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Beide Male haben SPD und Union in einem je nach Sichtweise heroischen oder paranoiden Akt der Selbstaufopferung eine letzte große Entscheidung getroffen, an der sie sich seitdem aufreiben. Jetzt verhalten sich SPD und Union wie der sprichwörtliche Klempner, der die Ursache des tropfenden Rohrs nicht findet und immer fester dreht. Mit der Konsequenz, dass das Malheur seinen Lauf nimmt.
Was also tun? Wahrscheinlich wäre es für SPD und Union das Beste, offen zuzugeben, dass man nicht mehr alle Wähler erreichen kann – zumindest sich selbst gegenüber. Das würde auch den aggressiven Umgang miteinander abmildern. Die Große Koalition hat, wenn sie den SPD-Vorschlag eines Zeitplans aufnimmt, noch immer eine Chance, die für Union und SPD besser ist als jedes Neuwahlszenario. Zwei Bedingungen sind dafür nötig: Der Zeitplan muss einhaltbar sein und eingehalten werden und man muss willens sein, sich wechselseitig etwas zu gönnen. Voraussetzungsvoll, ja, aber machbar.
Grüne Angst vor der Trendwende
Kommen wir zu den anderen Parteien. Beim großen Wahlsieger, den Grünen, geht die Angst um, dass der Trend sich auch wieder gegen sie wenden könnte, insbesondere wenn die Partei Regierungsverantwortung übernimmt. Diese Sorge ist recht unbegründet, denn die jüngere Vergangenheit gibt keinerlei Anlass zu der Vermutung, dass eine weitreichende politische Reform (oder deren Scheitern) in der näheren Zukunft zuvorderst den Grünen angelastet wird. Zu schlecht ist das Bild der Mitkonkurrenten.
Das bringt uns zur FDP: Christian Lindner stößt mit seiner Aussage am Wahlabend, seine Partei stehe zwischen denjenigen, die alle ins Land lassen wollten und denen, die niemanden ins Land lassen wollten, alle Mitbewerber vor den Kopf und unterstreicht so, dass die FDP für eine konstruktive Zusammenarbeit auf Bundesebene nicht zur Verfügung steht. Das reicht für sechs bis acht Prozent und damit haben wir eigentlich auch gleich die Linkspartei abgehandelt.
Die AfD kann weiterhin auf ihr Image als Bollwerk gegen die Migration bauen und musste bislang niemandem erklären, wie eigentlich eine Grenzschließung mit dem EU-Binnenmarkt vereinbar ist. Dass diese Frage sich eines Tages stellt, darin liegt die Hoffnung der Union. Für die SPD gibt es keine.
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