Kommentar Opposition in der Türkei: Gerechtigkeit lässt sich nicht aufhalten
Marschierende Regierungskritiker wollen Staatschef Erdoğan herausfordern. Mit Erfolg: Wer noch nicht mitläuft, redet zumindest darüber.
D er Marsch für Gerechtigkeit in der Türkei entwickelt sich immer mehr zu einer echten Herausforderung für Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Seit der Marsch am 15. Juni vom Vorsitzenden der CHP Kemal Kilicdaroğlu begonnen wurde, hat er sich zu einer regelrechten Welle entwickelt, die jetzt wie ein politischer Tsunami durch das Land schwappt. Jeder Mann und jede Frau im Land redet darüber. Selbst die regierungsnahen Medien müssen darüber berichten, wenn auch nur denunziatorisch.
Kilicdaroğlu ist es mit seinen Vorgaben – keine Parteipolitik und völlige Konzentration auf die Kernforderung nach Gerechtigkeit – gelungen, alle Menschen anzusprechen, die unter der Repression, den willkürlichen Festnahmen und Entlassungen seit der Verhängung des Ausnahmezustandes am 20. Juli letzten Jahres leiden. Und das sind Millionen, wenn man über die unmittelbar Betroffenen hinaus auch deren Familien, Freunde und Bekannte dazu zählt. Viele von ihnen marschieren nun mit und es werden jeden Tag mehr.
Während die Regierung anfangs noch über den Marsch spottete, gerät sie langsam in Panik. Erneut wird nun versucht, alle Kritiker zu Terroristen zu stempeln, doch niemand lässt sich mehr davon beeindrucken. Allerdings wächst mit der Schärfe der Rhetorik der Regierung auch die Gefahr eines gewaltsamen Angriffes auf den Marsch.
Doch für alle die dabei sind, ist der Marsch für Gerechtigkeit längst zu einem Kristallisationspunkt geworden, in dem ihre Wut und Verzweiflung aufgenommen wird und sich in neue Hoffnung umwandelt. An diesem Wochenende werden die Marschierer in Istanbul ankommen und ihre Erwartungen bei einer Massenkundgebung lautstark artikulieren.
Die Hoffnung ist, dass das Momentum des Marsches umgewandelt werden kann in weitere Aktionen gegen die drohende Diktatur im Land – und irgendwann wieder Gerechtigkeit und eine unabhängige Justiz zur Grundlage des Zusammenlebens werden.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links