Kommentar Offensive auf Ghouta: Schlimmer als Aleppo
Das Assad-Regime bombardiert Ghouta in einem bislang einmaligen Ausmaß. Nur interessiert das kaum noch jemanden außerhalb Syriens.

Der Februar hätte eigentlich ein guter Monat werden können für die vom syrischen Regime belagerten Enklaven im Umland von Damaskus. Ein UNO-Hilfskonvoi gelangte in die Region Ghouta – das erste Mal seit Ende November. Nur selten genehmigt das Regime überhaupt, was völkerrechtlich verpflichtend ist und was die UNO-Sicherheitsratsmitglieder für Syrien 2014 in der Resolution 2139 unterstrichen haben: dass alle Menschen in einem Konflikt das Recht auf humanitäre Hilfe haben.
Die UNO jubelte, dass 7.200 Menschen durch den Konvoi einen Monat lang versorgt würden. Hilfslieferungen, international gern als Silberstreif am Horizont verkauft, sind für die Bewohner belagerter Gebiete Syriens aber oft ein Vorbote des Unheils, eine Art Henkersmahlzeit.
Denn die Strategie des Regimes ist die Vernichtung der eigenen Bevölkerung. Die jüngsten Lieferungen reichen gerade mal für zwei Prozent der 380.000 eingeschlossenen Menschen. Verbandsmaterial und Bluttransfusionsausstattung wurde gar nicht erst geliefert.
Als 2016 der allererste Konvoi überhaupt in die seit Jahren gnadenlos ausgehungerte Stadt Daraya gelassen wurde, bombardierte das Regime gleichzeitig die auf die Hilfe wartenden Zivilisten. Wenig später räumte das syrische Militär den Ort als Teil seiner erzwungenen Umsiedlungen.
Auch jetzt ist es nicht anders: Noch während die Vereinten Nationen unterwegs waren, begannen die Drohnenangriffe. Seither wird Ghouta von Bombardements ungekannten Ausmaßes getroffen. Mehr als 150 Tote und über 850 Verwundete zählte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte innerhalb von 48 Stunden.
Es scheint, als habe Russland dem Regime grünes Licht für seine Auslöschungskampagne in Ghouta gegeben. Eine noch größere humanitäre Katastrophe als in Ost-Aleppo hat begonnen. Nur dass diese noch weniger wahrgenommen wird und noch weniger Hoffnung besteht, dass der Westen für seine Sonntagsreden über Menschenwürde und Freiheit auch einsteht. Denn man hat sich ja daran gewöhnt.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alles zur Bundestagswahl
Lindner und die FDP verabschieden sich aus der Politik
Sauerland als Wahlwerbung
Seine Heimat
Pragmatismus in der Krise
Fatalismus ist keine Option
Erstwähler:innen und Klimakrise
Worauf es für die Jugend bei der Bundestagswahl ankommt
Totalausfall von Friedrich Merz
Scharfe Kritik an „Judenfahne“-Äußerungen
Wahlergebnis der AfD
Höchstes Ergebnis für extrem Rechte seit 1945