Kommentar Offenlegung Missbrauchstäter: Ein aufklärerischer Anfang
Die Erzdiözese New York veröffentlicht eine Liste von Klerikern, die des sexuellen Missbrauchs schuldig sein sollen. Gut, dass Namen genannt werden.
I st das nun Denunziation oder Aufarbeitung sexueller Gewalt? Die Erzdiözese New York hat eine Liste von 120 Klerikern veröffentlicht, die wegen sexuellen Missbrauchs an Kindern, Jugendlichen, Ordensfrauen glaubwürdig angeklagt sind oder gegen die Entschädigungsansprüche infolge von Missbrauchsvorwürfen geltend gemacht werden. Die meisten der genannten Kirchenmänner sind allerdings bereits tot oder aus ihren Ämtern entfernt worden.
Bei sexueller Gewalt, vor allem an Kindern und anderen Schutzbefohlenen, sollte die oberste Regel sein: schonungsloses Offenlegen der Taten. Und dafür ist es mitunter notwendig, Namen zu nennen. Wie sonst sollte Tätern auf die Spur gekommen, wie sollten jüngere Kirchengänger*innen vor Tätern gewarnt werden? Der zu erwartende Einwand, die in den USA genannten mutmaßlichen Täter seien doch gar nicht mehr aktiv – geschenkt. Das Schweigen der Vergangenheit wirkt, wenn es weiter betrieben wird, ja direkt in der Gegenwart.
Als die Deutsche Bischofskonferenz im vergangenen September bei ihrem Jahrestreffen in Fulda mit großen Brimborium die von ihr selbst in Auftrag gegebene „Missbrauchsstudie“ vorstellte, wurde wieder einmal deutlich: Mit Wahrheit und Transparenz nimmt es die katholische Kirche nicht so ernst. Die Akten, die für die Studie herangezogen wurden, waren zum Teil geschwärzt und anonymisiert, viele Seiten sogar vernichtet worden – von der Kirche. Auf das Nennen von Namen verzichtet die Bischofskonferenz bis heute. Man könnte ja Neffen und Nichten von verdächtigen Kirchenoberhäuptern verunsichern, wie der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Reinhard Marx, in Fulda murmelte. Übersetzt heißt das: Die Kirche schützt die Täter weiter.
Möglicherweise fällt es leichter, die Namen verstorbener Täter zu nennen – so wie jetzt in den USA. Trotzdem ist das weniger Denunziation als ein aufklärerischer Anfang. Das könnte die Kirche in Deutschland auch leisten. Sie muss es nur wollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül