Kommentar Obama beim Kirchentag: Lasst uns kreischen
Obama leistet beim Kirchentag Wahlkampfhilfe für Merkel. Die punktet so bei den Jungen – und gerade das ist für die Sozis äußert misslich.
D as Wort „Wahlen“ ist nicht gefallen und keine Partei wurde beim Namen genannt. Aber Expräsident Barack Obama hat bei seinem Auftritt an der Seite von Angela Merkel auf dem Kirchentag keinen Zweifel daran gelassen, dass er aktive Wahlkampfhilfe leistet. Er hatte sie sich als Gesprächspartnerin auf dem Podium gewünscht und ohnehin bereits betont, dass er, Obama, Merkel wählen würde.
Nun also in jedem zweiten Satz „Angela und ich“ oder „wie Angela schon sagte“, gekrönt von der Aussage, dass Merkel seine „liebste Partnerin“ gewesen sei und „großartige Arbeit nicht nur hier, sondern auf der ganzen Welt“ geleistet habe. Mehr Liebe in der Politik geht kaum. Der Expräsident versuchte, Merkel an jenem Glamour teilhaben zu lassen, der ihn zum Polit-Popstar gemacht hat.
Die jungen Leute am Brandenburger Tor würden auch kreischen, wenn Obama nur das Telefonbuch vorlesen würde. Er ist eben Obama. Und deshalb wurde für die Kanzlerin gleich mitgejubelt, obwohl sie Merkel ist. Und Obamas Grandezza wirkte durchaus auch auf die Kanzlerin. Ihre Redebeiträge, die sonst diese sanft einschläfernde Wirkung entfalten und ein Gefühl wohliger Leere hinterlassen, waren gestern geradezu spritzig. Natürlich applaudierte Obama ihr – allein dieses Foto ist ein Traum für jeden Wahlkampfmanager.
Für die deutschen Sozialdemokraten ist das äußerst misslich. Obama unterstützt Merkel ausgerechnet dort, wo ihr Herausforderer Martin Schulz zuletzt gepunktet hat: bei jungen Leuten. Er verhilft ihr zu etwas mehr Coolness und ein bisschen Kreischfaktor. Warum nur unterstützt er die „falsche“ Kandidatin?
Sympathien schlagen Parteibuch
Die Frage ist leicht zu beantworten: In der Politik spielen persönlichen Sympathien eine viel größere Rolle, als sich die meisten Politiker eingestehen wollen. Obama ist tatsächlich ein großer Merkel-Fan. Der Mainstream der Demokraten in den USA entspricht außerdem der in die Mitte gerückten Merkel-CDU.
Obama sieht in der Kanzlerin diejenige, die angesichts von Trump und anderen Krisen die Erfahrung und Ruhe mitbringt, um den Laden zusammenzuhalten. Warum Obama das der deutschen Linken nicht zutraut – diese Frage sollte sich die SPD stellen. Denn nach dem kurzen Sankt-Martin-Festtagen sehen auch viele WählerInnen Merkel wieder so. Die Regierungsalternative links von der CDU überzeugt derzeit nicht. Sie braucht mehr Strahlkraft, mehr Inhalte und, ja, auch etwas mehr Kreischfaktor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen