Kommentar Neue Schengen-Regeln: Ein Zeichen des Misstrauens
Die beliebige Schließung der Schengengrenzen ist ein Zugeständnis an die Rechtspopulisten. Und ein Geschenk für ihre zukünftigen Kampagnen.
S chengen, das war ein Versprechen: auf mehr Europa. Die Abschaffung der Grenzkontrollen war das sichtbarste, spürbarste Zeichen dafür, dass dieser seit Urzeiten im Streit liegende Kontinent sich für eine gemeinsame Zukunft entschieden hatte.
Wer dem Nachbarn so weit über den Weg traut, dass er den Schlagbaum hochklappt, der sollte sich auch einigen können, wenn es um Währung, Steuern, Märkte, Einwanderung und anderes geht. Deswegen war der Kommission, der Hüterin der EU-Verträge, Schengen auch so wichtig. Denn wer es verteidigt, der hält den Weg offen für die weitere Einigung Europas.
Seit der Flüchtlingskrise aber wird an Europas Binnengrenzen immer öfter kontrolliert – an Flughäfen, in der Bahn, in Bussen und an Autobahnen. Die Kommission hatte immer wieder auf ein Ende dieser vermeintlichen Ausnahmen gedrängt. Innenpolitiker, auch aus Deutschland, hatten sie hingegen immer weiter verlängern wollen.
Es war ein Schritt in Richtung Renationalisierung, ein Ausdruck des Misstrauens: gegen Brüssel, gegen die Südeuropäer oder gegen die Staaten im Osten, die nicht imstande seien, ihre Grenzen zu sichern. Und je stärker darauf gedrängt wurde, Schengen aussetzen zu dürfen, desto eher durften Rechtspopulisten sich bestätigt fühlen: Ihre Erzählung von Europa ist die von der Gefahr durch offene Grenzen und unkontrollierte Migration. Von diesem Punkt aus stellen sie Europa insgesamt infrage.
Wer Schengen beschneiden will, macht es ihnen leicht. Genau das tut die EU. Es wäre an ihr, ein Signal zu setzen: Offene Grenzen, wenigstens im Innern, sind keine Bedrohung, sie sind die Zukunft des Kontinents. Dass sie im Streit nun einknickt und den Mitgliedstaaten erlaubt, Schengen praktisch nach Belieben aussetzen zu können, wird von den Europahassern als klares Eingeständnis interpretiert, dass es doch keine so gute Idee war, die Grenzkontrollen in Europa abzuschaffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau