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Kommentar Nahostkonflikt und ReligionDie letzte Vernunft

Kommentar von Peter Philipp

Immer wieder sind religiöse Gefühle missbraucht worden – von Demagogen in Israel und Palästina. Politik und Religion gehören auseinander.

Hebron am 14. November. Das Grab dort sollte ebensowenig Streitobjekt sein wie der Tempelberg in Jerusalem. Bild: reuters

D er ehemalige libanesische Staatspräsident Charles Helou malte einst ein düsteres Bild von den Aussichten auf eine Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts: Solange es um ein für drei Weltreligionen „Heiliges Land“ gehe, sei nicht daran zu denken – „denn über ein ’Heiliges Land‘ macht doch niemand Kompromisse“. Zumindest für Juden und Muslime trifft diese Zuschreibung unvermindert zu.

Es nimmt deshalb Wunder, dass nach dem Mordanschlag in einer Jerusalemer Synagoge von einer neuen Qualität der Auseinandersetzung gesprochen wird: Wurde denn nicht erst kürzlich eine Moschee auf der Westbank von Israelis in Brand gesetzt? Zerbombte die israelische Luftwaffe im Sommer in Gaza denn nicht auch Moscheen, und hat es seit dem Sechstagekrieg (1967) nicht immer wieder Angriffe und Überfälle auf Gotteshäuser und Gläubige der jeweiligen Gegenseite gegeben?

Immer wieder sind religiöse Gefühle und Überzeugungen missbraucht worden von Demagogen auf beiden Seiten. Erkennt „Hamas“ in Gaza wirklich nicht, wie wenig ihr Jubel über den Synagogenüberfall sie noch von Ministerpräsident Netanjahu trennt, wenn dieser vom „Kampf um Jerusalem“ spricht und einer weiteren Bewaffnung der israelischen Bevölkerung zustimmt?

Politik und Religion sollten auseinandergehalten und das „Trennende“ der Demagogen zum Bindeglied gemacht werden. So ist der jüdische Erzvater Abraham für die Muslime der wichtige Prophet Ibrahim. Sein Grab in Hebron sollte ebensowenig Streitobjekt sein wie der Tempelberg in Jerusalem.

Leider mangelt es beiden Seiten an Einsicht und Vernunft. Das Ausland hat mit seiner Vermittlerrolle bisher auch versagt. Die Vernünftigen haben längst begonnen zu resignieren.

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14 Kommentare

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  • hm.

    der politische zionismus bestand immer schon aus der verquickung von religion+politik aufs engste.

    und für palästinenser machte+macht es keinen unterschied, ob sie dem anspruch, auf 'erobertem boden den neuen menschen/juden herzustellen' weichen mußten/müssen oder aber dem anspruch, ein elon moreh, ein shiloh, ein susiya wiederzuerrichten - in beiden fällen waren/sind sie land und dessen nutzung los und damit ihre subsistenz. dass sie das nicht immer klaglos und ohne gegenwehr hinnahmen+nehmen, dürfte doch nicht verwunderlich sein. und dies umso weniger, als praxis wie slogan "eroberung des bodens" ergänzt war um praxis wie slogan von der herstellung der "jüdischen arbeit"in allen wirtschaftszweigen.

    egal welcher denomination/konfession palästinenser angehören, ihre erfahrung ist die immergleiche: ob religiös oder säkular eingekleidet, das zionistische unternehmen dient zur herstellung exklusiver jüdischer souveränität über territorium und zum verschwinden-machen palästinensischer präsenz, als menschen wie als wirtschaftsformen/produktionsweisen wie als gebäude/bebauung.

    vor diesem hintergrund finde ich den ruf nach trennung von religion+politik bei gleichzeitiger besinnung auf das religiös verbindende zwar lieb, aber dennoch hilflos.

     

    Um mal von 'den muslimen' wegzukommen: dass Jesche jude war hindert den staat Israel nicht daran, die weinbauern um das kloster Cremisan herum durch den bau einer mauer von ihren weinbergen abzutrennen und damit weinbauern wie kloster von der subsistenz und das kloster darüberhinaus von der religionsübergreifenden bildungsarbeit. Ob nach gelungener abtrennung juden den weinanbau übernehmen? Möglich wär's. Aber genauso möglich wäre die anlage eines erholungsparks für die einwohnerschaft von Gilo+Har Gilo mit dem klostergebäude als folkloristischem highlight und dem einen+anderen palästinensischen parkarbeiter, unbewaffnet versteht sich.

    • @christine rölke-sommer:

      Die geschichte zu Har Nof ist übrigens noch bitterer, lag doch mal zwischen Givat Shaul und dem damals unbesiedelten Har (berg) Nof das dorf Deir Yassin. Ich hoffe, dieser hinweis macht sehr klar, dass es nicht um „religiöse Gefühle“ geht.

  • Wer "religiöse Gefühle" hat, sollte sich psychotherpeutisch betreuen lassen oder aber zumindest den Anstand haben, andere Menschen nicht mit seinen bizarren Ansichten zu belästigen.

  • "Erkennt „Hamas“ in Gaza wirklich nicht, wie wenig ihr Jubel über den Synagogenüberfall sie noch von Ministerpräsident Netanjahu trennt, wenn dieser vom „Kampf um Jerusalem“ spricht und einer weiteren Bewaffnung der israelischen Bevölkerung zustimmt?"

    das ist entlarvend. danke und auf nimmer wiedersehen, taz!

    • @paulibahn:

      Sie haben die Tendenz des Autors und seines Beitrags perfekt analysiert !

      Danke

  • Die Säkularisierung der Region überhaupt steht an.

    Dann wenn sich die BewohnerInnen nicht mehr nationalreligiös mit dem Land identifizieren, dann wird eine Lösung des Israel-Palästina-Konflikts überhaupt möglich.

    • 4G
      4932 (Profil gelöscht)
      @nzuli sana:

      Im Sommer sprach Liebermann von einer "gründlichen Säuberung" des 2005 von Israel geräumten Gazastreifens und forderte, dass Israel wieder die Kontrolle über den Küstenstreifen übernimmt. Ob solche Gedanken noch mit der Religion zu tun haben, oder ob es da nicht einfach um skrupellose weltliche Macht geht?

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Ein sehr kurzer und sehr treffender Kommentar, der deutlich beide Perspektiven benennt. In deutschen Medien selten. Danke Herrn Philipp und der taz.

    Heute Mittag im Programm Bayern 2 ein Liveinterview von Herrn Pagels mit dem Generalkonsul Dan Shaham (http://www.br.de/radio/bayern2/politik/radiowelt/israelischer-generalkonsul-dan-shaham-mehrheit-will-frieden-mit-palaestinensern-100.html).

    Auf die Frage, wie das mit der 'Spirale' sei und ob denn auch der permanente Siedlungsbau eine Rolle spiele, sagte Herr Sharam 'ja, durchaus, aber man könne nie in allen Bereichen immer zusammenfinden und man solle sich doch auf die Dinge konzentrieren, in denen man übereinstimme' (sinngemäß).

    Na, dann wird das Gemetzel weitergehen.

  • "Leider mangelt es beiden Seiten an Einsicht und Vernunft. Das Ausland hat mit seiner Vermittlerrolle bisher auch versagt. Die Vernünftigen haben längst begonnen zu resignieren."

     

    Danke für diese ach so erhellenden und innovativen Erkenntnisse. *** Ironie aus ***

    Dem wäre jedoch hinzuzusetzen, dass die kürzliche Anerkennung eines noch gar nicht gegründeten Staates Palästinas durch Spanien, Schweden, Großbritannien und Irland dem Friedensprozess auch nicht dienlich sein werden und die Hamas dazu beflügen dürften, ihre Strategie der Gewalt fortzuführen. Ihre Taktik im Gaza-Krieg hat sich jedenfalls ausgezahlt. Denn das ist das Signal, das die o.g. europäischen Staaten aussenden. Eine Anerkennung ohne Wenn und Aber ist sogar in höchstem Maße politisch unverantwortlich. Israel wird sich jedenfalls nicht davon unter Druck setzen lassen.

    • @Martin Fierro:

      ohauer hauerha

    • 4G
      4932 (Profil gelöscht)
      @Martin Fierro:

      Ihre Position haben Sie in wenigen Zeilen klar gemacht.

      Ich finde, daß es ein längst fälliger Versuch von Seiten der EU ist, nicht nur die Zweistaatenlösung ständig als wünschenwert zu benennen, sondern endlich einmal ja zu sagen zu dem 2. Staat. Statt unentwegt Wiederaufbauhilfe nach Palästina zu schicken, weil die Israelis wieder einmal mit 700 Tonnen Sprengstoff viele Quadratkilometer niedergemäht haben. Von den Sünden an der Bevölkerung ganz zu schweigen.

  • "Politik und Religion gehören auseinander."

     

    Weshalb man gleich mal bei CDU/CSU anfangen darf.