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Kommentar NS-KriegsopferVergessen, verdrängt, verachtet

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Ein Mahnmal für die NS-Kriegsopfer in Osteuropa wäre ein politisches Signal. SPD, Grüne, FDP und Union sollten dieses Projekt zu ihrer Sache machen.

Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus, hier im Landtag von Baden-Württemberg Foto: dpa

E s gibt zwei Einwände gegen ein Mahnmal, das an die Opfer des NS-Vernichtungskrieges im Osten erinnern soll. Der erste: In Berlin gibt es das Holocaust-Mahnmal, die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, das Haus der Wannseekonferenz, Erinnerungsorte für Roma und Sinti, Homosexuelle, Euthanasieopfer und noch mehr.

Man kann darin eine Überkompensation der Nachgeborenen erkennen – was nach 1945 schändlich versäumt wurde, wurde später entschlossen nachgeholt. Das zweite Argument lautet: Ein Mahnmal für den NS-Krieg gegen Polen und die Sowjetunion presst Opfergruppen zusammen, die 2019 nicht zusammengehören wollen.

Wir sollten diese beiden Einwände bedenken – und nach sorgsamer Abwägung verwerfen. Es ist richtig, dass Ukrainer, Polen, Weißrussen und Russen sich 2019 teils feindlich gegenüberstehen. Aber ein Mahnmal in Berlin schafft kein künstliches Opferkollektiv. Es ist ein Mahnmal für uns, für die Nachfahren der Täter, in deren rassistischem Blick und militantem Anti­slawismus alle im Osten „Untermenschen“ waren.

Der Krieg gegen diese war ein zentrales Element der NS-Ideologie. Er hat Abermillionen Unschuldige das Leben gekostet, die in der hiesigen Erinnerungskultur ein weißer Fleck geblieben sind. Die weißrussische Bäuerin, die als Geisel erschossen wurde, der junge Rotarmist, den die Wehrmacht 1941 mit Hunderttausenden anderen sowjetischen Gefangenen gezielt verhungern ließ, der Lehrer in Warschau, der exekutiert wurde, weil die Polen zum Sklavenvolk werden sollten – sie sind in der kollektiven Erinnerung der Deutschen bestenfalls Schattenrisse. Sie haben keine Namen, keine Gesichter, keine Bedeutung. Sie sind keine Figuren von Spielfilmen oder Serien geworden, kein RomanheldInnen.

Diese Vergessenen, Verdrängten, Verachteten, die nach 1945 vielen Westdeutschen weiterhin als Feinde und Gefahr galten, haben Anspruch auf ein Mahnmal in Berlin. Nötig ist das politische Signal, dass es gewollt wird. SPD, Grüne, FDP und Union sollten dieses Projekt zu ihrem machen. Es ist überfällig.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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1 Kommentar

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  • Wichtig, in Berlin ein Mahnaml für Opfer des NS Krieges zu errichten, die Zustimmung von SPD, Grüne, FDP, Union einzufordern, wichtig, bei diesem Projekt, die Zustimmung aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien auf Agenda öffentlicher Debatten zu setzen.



    Dass das erfolgreich ist, hat der von einer überwältigenden Mehrheit Deutschen Bundestages getragene Beschluss 2010 demonstriert, in dem das Verschwinden atomarer Waffen in US- , Nato-Arsenalen in BüchelEifel vom deutschen Boden verlangt wird, damit nächster Vernichtungskrieg von deutschem Boden atomar nicht möglich ist.



    Grundlegend geht es darum, dem NS Rassenwahn, Völkervernichtungskrieg, Auslöschen "unwerten" Lebens, zu denen zuvor als Helden gefeierte Kriegskrüppel absebar gehört hätten, damit ihr stummer Schrei als Mahnung verstummt, als barbarischer NS-Gründungsmythos eines durch Kriegsmaschinerie, Kommandowirtschaft formierten Europas, einen anderen, einen humanen Gründungsmythos entgegenzustellen, dem Gedenken an Opfer des NS Arbeitsmarktprogramms "Vernichtung durch Arbeit" , das ohne den NS-Krieg in diesem Ausmaß in deutschbesetzten Gebieten Europas 1939-45 bis nach Spanien durch willige Vollstrecker in Militär, Polizei, Justiz, Ämtern, Verkehr, Logistik, IBM Lochkarten in Einwohnermeldestellen, Handel, Banken, Versicherungen Zentralbanken, nicht möglich gewesen wäre, Mahnmale in Berlin, Brüssel, Straßburg, Paris, Rom, Amsterdam, Oslo, Prag, Budapest, Warschau, Belgrad, Kiew, Bukarest, Wien zu errichten.



    Dass nach Deutscher Einheit 1990, Mahnmale in Berlin errichtet wurden, die über deutsche Erinnerungskultur hinausweist, wie das Holocaust Mahnmal, hat viele helle, einen dunklen Grund, das Ausbleiben eines Friedensvertrages mit ehemals 53 kriegsführenden Ländern in aller Welt bis heute, solle, neben Verschleppen zeitnahen Entschädigungsfonds deutscher Gesellschaft, Wirtschaft für 12 Millionen Zwangsarbeiter*nnen symbolisch kompensiert erscheinen.