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Kommentar Muslimin im Wulff-KabinettSymbolpolitik mit Folgen

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Özkan hat mit ihren beiläufigen Bemerkungen eine überfällige Debatte über die staatliche Neutralität gegenüber Religionen angestoßen - und Mut zur unpopulären Meinung bewiesen.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
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9 Kommentare

 / 
  • A
    aso

    @ Ahmad:

    „...Es gibt nachweislich in allen islamischen Ländern (Ausnahme Arabische Halbinsel) christliche Gemeinschaften...“:

     

    Die aber nicht größer, sondern immer kleiner werden., Woran könnte das liegen?

    Und:

    Warum gibt es in Arabien eine Ausnahme?

     

    Nun könnte man unzählige aktuelle Beispiele für Christenverfolgung in islamischen Ländern aufzählen.

     

    Oder zu den historische Wurzeln zurückgehen:

    In Medina ließ der Prophet, der allen als untadeligen Vorbild gilt,

    zwei jüdische Stämme vertreiben, und einen ausrotten:

     

    http://www.igfm.de/Religioese-Minderheiten-im-Islam.1159.0.html

     

    Ein gleichberechtigtes Nebeneinander verschiedener Religionen, wie wir es in Europa kennen, war im Islam zu keinem Zeitpunkt vorgesehen.

     

    Denn im Islam sind nicht alle Menschen per se gleich:

    Das klassische islamische Recht kennt drei Menschengruppen (hierarchisch abgestuft): Muslime, Dhimmis, Harbis.

    Unter den Dhimmis gibt es die Abstufungen „Schriftbesitzer“,

    denen gegen eine Schutzgelderpressung (Dschizya) minimale diskriminierende Rechte eingeräumt werden,

    und andere Ungläubige,

    die ohne Rechte und damit vogelfrei sind, wie die Bahai im Iran.

    Wer diese Fakten ignoriert, könnte in der Tat blind sein.

  • A
    Ahmad

    @aso

    Es gibt nachweislich in allen islamischen Ländern (Ausnahme Arabische Halbinsel) christliche Gemeinschaften. Die Christen in Irak, Libanon, Syrien, Palästina und Ägypten zeugen sehr deutlich davon, dass der islamische Staat Christen nicht ausgerottet (oder vertrieben) hat. Und das ist in Europa (Reconquista, Süd-Italien) schon deutlich anders abgelaufen, heute finden sich wohl ein paar Minarete auf Kreta, aber man kann dort Muslime (und Türken) mit der Lupe suchen. Christen sind da in der Vergangenheit nicht durch Toleranz aufgefallen, sonst hätte es wohl kaum den 30-jährigen Krieg und zahlreiche andere Religions- und Konfessionskonflikte gegeben. Da hat Basti sicherlich recht.

    Nur unsere Bundesrepublik soll eben blind gegenüber Muslimen sein - ist sie das?

  • A
    aso

    Der Begriff Minister kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Diener. Der Kanzler, bzw. Ministerpräsident ist der Chef und bestimmt die Richtlinien.

    Diesen Richtlinien muß der Minister folgen.

    Er muß seine private Meinung als solche kennzeichnen.

    Wenn diese von den Chef-Richtlinien stark abweicht, so sollte er sich fragen, ob er der richtige für den Job ist. So einfach ist das.

     

    @ Bastian:

    „...Als rückständig soll diese Religion gebrandmarkt werden, dass der Islam früher Toleranz prädigte, während in Europa allerorts Menschen brannten wird vergessen...“:

     

    Das find ich immer große Klasse, wenn Kommentatoren der Leserschaft ihre historischen Kenntnisse zur Verfügung stellen...:

     

    Könnten Sie dies etwas präzisieren, wann, wo, wem gegenüber, genau „der Islam früher Toleranz prädigte“, vielleicht mit einem Beispiel illustriert?

  • T
    Tunc

    Erste türkische Ministerin mit Maulkorb?

     

    Die Designierung der türkischstämmigen Aygül Ökan hatte wirklich eine Symbolkraft, die sich sehr schnell durch das ganze Land gezogen hat. Vielleicht auch ein wichtiger und mutiger Schachzug von Ministerpräsident Wullf für seine weitere Karriere und auch wohl zur Stärkung der CDU in NRW, die nicht einmal einen türkischstämmigen Landtagsabgeordneten hervorgebracht haben und die schwarz-gelbe Koalition nicht mehr halten werden.

     

    Nach dieser großen Symbolkraft kam jedoch eine verheerende Niederlage. Meinungsfreiheit in CDU ist nur möglich, wenn man christliche Werte und Symbole befürwortet und andere Symbole aus dem öffentlichen Leben verbannt. Aygül wollte sich für die verfassungsrechtliche Neutralität des Staates einsetzen und alle Religionen gleichbehandeln, raus mit Krufixen und Kopftücher aus Schulen. Sie war sicherlich sehr naiv und hat verkannt, dass die Neutralität des Staates geprägt ist von einer Positivität zum Christentum, villeicht nicht als Religion aber als Symbol.

     

    Diese Meinung war verheerend für sie. Sie musste zurückrudern und sich noch für ihre verfassungsrechtlich garantierte Meinung entschuldigen. Kurz gesagt sie hat von der CDU ein Maulkorb bekommen. Wenn sie etwas sagen möchte, muss die Schwester nunmehr ersteinmal ihren Big Brother (Großen Bruder)fragen, damit sie nicht ins Schleudern kommt und aus der Linie der christlichen Leitkultur aussschert.

  • B
    Bastian

    Was ich nicht verstehe, ist das Kopftücher mit dem Kruzifix an der Wand verglichen werden. Das Kruzifix stellt eine Meinungsäußerung der Schule dar, das Kopftuch eine persönliche.

     

    Während Kruzifixe an der Wand verboten sein müssen (da haben BVerG und Europa recht) kann man das Kopftuch nur unter einer Bedingung gerecht verbieten:

     

    Auch das Kreuz oder der Hammer an der Kette um den Hals, der rote Punkt auf der Stirn und jedes andere Zeichen eines Bekenntnisses gehören verboten.

     

    Aber exzessiv rumgehackt wird nur auf dem Islam, mal von kleinen Spinnersekten wie Scientology abgesehen. Als rückständig soll diese Religion gebrandmarkt werden, dass der Islam früher Toleranz prädigte, während in Europa allerorts Menschen brannten wird vergessen.

     

    Der rote Punkt auf der Stirn als Symbol des Kastenwesens? Buddhistische Symbole als Verherrlichung der brutalen Strafen des khanschen Rechts, das z.B. in Tibet bis zur chinesischen Invasion galten und unterdrückung von Nichtbuddhisten oder "Abweichlern" (die es gegeben hat, auch wenn viele das nicht wahrhaben wollen)? Nie eine Rede davon, aber das Kopftuch gilt als antidemokratisch und Frauenfeindlich.

     

    Die Schulen mit starken Anteilen an türkischen und arabischen Schülern reagieren intelligent: Nicht Kopftücher sondern Kopfbedeckungen im allegemeinen werden verboten, Schulen erklären Deutsch zur einzigen zulässigen Sprache außerhalb des Fremdsprachenunterrichts. Ähnliche Regeln schreiben sich andere Schulen (ohne starke muslimische Schüleranteile) nicht in die Schulordnungen. Man könnte doch Halsketten verbieten, oder rote Punkte auf der Stirn.

     

    Ein Schelm, wer böses denkt.

  • B
    bernd

    Falsches Thema für eine Sozialministerin, die weder Schul- noch Innenministerin ist. Aber die meisten Minister sollen auch nur politische Pinups für das Politmarketing der Parteichefs sein. In diesem Sinne für die Union: Ein medialer Rohrkrepierer, der nur wieder den üblichen politischen Pfusch der Union zeigt: Kreuze aufhängen, aber keine Ahnung von christlicher Ethik haben. Minister mit türkischen Namen ernennen, aber keine Ahnung von deren berechtigten Anliegen haben. Warum soll daran gut sein, ein muslimisches oder konfessionsloses Kind unter einem Kreuz zu unterrichten?

  • H
    Hatem

    Nein, Aygül Özkan zeigt, dass Thilo Sarrazin mit seinen Thesen leider recht hat.

     

    Seit Jahrzehnten leben Millionen von Muslimen in Deutschland, und erst jetzt wird eine Muslimin Ministerin. Die Ursache ist einfach: Es gibt zu wenig aufstiegsorientierte muslimische Migranten.

     

    Wie schwer die Suche nach Politikern mit Migrationshintergrund ist, wird ganz deutlich in der SPD:

    In Hamburg demontiert gerade Bülent Ciftlik sich selber und seine Partei gleich mit.

    In NRW beruft Hannelore Kraft eine DITIB-nahe Noch-Moschee-Geschäftsführerin in ihr Team.

    Und in Berlin muss Klaus Wowereit zugeben, dass man ja gerne einen Migranten in den Parteivorstand gewählt hätte, aber keinen geeigneten Kandidaten hatte.

     

    Tja.

  • H
    Hanna

    Der Kommentar von Daniel Bax stimmt, nach akademischen Kriterien müsste man Özkan so sehen. Aber diese Frau hat bereits in der CDU politisch gearbeitet ... und ist dort durch nichts auffällig geworden. Was sie in Wirklichkeit gesagt hat, steht in den Gesetzen. Das Grundgesetz kennt kein christliches Religionsprivileg - es existiert schlichtweg nicht. Weder für Muslime, Buddhisten, Juden, noch für katholische oder evangelische Christen - der Staat kennt keinen Vorzug für eine Religion, er kennt sogar die vollständige Neutralitäg gegenüber Religion und Nicht-Religion (Atheismus).

    Und Özkan hat als Juristen offenbar die politischen Implikationen ihrer Aussage gar nicht bedacht: Eine christliche Partei versucht natürlich, diese gesetzliche Neutralität zu umgehen und den Kirchen Privilegien und Mittel zu zuschanzen. Die brauchen diese inzwischen, denn zwischen den Christen und ihren Kirchen tut sich eine große Lücke, eine Abkehr und vielerlei Konflikte auf.

    Und in dieses Nest hat Özkan gepickt, denn ihre Religionsgenossen, die Muslime, befinden sich im Aufwind, sie gründen und bauen Moscheen, setzen ihre Interessen und Ansprüche in vielen Gebieten durch und ändern die objektive Kultur in unserer Gesellschaft: Die christliche Dominanz lässt nach, andere Religionsgemeinschaften kommen ins Spiel und werden auf lange Sicht auch die Privilegien- und Zuschanzsysteme der Kirchen in Frage stellen.

    Das Ganze ist aber weitaus weniger dramatisch, als es das mediale Echo erahnen lässt: Es geht hier nicht um eine Hälfte, ein Viertel oder ein Fünftel, es geht um wenige Prozentpunkte einer Bevölkerung. Es sind vielleicht drei, vielleicht fünf Prozent der Bevölkerung und damit meine ich nicht die Muslime, sondern alle anderen Religionsgemeinschaften.

    Wahrscheinlich ist durch die Widervereinigung mit der DDR eine weitaus größere Anzahl an Atheisten in unsere Gesellschaft integriert worden, als momentan Muslime und allen anderen Teil dieser Gesellschaft werden. Aber das waren ja Deutsche und deren Lebensbedingungen und Wünsche sind uns nicht fremd gewesen. Der Bau eine Mamutmoschee und von Minareten macht schon eher deutlich, dass sich die Kultur unseres Landes verändern wird.

    Allerdings sind Muslime gar keine homogene Gruppe und auch nicht auf Ziele vereint, sondern weitaus gespaltener und unterschiedlicher als selbst die katholische und evangelische Kirche.

    Aber die massenhafte Abkehr von der Kirche erzeugt natürlich Angst um die Pfründe und wenigstens hier war die CDU (auch die SPD) gut darin, dem Kirchen zu geben, was ihnen eigentlich - jedenfalls nach dem Gesetz - nicht unbedingt zusteht. Das fängt beim Kruzifix in der bayrischen Dorfkirche an und enedet in Rundfunkräten, wo Kirchen Einfluss nehmen auf Programm und Inhalt.

    Zwar wollen Muslime gar nicht die Inhalte von ARD und ZDF umdrehen, noch wollen sie eine Gebetsnische in der Grundschule einrichten, aber sie wollen eben schon Moscheen, Vereine und öffentliche Mittel haben, die ihnen auch - nach dem Gesetz - zustehen. Und da fängt dann die Konkurrenz an: In vielen Gemeinden erhalten kirchliche Träger den Löwenanteil an Mitteln für Kindergärten, Einrichtungen, Vereine und selbst für den Erhalt ihrer Kirchen. Diese Mittel sind mancherorts bereits ungerecht an die Kirchen gegangen, weil andere Gemeinschaften einfach übervorteilt werden.

    Und nun sehen sich genau diese Lobbyisten vor einer unbequemte Wahrheit gestellt: Die CDU braucht konservative Wähler und das sind eben türkische Muslime aus ruralen Gebieten. Diese Menschen neigen nicht mehr zur SPD, die es geschafft hat, ihren sagenhaften Vorsprung bei diesen Menschen leichtfertig zu verspielen. Deswegen will und wollte Wulf Özkan haben, er will bei konservativen Türken Stimmung machen für die CDU. Und das sollte wohl auch für die NRW-Wahl helfen, denn Rütgers könnte schnell ein paar Tausend Stimmen gewinnen, wenn seine Partei nicht ausländerfeindlich wahrgenommen werden würde. Wird sie aber und daran hat nicht nur Helmut Kohl, sondern vor allem Roland Koch große Schuld. Denn die CDU arbeitet reisserisch mit dem Immigrantenthema und verspielt damit immer wieder die Möglichkeit, konservative Türken und Muslime für sich zu gewinnen.

    Die Ministerin selber ist vielleicht auf ihren Berufsstand hereingefallen: In der Politik werden wohl Gesetze gemacht, aber es geht um Interessen, soziale Gruppen und vor allem um Macht.

  • AB
    Alex B.

    Die Berufung von Özkan ist Symbolpolitik - und nichts anderes als das. Mit Modernisierung hat das Ganze nichts zu tun.

    Wenn ein Herr Wulff auf die mutige Meinungsäußerung von Frau Özkan (gestützt durch das Bundesverfassungsgericht und den Europ. Gerichtshof für Menschenrechte!) antwortet "Es ist klar, dass unsere Minister die Linie der CDU vertreten müssen." dann wird etwas klar: Als Vorzeigebeispiel und Quotenfigur sind Migranten und andere Minderheiten gerne gesehen, aber dann sollen sie sich auch gefälligst dem reaktionären CDU-Weltbild unterordnen, anstatt ihre eigene Meinung ergo irgendwelchen Pluralismus- und Gleichbereichtigungsquatsch zu verbreiten.

     

    Aygül Özkan hat sich mittlerweile für ihre Forderung entschuldigt und sie zurückgezogen. Eine pluralistische Partei, in der alle gesellschaftlichen Gruppen ihre Erfahrungen und Ansichten einbringen können, sieht anders aus.

     

    Modernisiert hat sich höchstens die Strategie der CDU, um Wählerstimmen zu buhlen. Mit einer politischen Modernisierung hat das ganze herzlich wenig zu tun. Es zeigt viel mehr, wie reaktionär immer noch große Teile dieser Partei sind.