piwik no script img

Kommentar Mord in LondonNeues Gesicht des Terrors

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Sie agieren öffentlich und inszenieren sich selbst. Islamistische Terroristen neuer Prägung attackieren die Gesellschaft, in der sie leben.

Blumen und Kränze an der Stelle in Woolwich, an der der Soldat getötet wurde. Bild: reuters

M ohamed Merah, Toulouse 2012. Und nun Michael Adebolajo, London 2013. Ob der Schlächter von London, der auf offener Straße einen Soldaten zerstückelte und dann vor der Kamera posierte, wirklich aus politischen Motiven handelte oder nur wirres Zeug redete; ob er und sein Mittäter unzurechnungsfähig waren oder überlegt handelten; ob das auf der Straße aufgenommene Videobekenntnis geplant war oder zufällig entstand – diese Fragen lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend beantworten.

Doch die Parallelen zwischen den Tätern der spektakulärsten islamistischen Terrorakte in europäischen Metropolen in jüngster Zeit sind unübersehbar. Sie begehen keine heimlichen Taten, bei denen sie unerkannt zu bleiben versuchen, wie noch in Madrid 2004. Sie sind auch keine Selbstmordattentäter wie in London 2005. Sie agieren öffentlich, sie verleugnen sich nicht. Wenn sie die Gelegenheit haben, inszenieren sie sich und ihr Image selbst.

Sie leben weder im Untergrund, noch handeln sie im Namen irgendeiner Gruppe, sondern mitten in der Gesellschaft und ihrem vertrauten Umfeld schreiten sie irgendwann zur Tat. Das vereint sie mit den Bombenlegern von Boston vor wenigen Wochen, die zwar anders vorgingen, deren Hintergrund aber ein ähnlicher ist.

Bild: taz
Dominic Johnson

ist Auslandsredakteur der taz.

Man wird sich an dieses neue Gesicht des Terrors gewöhnen müssen. Die Debatte um den politischen Umgang mit dem islamistischen Terrorismus jenseits miliärischer, polizeilicher und juristischer Zwangsmittel ist nach über einem Jahrzehnt noch immer relativ hilflos. Man geht davon aus, es gebe ein identifizierbares Gegenüber mit politischer Agenda, mit der man sich auseinanderzusetzen zu habe.

So wird gefordert, die Regierungen des Westens müssten ihre Politik gegenüber den immer wieder als Motivation für Terroranschläge herhaltenden islamischen Krisenherden verbessern – derzeit zumeist Afghanistan, Syrien, Tschetschenien, Palästina oder Irak. Zum anderen wird angemahnt, die Täter fühlten sich in den reichen Industrienationen ausgegrenzt und also müssten sich die Lebensbedingungen benachteiligter Minderheiten verändern, damit ihre frustrierten Söhne nicht dem erstbesten Rattenfänger hinterherlaufen.

Keine Manifeste, keine fanatischen Prediger

Gerade wenn solche Forderungen richtig sind, müssen sie allerdings aus sich heraus umgesetzt werden und nicht in Reaktion auf Terror. Und sie sind auch keine Lösung im Umgang mit dem neuen Phänomen öffentlich auftretender Einzeltäter. Die brauchen keine al Qaida, keine konspirativen Manifeste und keine fanatischen Prediger in Hinterhofmoscheen, um die globale islamistische Sache zu ihrer eigenen zu erklären.

Es gehört zum Kern der Freiheit des Einzelnen, sich aus der Gesellschaft auszuklinken und in ganz andere Zusammenhänge hineinzudenken, für die man sich bewusst entscheidet und mit denen man sich aus freien Stücken identifizieren möchte. Das nicht nur als Tagtraum oder Utopie zu verfolgen, sondern als konkretes Projekt, bei dem dann schließlich auch spektakuläre Gewaltakte als endlich geglückte Akte der Selbstverwirklichung erscheinen können, ist so alt wie die Menschheit.

Es gibt dagegen kein direktes Mittel, sofern man von totalitärer Überwachung und Unterdrückung absieht. Und es ist eine natürliche und unumkehrbare Folge der Globalisierung und der Ausbreitung sozialer Medien, dass es immer einfacher wird, dafür weltweite Öffentlichkeit zu erzeugen. Wer sich entscheidet, so zu agieren, braucht allerdings nicht zu erwarten, dass die Gesellschaft mit ihm anders umgeht als er mit ihr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • S
    susiQ

    Wenn ich die Terror-als-Reaktion-auf-Ausbeutung-Theorie lese, möchte ich schon mal fragen, was die armen ausgebeuteten Rohstoffländer denn anderes mit ihren Rrohstoffen anfangen könnten, als sie zu verkaufen? Und warum können die Öl-Staaten sehr wohl den Preis mitbestimmen, andere Rohstoff-Länder jedoch nicht?

    Sollte die Ausbeutungs-Theorie allgemein gelten, dann waren Rostock-Hoyerswerda und die NSU letztendlich die Antwort auf den Ausverkauf der alten DDR.

     

    Gewalt und Terror sind für manche Menschen ein inhärenter Reiz, leider. Und daraus folgt, dass wir Mord und Terror nie ganz verhindern können, ohne selbst zum Terrorregime zu werden.

  • IK
    Irma Kreiten

    Offenbar interessieren Mordanschlaege vor allem dann, wenn sie aus dem "richtigen" Umfeld kommen, d.h. die These vom blutdruenstigen islamischen Fundamentalisten zu untermauern scheinen. Gestern ist ein tschetschenischer Exilpolitiker in seinem Buero in Ankara ermordet worden, davon jedoch weder in der Taz noch in anderen deutschen Zeitungen ein Wort (Informationen in englisch auf http://www.todayszaman.com/news-316268-.html). Es schleicht sich der Eindruck ein, dass das Leben, die Rechte und das Wohlergehen von Nordkaukasiern den Westen nicht im geringsten interessieren. Weil sie Muslime sind oder zumindest im weitgehend ignoranten Westen Nordkaukasier durchweg als Muslime gelten? Weil es im Kaukasus Oel gibt? Weil man Russland, den starken Wirtschaftspartner, nicht veraergern will? Bisher habe ich noch keine Antwort enthalten, ich werde diese Fragen aber weiter stellen, so lange, bis endlich mal jemand auch ueber diese Faelle schreibt.

  • A
    Arne

    In Libyen hat der Westen angeblichen Revolutionären geholfen, die sich einfach mal benehmen wollten, als spielten sie in einem billigen Italo-Western mit.

    Diese Truppe macht jetzt noch Stunk gegen die neue gewählte Regierung in Libyen.

    Wenn es also so einfach ist, Anerkennung zu bekommen, ist ein solches Verhalten die logische Konsequenz.

  • M
    Micha

    Also ein Mensch ermordet einen anderen Menschen und das ist jetzt Terror und nicht bloß Mord. Wieso?

     

    Und dafür, dass es dieses neue "Phänomen" gibt, gab es bisher zwei Beispiele... aha.

    Wie überzeugend.

  • E
    emil

    "Wer sich entscheidet, so zu agieren, braucht allerdings nicht zu erwarten, dass die Gesellschaft mit ihm anders umgeht als er mit ihr."

     

    na ich hoffe doch schwer, dass die für diese tat verantwortliche person nicht öffentlich zerhackt wird. keine ahnung, wem damit geholfen wäre.

  • N
    Nuaber

    am 29 april 2013 wurde in london ein muslim von einem weissen mann mit einer machette anegriffen und getötet.drüber gibts keine nachricht

  • S
    Soiset

    @ tazmats:

     

    "Die Frage, die zu klären ist, lautet: Agieren diese Moslems völlig unabhängig, oder steckt dahinter ein Masterplan?":

     

    Ohne das Dschihad-Konzept gäbe es keine muslimische Expansion:

     

    "Nach klassischer islamischer Rechtslehre (Fiqh), deren Entwicklung in die ersten Jahrhunderte nach dem Tode Mohammeds zu datieren ist,

    dieser Kampf der Erweiterung und Verteidigung islamischen Territoriums, bis der Islam die beherrschende Religion ist...

     

    Der Dschihad stellt als eines der Grundgebote des islamischen Glaubens und eine allen Muslimen auferlegte Pflicht ein wichtiges Glaubensprinzip des Islam dar...

     

    Die militärische Expansion des Dar al-Islam ist eine kollektive Pflicht der islamischen Gemeinschaft...":

     

    http://de.wikipedia.org/wiki/Djihad

  • AG
    Anton Gorodezky

    Die Unterstützung in Form von Geld und Waffen oder konkreten Anweisungen mögen die Täter nicht mehr benötigen, den ideologischen Unterbau bekommen sie aber sehr wohl noch gestellt.

     

    Arid U. hat sich auf Moslemseiten radikalisieren lassen und schritt nach dem Ansehen eines Videos zur Tat, in dem amerikanische Soldaten Frauen und Kinder umbringen (die Szenen waren aus einem Spielfilm). Breivik hat sich auf rechtsextremen Blogs rumgetrieben. Fast alle versuchten Attentäter in Deutschland haben sich auf Salafistenseiten rumgetrieben.

     

    Und deshalb brauchen solche Täter auch weiterhin Manifeste und radikale Prediger in Hinterhofmoscheen. Und alQaida oder die Tempelritter, um sich als Teil einer größeren Sache zu fühlen.

  • Z
    zombie1969

    Höchst fragwürdig wer sich hier in Europa vor wem schützen muss. Die Kriminalitätsstatistiken lassen hier tief blicken bezüglich der Gewaltbereitschaft durch kriminelle Muslime.

     

    http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Islamischer-Zentralrat-raet-Muslimen-zu-Pfeffersprays/story/16034236

  • UM
    Ulli Müller

    Sorry,

    ich meld mich noch mal.

    Schön, ihr habt meinen Kommentar gebracht.

    Aber musste dieser typisch muslimfeindliche, hasspredigende Kommentar von tazmats auch sein?

    Hier gehts doch nur um Stimmungsmache.

  • C
    Cicero666

    Da schlachtet ein muslimischer Jugendlicher einen jungen Engländer mit den Worten "Allah ist groß" ab und der Londoner Bürgermeister leugnet einen Zusammenhang mit dem Islam. Das mag zwar politisch korrekt sein, aber es verdrängt die Realität und schließt aus, dass man den Kern des Problems erkennt und auch benennt.

     

    Denn natürlich ist das eigentliche Problem, dass der Islam keine Aufklärung und keine Säkularisierung erfahren hat, sondern in rückständigen mittelalterlichen Dogmen und Gesellschaftsbildern verharrt. Die muslimische Welt hat dadurch sowohl gesellschaftlich als auch ökonomisch den Anschluß an die Moderne verpasst.

     

    Die Folgen sind: Unfreiheit, Armut, unterdrückte Frauen, Rückständigkeit und dadurch bedingt ein kollektives Minderwertigkeitsgefühl der muslimischen Massen.

     

    Und hier setzt ein Perpetuum Mobile ein. Denn die radikalen Islamisten nutzen diese selbstverschuldete Ohnmacht aus und propagieren das Feindbild Westen. Sie verstärken damit aber nur die weltweite Isolation der Muslime und die ökonomische und zivilisatorische Abwärtsspirale, was wiederum zu einer weiteren Radikalisierung führt.

     

    Die Lösung kann daher nur in einer Reformation des Islam von Innen kommen. Diese Säkularisierung und Öffnung muss aber zumindest ín Europa auch von der Mehrheit der hier lebenden Menschen muslimischen Glaubens sowie von westlichen Politikern entschieden eingefordert und propagiert werden. Der Islam muss endlich seinen Anschluß an die zivilisierte Moderne finden.

     

    Gelingt dies nicht, werden wir auf balkanähnliche Verhältnisse zusteuern und es wird sich in vielen westlichen Ländern eine Pogromstimmung gegen Muslime breit machen. Denn natürlich werden die europäischen Mehrheitsgesellschaften den islamistischen Terror nur bis zu einem gewissen Grad hinnehmen, bevor auch hier radikale Kräfte zurückschlagen. Ansätze davon sind leider gerade in England und in Griechenland zu beobachten. Die Verlierer werden letztlich die Muslime in Europa aber auch weltweit sein. Verdrängen ist also keine Lösung!

  • A
    andrea

    Erschreckend wie tief der Autor die Latte hängt bei dem begriff Terror. Benutzen demnächst bei jedem Mord den Begriff Terroristen oder wie der Autor es auch macht, Oder nur dann wenn die Religion des Täters ins Feindbild passt?

  • H
    Hannes

    Irgendwelche Verwirrte bringen Leute um. Neu ist das nicht.

  • T
    tazmats

    Das Schlimme ist doch, dass es jetzt gar nicht mehr über Jahre trainierte Muslime sind, die zu Terroristen werden. Das Morden und Abschlachten übernimmt jetzt schon der Moslem von nebenan mit seinem Messer und Hackebeil. Man muss nur zur falschen Zeit am falschen Ort sein oder den falschen Nachbarn haben, schon kann man solchen menschenverachtenden Mördern in die Hände fallen.

     

    Die Frage, die zu klären ist, lautet: Agieren diese Moslems völlig unabhängig, oder steckt dahinter ein Masterplan?

  • UM
    Ulli Müller

    Ob der Spinner in Oslo

    oder die Spinner in London, die Welt, insbesondere die Presse geben ihnen dass, was sie wollen: Öffentlichkeit!

    Und unserer Presse, Aufklärung, Ursachen, wen interessiert’s?

    Toll sind immer Fotos etc.

    Hintergrundinformation,

    wie viel Schuld trägt der Terror, den der Westen in den Osten bringt an dem Schwachsinn?

    Das soll keiner wissen, es geht um strategische Wege und Bodenschätze,

    eigentlich war das Opfer in London nur ein Kollateralschaden, wie die zivilen Ofer in Afghanistan, …!

  • W
    whutwhut

    "Ob der Schlächter von London, der auf offener Straße einen Soldaten zerstückelte und dann vor der Kamera posierte, wirklich aus politischen Motiven handelte oder nur wirres Zeug redete [...]"

     

    Ich sehe da gar keine grundlegenden Unterschiede. Um mal das naheliegende deutsche Beispiel zu nehmen: ob die Täter hinter der NSU nun aus "echten" politischen Motiven getötet haben oder sich in einem Actionfilm wähnten und der coole schießwütige "Held" sein wollten, spielt in letzter Konsequenz kaum eine Rolle.

     

    (wohlgemerkt nur bezogen auf die Taten an sich, nicht auf die Rolle möglicher Verfassungschützer usw.)

  • KK
    Kein Kunde

    "Wer sich entscheidet, so zu agieren, braucht allerdings nicht zu erwarten, dass die Gesellschaft mit ihm anders umgeht als er mit ihr."

     

    Dieser Satz macht mehr Angst der Terror.