Kommentar Minderheiten in Russland: Die Hölle der Namenlosen
Homosexuelle werden in Russland gejagt, in Tschetschenien gefoltert. Die EU muss das Schutzbedürfnis dieser Gruppe ernster nehmen.
I mmerhin: Schön, dass sie darüber gesprochen haben. Auch diesmal hat Angela Merkel bei ihrem Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin in Sotschi die Gelegenheit genutzt, die Verletzung von Minderheitenrechten zum Thema zu machen – diesmal am Beispiel homosexueller Tschetschenen und der Zeugen Jehovas.
Beim Thema Menschenrechte ist auf die Kanzlerin offensichtlich Verlass. Doch was folgt daraus?
Menschen mit, wie es offiziell heißt, nicht traditioneller sexueller Orientierung, sind in der gesamten Russischen Föderation eine der meist gehassten und verfolgten Gruppen. Homosexuelle, die als abartig und krank gelten, werden systematisch diskriminiert und manchmal umgebracht. Und das mit dem Segen der Orthodoxen Kirche. Und ohne, dass in den meisten Fällen die Täter dafür zur Verantwortung gezogen werden.
Offiziell gibt es in Tschetschenien keine Homosexuellen
In der muslimisch geprägten Kaukasusrepublik Tschetschenien ist die Situation für Schwule noch lebensbedrohlicher. Mit Ramsan Kadyrow herrscht dort ein Mann, der, der schützenden Hand Putins sei Dank, die Bevölkerung terrorisiert, wie es ihm beliebt. Verschwindenlassen, willkürliche Inhaftierungen und Folter sind nur einige Begriffe, um die Lebenswirklichkeit vieler Menschen zu beschreiben. Homosexuelle, die es laut Kadyrow in Tschetschenien eigentlich gar nicht gibt, werden in Geheimgefängnissen sexuell missbraucht und so auf eine besonders perfide Art gedemütigt.
Vor diesem Hintergrund ist es umso skandalöser, wie mit Tschetschenen umgegangen wird, die in der Europäischen Union Zuflucht suchen. Häufig mit dem Etikett versehen, gefährliche Islamisten zu sein, schiebt Polen sie gnadenlos wieder nach Weißrussland ab. In Deutschland werden tschetschenische Asylsuchende mit der Begründung zurück gewiesen, es gebe in Russland ja eine innerstaatliche Fluchtalternative. Wie die aussieht, wissen die als „Schwarzärsche“ titulierten Kaukasier, auf die in russischen Städten Jagd gemacht wird, nur zu genau.
Deshalb sollte die EU, so sie ihre eigenen Standards noch ernst nimmt, genau hin gucken, wo es um das Schutzbedürfnis tschetschenischer Flüchtlinge geht. Alles andere ist zynisch. Daran ändern auch mahnende Worte in Sotschi und Solidaritätskundgebungen mit tschetschenischen Homos in westlichen Hauptstädten nichts.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Bildungsforscher über Zukunft der Kinder
„Bitte nicht länger ignorieren“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA entwerfen UN-Resolution zum Krieg in der Ukraine ohne jede Kritik an Russland
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen