Kommentar Militärschlag gegen Syrien: Kriegslüstern oder verantwortungslos
Den USA geht es um die Glaubwürdigkeit der „roten Linien“. Als oberstes und einziges Kriegsziel aber ist das nicht nur völkerrechtswidrig, sondern nahezu kriminell.
M onatelang hatten die USA, Frankreich und Großbritannien darauf gedrängt, die UN-Experten sollten die mutmaßlichen Giftgaseinsätze in Syrien endlich untersuchen dürfen. Seit Montag ist die Kommission vor Ort – noch hat sie keinerlei Ergebnis produziert. Doch schon jetzt spricht US-Außenminister John Kerry, als sei eine weitere Beweisführung überflüssig: Assads Truppen waren es.
Das ist nicht unwahrscheinlich. Aber die von syrischen und russischen Stellen verbreiteten Indizien, die eine Urheberschaft der Rebellen zur Provokation eines Militärschlags beweisen sollen, sind auch nicht weniger überzeugend. Wir wissen es schlicht nicht.
Gleichwohl bereiten Großbritannien, Frankreich und die USA Raketenangriffe auf syrische Stellungen vor, vorbei am Sicherheitsrat, der dem nicht zustimmen würde – und es selbst dann nicht könnte, wenn kein russisches Veto das verhinderte.
Ein Mandat für militärische Strafaktionen ist in der UN-Charta nicht vorgesehen. Nichts anderes aber wären zweitägige Raketenangriffe auf irgendwelche syrischen Stellungen. Sie bringen keinen militärischen Vorteil, erst recht keinen Schutz der Bevölkerung. Und sie dürften zum sofortigen Ende der UN-Expertenmission führen.
Was als Demonstration der Entschlossenheit gedacht ist, bringt bestenfalls gar nichts. Schlimmstenfalls ist es der Beginn einer Eskalation, die in einer Abfolge von Angriffen und Vergeltungsschlägen dem syrischen Bürgerkrieg nur weitere Kriegsparteien hinzufügt. Die Einzigen, die daraus einen Vorteil ziehen, sind die Waffenschmieden der USA und Europas.
Ein Patenrezept ist nicht erkennbar
Es ist nicht verwerflich, kein Patentrezept zu kennen. Und es ist auch nicht die Verantwortung „des Westens“, dass diese Situation entstanden ist: Es war immerhin Russland, das zu Beginn des Konflikts, als Assads Truppen friedliche Demonstranten zusammenschossen, dem Diktator die Stange hielt, ihn mit Waffen belieferte und den eigenen Einfluss mitnichten dazu nutzte zu deeskalieren.
Ohne Russland wird es aber keine Lösung geben. Doch für Ende der Woche geplante Syrien-Gespräche mit Russland hat Washington gerade abgesagt. Das ist entweder kriegslüstern, hoch gepokert oder völlig verantwortungslos. Den USA geht es um die Glaubwürdigkeit der „roten Linien“.
Das kann man verstehen. Als oberstes und einziges Kriegsziel aber ist das nicht nur völkerrechtswidrig, sondern nahezu kriminell.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen