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Kommentar Massaker in TexasTerror leicht gemacht

Dorothea Hahn
Kommentar von Dorothea Hahn

Der jüngste Massenmord in den USA zeigt: Welche Motive solche Taten auch immer haben – möglich sind sie durch für jeden käufliche Kriegswaffen.

Trumps Reden von „Zusammenrücken“ statt von Schusswaffenkontrollen ist ein Verzicht auf Politik Foto: ap

D er jüngste Massenmord in den USA kostete 26 Kinder und Erwachsene das Leben. Sie starben während der Sonntagsmesse in der First Baptist Kirche von Sutherland Springs in Texas. Der Täter war ganz in schwarz gekleidet, mit einer kugelsicheren Weste und einer halbautomatischen Waffe ausgestattet in das kleine weiße Holzgebäude gekommen und hatte das Feuer eröffnet. Die Tat dauerte weniger als fünf Minuten.

Es ist offen, ob wir je erfahren werden, was den Täter antrieb. Vorausgegangene Massenmorde – wie zuletzt der von Las Vegas, wo ein Mann im vergangenen Monat 58 Menschen aus einem Hotelzimmer erschoss – zeigen, dass die Suche nach Motiven längst nicht immer erfolgreich ist.

Doch jenseits der individuellen Charaktere und Antriebsmomente der Täter zieht sich ein Element wie ein blutiger Faden durch sämtliche Massenmorde von Sutherland Springs bis Las Vegas, von Newtown und Orlando bis nach Charleston, um nur einige wenige der letzten Jahre zu nennen: Der unerträglich leichte Zugang zu Waffen, die keinen anderen Zweck verfolgen, als binnen kürzestmöglicher Zeit eine größtmögliche Zahl von Menschen zu töten.

Die Waffen, die bei diesen Massenmorden eingesetzt werden, sind weder für die Jagd noch für die Selbstverteidigung konzipiert. Es ist Kriegsgerät. Aber in den meisten US-Bundesstaaten sind die Waffen leichter erhältlich als verschreibungspflichtige Medikamente. Fast jeder kann sie kaufen. Dank Donald Trump können das auch psychisch Kranke, nachdem die unter Barack Obama eingeführte Regulierung wieder abgeschafft wurde.

Nichts deutet darauf hin, dass die mehr als 310 Millionen Schusswaffen in Privathänden – fast so viele, wie das Land Einwohner hat – die USA sicherer machten. Im Gegenteil. Alljährlich sterben mehr als 33.000 Menschen in den USA an Schusswaffengewalt – mehr als in irgendeinem anderen Industriestaat.

Priorität republikanischer Politik

Eine Kontrolle zumindest des Verkaufs von halbautomatischen Waffen könnte unmittelbaren Erfolg bringen, zeigen Beispiele anderer Länder. Doch die politische „Elite“ der USA bewegt sich in die entgegengesetzte Richtung.

Hauptverantwortlich dafür ist die Propaganda der Schusswaffenlobby. Die „National Rifle Association“ (NRA) hat es geschafft, fast alle republikanischen Politiker in ihre Abhängigkeit zu bringen. Sie gibt ihnen Geld, erteilt ihnen Noten für politisches Wohlverhalten und hat einen Verfassungszusatz aus dem Jahr 1791 zu einem Dogma des 21. Jahrhunderts gemacht.

Als jener „zweite Verfassungszusatz“ in Kraft trat, waren Schusswaffen schwere Geräte, die nach jeder Kugel neu geladen werden mussten. Es gab keine national aufgestellte Polizei und weiße Plantagenbesitzer fürchteten, dass „ihre“ Sklaven den Aufstand wagen könnten. Doch die NRA hat dem „Second Amendment“ Ewigkeitswerte gegeben – und es zu einer Priorität republikanischer Politik gemacht.

Wenn Trump nach Massenmorden wie dem in der Kirche in Texas auf das Stichwort „Terror“ und auf schnelle Verurteilungen und Ankündigungen von Racheakten verzichtet, hat das auch eine rassistische Dimension. Denn er reagiert anders, wenn der Täter eine andere Hautfarbe, Religion oder Nationalität hat. Aber sein Reden von „Gott“ und „näher Zusammenrücken“ anstatt von Schusswaffenkontrollen ist zugleich ein Verzicht auf Politik. Es ist eine Kapitulation vor der NRA. Und es gibt die tragische Gewissheit, dass der nächste Massenmord dieser Art nur eine Frage der Zeit ist.

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Dorothea Hahn
Korrespondentin
Kommt aus Köln. Ihre journalistischen Stationen waren Mexiko-Stadt, Berlin, Paris, Washington und New York.
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9 Kommentare

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  • Gebetsmühlenartig kommt der Ruf nach strengeren Waffengesetzen nach jeder solchen Untat. In diesem Fall hätten jedoch auch strengere Gesetze den Amoklauf nicht verhindert, da der Täter die Waffen illegal besaß und nur durch Behördenschlamperei die Waffen kaufen konnte. So etwas ist auch in DE denkbar. Der Täter wurde jedoch durch einen Legalwaffenbesitzer gestoppt und die Polizei kam erst, als schon alles vorbei war.

     

    Viel wichtiger scheint mir aber die Frage zu sein, ob sich bestehende gesellschaftliche Probleme tatsächlich durch Verbote beheben lassen. In DE haben wir 1938 durch das Reichswaffengesetz die Bevölkerung, bis auf Polizei und Wehrmacht, entwaffnet. Dies war der Boden zur Verfolgung jeglicher Minderheiten und hat die "Endlösung" erst möglich gemacht. Die Vorgänge in der Polizeiakademie in Spandau - man bedenke: alles zukünftige Handfeuerwaffenträger - lassen das Vertrauen in die Polizei nicht gerade wachsen. Als Deutscher sollte man also etwas zurückhaltender sein, wenn es um Entwaffnung geht.

    Gut dargestellt hat das auch Johannes Thumfart in der taz vom 25.1.2013.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Jäger Meister:

      Gebetsmühlenartig macht die NRA Stimmung nach jeder solchen Tat, dass noch mehr Waffen nötig sind, um noch mehr Leute umzubringen. Falsche Behauptungen machen dann schnell die Runde.

       

      Haben Sie Insider-Informationen?

      "Der 26-jährige Kelley war kurz nach seinem Amoklauf tot in seinem Wagen gefunden worden. Die Ermittler gehen davon aus, dass er sich selbst erschoss." https://taz.de/Fehler-vor-dem-Massaker-in-Texas/!5461461/

       

      Außerdem: Hier gibt es nicht an jeder Ecke einen Laden voller Kriegswaffen. Muss auch nicht sein.

       

      Jägermeister - der Name hat auch keine schöne Geschichte:

      "Der Begriff „Jägermeister“ existiert als Berufsbezeichnung schon mehrere Jahrhunderte.[3] Er wurde mit dem Reichsjagdgesetz von 1934 in Deutschland neu eingeführt und bezeichnete Forst- und Jagdaufsichtsbeamte. Als 1935 der Likör auf den Markt kam, klang der Name bereits vertraut. Curt Mast, der Erfinder des Jägermeister-Kräuterlikörs, war selbst begeisterter Jäger. Auch deshalb lag die Namensgebung nahe. Da seit Juli 1934 Hermann Göring als Reichsjägermeister amtierte, dem alle Landes-, Gau- und Kreisjägermeister unterstanden, er also der oberste „Jägermeister“ war, wurde der Likör früher gelegentlich „Göring-Schnaps“ genannt. Die Nachfahren des damaligen Firmeninhabers hüllen sich zu den genaueren Umständen der Namensgebung in Schweigen." https://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%A4germeister#Namensgebung

       

      Das nur als Hinweis, Der Name wird ja auch heute noch gerne von Anhängern der Neuen Rechten als Identifikation genutzt und in besonderer Weise in der Umkehrung "Meister-Jäger" verwendet. Das kann selbstverständlich nicht auf alle pauschal verallgemeinert werden, die diesen Schnaps gern einmal trinken.

  • Oft wenn es um Zahlen und Einheiten geht kommt die TAZ an ihre Grenzen:

    In den USA sterben nicht über 30.000 Leute an Waffengewalt pro Jahr, sondern durch Schusswaffen allgemein

    Ca. Zwei Drittel sind Suizide.

    Ein weiterer Teil Jagdunfälle.

    Echte Waffengewalt wie im Text impliziert ca. 11.000 - 12.000 jedes Jahr.

    Bitte ggg. anpassen dieses Detail, wenn TAZ will.

    Ihr wisst ja... Fake news...

    • 8G
      81331 (Profil gelöscht)
      @Tom Farmer:

      ...den künftigen Toten kann's egal sein. Denen wird kein sog. Gott helfen und auch kein sog. Gebet.

  • Laut Trump wären es nicht die Waffen. Die Täter hätten psychische Probleme.

     

    Mit seinen Kriegs- und Vernichtungsdrohungen gilt für Trump und seine Wähler*innen wohl beides.

  • Nun, es gibt Gerüchte, Devin Patrick Kelley sei ein Linker, Antifaschist und Atheist gewesen.

     

    In der Kirche kann so jemand möglichst viele treffen.

     

    "The First Baptist Church is predominantly white, and Mr. Kelley is white." https://mobile.nytimes.com/2017/11/05/us/church-shooting-texas.html?referer=

    • @Grmpf:

      Das Gerücht, er sei Antifaschist, basiert auf einem (offensichtlich gefaktem) Bild, dass derzeit die Runde in den Sozialen Medien macht. Seinen Ursprung hat es wohl auf 4chans /pol/ gefunden.

      Das man so tief sinken muss, einen Amoklauf ausznutzen um politische Stimmung gegen andere Vollidioten zu machen, hätte ich eigentlich nur von waschechten Neonazis erwartet.

       

      Das er Atheist war, hat sich wohl mittlerweile als wahr herausgestellt.

  • Das war kein Terroranschlag, sondern ein Amoklauf. Terror hat immer ein politisches/religiöses Ziel. Ein Amoklauf hat kein solches Ziel.

     

    Und (legale) Waffen? Zur Erinnerung: Im Bataclan waren es illegale Waffen, in Nizza ein handelsüblicher LKW.

    Trotz aller Hysterie werden die weitaus meisten Menschen mittels Hieb- und Stichwaffen getötet.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Frank Erlangen:

      Sie denken jemand geht in eine Kirche und ballert los und hat dabei kein mit dieser Kirche verbundenes Problem?

      Wenn jemand auf seiner Arbeitsstelle um sich schießt, hat er dann nicht ein Problem mit dieser sozialen Institution?

      Warum suchen sich diese Leute nicht einfach die Menschen, mit denen sie tatsächlich die Probleme haben, also die Familie der Exfrau in diesem Fall hier oder den Chef oder die Kapitalgeber statt dem sog. Büroamoklauf?

      Ich sehe das als terroristische Logik an, weil die Gewaltausübung so willkürlich auf die Menschen in den Institutionen gerichtet ist. Das ist nicht groß anders, als wenn jemand mit dem LKW durch den Weihnachtsmarkt rast. Das ist nicht einfach ein politisches Ziel, ein Wahnachtsmarkt ist keine Polizeistation, kein Parteibüro, kein Gericht, kein Rathaus und auch keine Kirche. Deswegen ist es Terror, willkürlich Leute umzubringen, aber die verhasste Institution nicht direkt anzugreifen. Ansonsten könnte man je nach politischer Lage und Angriffsziel auch von einem bewaffneten Aufstand sprechen, von politischem Mord oder von einem Amoklauf, wenn es um private, z.B. familiäre Probleme geht. Der typische Familienmord mit anschließender Selbsttötung, das ist ein Amoklauf. Aber in diesem Fall hat sich der Täter entschlossen, nicht die Familie seiner Exfrau aufzusuchen, sondern sein fatales Vorhaben in eine Kirche zu verlegen, was seinem Handeln eine soziopolitische Dimension verleiht, jenseits der Tragik eines verkorksten Lebens, das im Massenmord und der Selbsttötung endet. Für mich ein Terrorakt und kein Amoklauf.